Verwirrende Informationsblätter, fragwürdige Renditeprognosen und die zwangsweise Aufzeichnung von Beratungsgesprächen:
Praxisferne Verbraucherschutzregeln verärgern Bankkunden zunehmend. Es ist deshalb höchste Zeit, die Vorschriften zu überprüfen, wie Jürgen Gros, Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB), betont.
GZ: Herr Dr. Gros, die Finanzkrise vor zehn Jahren hat Defizite beim finanziellen Verbraucherschutz offenbart. Als Reaktion brachte die Politik eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg, um die Position von Anlegern und Bankkunden zu stärken. Warum fordert der GVB in letzter Zeit vehement, diese Regelungen zu evaluieren und zu korrigieren?
Jürgen Gros: Finanzieller Verbraucherschutz ist eine unverzichtbare politische Gestaltungsaufgabe, um Bürgerinnen und Bürger vor schwarzen Schafen zu bewahren. Dazu stehen die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken. Aber genau deswegen halten es die Kreditgenossenschaften im Freistaat auch für wichtig festzustellen, inwieweit die zahlreichen neuen Vorschriften wie die Finanzmarktrichtlinie MiFID oder die Prospektverordnung PRIIPs tatsächlich ihre Ziele erreichen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass manche Regeln Bankkunden vor allem belasten oder sogar bevormunden, anstatt ihnen zu nützen und sie zu schützen.
GZ: Es verwundert nicht, dass Sie als Bankenvertreter das sagen …
Gros: Der GVB ist nicht der einzige Akteur, der sich für eine Evaluierung des Verbraucherschutzes einsetzt. Wenn selbst die Wirtschaftsweisen 2017 in ihrem viel beachteten Jahresgutachten forderten, ineffektive Regulierungsvorschriften zu identifizieren und abzuschaffen, ist das ein glaubhafter Beleg dafür, dass etwas schiefläuft. Das hat offenkundig auch die Bundesregierung davon überzeugt, aktiv zu werden. Sie hat im Koalitionsvertrag versprochen, die Verbraucherschutzregeln auf den Prüfstand zu stellen und damit unsere Forderung erfüllt.
GZ: Was genau läuft schief?
Gros: Das hat der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück auf den Punkt gebracht. Wortwörtlich hat er in einem Interview gesagt: „Wenn ich als Privatanleger für jedes Wertpapier seitenlange Formulare vorgelegt bekomme, hat das mit transparenter Information doch nichts mehr zu tun. Das liest doch kein Mensch.“
Ähnlich hat sich Gerd Billen geäußert, der früher mal Deutschlands oberster Verbraucherschützer war und heute Staatssekretär im Bundesverbraucherschutzministerium ist. Er hat moniert, dass ihm beim Abschluss eines Immobilienkredits ein zentimeterhoher Papierstapel ausgehändigt wurde. Beide Herren halte ich für unverdächtig, den Verbraucherschutz untergraben zu wollen. Vielmehr haben sie mit ihrer Kritik an der regulierungsbedingten Informationsflut zahlreichen Sparern und Anlegern aus dem Herzen gesprochen.
GZ: An welchen Stellen sehen die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken Korrekturbedarf beim Verbraucherschutz?
Gros: Der GVB hat bei seinen Mitgliedsbanken nachgefragt, wie sich die vielen neuen Maßnahmen für die Kunden bemerkbar machen. Diese Erfahrungsberichte können keine systematische Aufarbeitung ersetzen, lassen aber Rückschlüsse zu. Im Wesentlichen haben wir drei Problemfelder identifiziert. Erstens: Gesetzlich vorgeschriebene Pflichtinformationen schaffen zu selten Klarheit, sondern verwirren und verunsichern die Kunden oft. Zweitens: Regulatorische Vorgaben behindern Verbraucher beim Abschluss von Bankgeschäften. Drittens: Die Entscheidungsfreiheit der Kunden in Finanzangelegenheiten wird beschnitten.
GZ: Können Sie dazu konkrete Beispiele nennen?
Gros: Nehmen Sie das „Europäische Standardisierte Merkblatt“, besser bekannt als ESIS-Merkblatt. Es soll die Konditionen von Immobilienkrediten vergleichbarer machen. Das ist ein kundenfreundlicher Ansatz, weil Hauskäufer das für sie passende Finanzierungsangebot auswählen können. In der Praxis sorgt ein Konstruktionsfehler beim ESIS-Merkblatt mitunter aber nicht für mehr, sondern für weniger Transparenz. Der Grund dafür ist, dass die Banken einen Effektivzins angeben und hier neben den regelmäßigen Zinszahlungen auch die Kosten für eine obligatorische Feuerversicherung einrechnen – wenn sie eine solche mit anbieten. Andere Kreditinstitute, die so einen Schutz nicht selbst anbieten, müssen zwar ebenfalls eine Absicherung sicherstellen. Schließt der Kunde aber bei einem anderen Anbieter ab, werden die Beiträge dafür nicht im Effektivzins berücksichtig. Die Kreditangebote sind also gar nicht mehr vergleichbar und das Merkblatt führt schlicht in die Irre.
GZ: Sie sagten, Kunden würden durch gesetzliche Vorgaben beim Abschluss von Bankgeschäften behindert. Wie äußert sich das in der Praxis?
Gros: Das äußert sich beispielsweise in Form der sogenannten Ex-ante-Kosteninformation. Seit Inkrafttreten der MiFID-II-Regeln ist vorgeschrieben, dass jeder Anleger, der einen Fondsanteil oder eine Anleihe kaufen möchte, vorher eine Aufstellung der damit verbundenen Kosten erhalten muss. Für Kunden, die nur gelegentlich mit Wertpapieren zu tun haben, ist das hilfreich.
Bei Anlegern, die ihre Orders regelmäßig telefonisch an die Bank übermitteln, wirkt das wie ein Bremsklotz. Denn die Kostenübersicht darf vor der Ordereingabe nur über ein Postfach im Onlinebanking-Portal oder per E-Mail bereitgestellt werden. Ist beides nicht vorhanden, was bei einigen Kunden nach wie vor der Fall ist, darf die Transaktion nicht ausgeführt werden. Selbst dann nicht, wenn der Kunde bewusst auf die Information verzichten möchten, weil er ohnehin Bescheid weiß.
GZ: Das heißt, selbst Börsenprofis werden vor sich selbst beschützt …
Gros: Die Kunden werden bevormundet. Dafür gibt es übrigens mit der seit Januar geltenden Aufzeichnungspflicht von telefonischen Wertpapierorders ein weiteres Beispiel, das schon für viel Kopfschütteln gesorgt hat. Seit Anfang des Jahres muss die Bank Beratungsgespräche mitschneiden. Die Kunden dürfen nicht verzichten, obwohl das viele gerne möchten. Aber der Gesetzgeber hat schlicht keine Wahlfreiheit vorgesehen. Insbesondere erfahrene Anleger, die mit Risiken und Kosten einer Wertpapieranlage vertraut sind, können das nicht nachvollziehen.
GZ: Wie gehen die Kunden mit solchen Stolpersteinen um?
Gros: Die Kunden verlieren im schlimmsten Fall das Interesse an einer Beratung. Das ist durchaus nachvollziehbar, weil die Regulierung selbst alltägliche Bankgeschäfte verkompliziert.
GZ: Und die Banken? Laut Bafin haben einige Institute die Wertpapierberatung zurückgefahren oder sogar eingestellt, weil ihnen der bürokratische Aufwand zu hoch ist …
Gros: Die Strukturen verändern sich tatsächlich schon. Auch von den Volksbanken und Raiffeisenbanken in Bayern haben sich bereits einige aus der Wertpapierberatung zurückgezogen - oder zumindest ihr Angebot eingeschränkt. Das hat unsere Umfrage eindeutig gezeigt.
Als Konsequenz droht den Verbrauchern eine regulierungsbedingte Servicewüste mit limitierten Beratungsangeboten. Das kann nicht im gesellschaftlichen Interesse sein. Denn angesichts der demografischen Entwicklung und der anhaltenden Niedrigzinsphase ist qualifizierte Finanzberatung heute wichtiger denn je.
Sie ist der Schlüssel für eine zukunftsfeste und breit aufgestellte Altersvorsorge. Die Überprüfung des Verbraucherschutzes sollte deshalb zügig und mit großer Ernsthaftigkeit angegangen werden.
GZ: Herr Dr. Gros, vielen Dank für das Interview!
Dr. Jürgen Gros, Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern. r
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