Interviews & Gesprächezurück

(GZ-21-2020)
GZ-Interview mit GVB-Präsident Dr. Jürgen Gros
 

► GZ-Interview mit GVB-Präsident Dr. Jürgen Gros:

 

Genossenschaften sind Krisenlöser

Corona und kein Ende. Die Rolle der Kredit- sowie der Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften während der Krise sowie weitere aktuelle politische Herausforderungen standen im Zentrum eines Gesprächs von GZ-Chefredakteurin Constanze von Hassel mit dem Vorstandsvorsitzenden und Präsidenten des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB), Dr. Jürgen Gros.

Dr. Jürgen Gros, Vorstandsvorsitzender und Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). Bild: GVB
Dr. Jürgen Gros, Vorstandsvorsitzender und Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). Bild: GVB

GZ: Herr Dr. Gros, starten wir mit dem alles beherrschenden Thema: Corona mischt die Karten neu. Wie kommen die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken bislang durch die Krise?

Gros: Nach dem 3. Quartal können wir von einem guten Geschäftsjahr für die Volksbanken und Raiffeisenbanken in Bayern sprechen. Die wichtigen Geschäftsfelder verzeichnen einen weiteren Zuwachs. Dabei ist insbesondere das Kreditgeschäft sowohl im Firmenkunden- als auch im Privatkundenbereich auf Wachstumskurs.

Nicht nur Bankdienstleistungen

GZ: Gibt es einen Bedarf an „Neuen Regelungen“ oder Hilfeleistungen von Banken für private Kunden und Firmenkunden?

Gros: Zu Beginn der Corona-Krise im Frühjahr haben die Kreditgenossenschaften nicht nur klassische Bankdienstleistungen erbracht, sondern sind sowohl den Firmen- als auch den Privatkunden weit über ihren eigentlichen Auftrag hinaus zur Seite gestanden. Bei der Frage nach staatlichen Hilfsmaßnahmen waren sie für zahlreiche Firmenkunden erster Ansprechpartner, obwohl dies nicht ihre Kernaufgabe ist.

Im Bewusstsein, regionale Hausbank zu sein, halfen sie bei der Beantragung staatlicher Leistungen und Förderkredite. Über die staatlichen Moratorien hinaus haben die Volksbanken und Raiffeisenbanken ihre Moratorien für Firmenkunden und Privatkunden verlängert, um Tilgungsaussetzungen bis ins nächste Jahr hinein gewähren zu können. Dies war im Übrigen gar nicht so einfach, galt es doch zu verhindern, selbst Dokumentations- und Regulationspflichten aufgebürdet zu bekommen.

Ressourcen im Kampf gegen die Folgen der Pandemie

GZ: Wie beurteilen sie den aktuellen Zustand der Finanzierungsbedingungen für Unternehmen?

Gros: Die Finanzierungsbedingungen sind nach wie vor gut und die Kreditablehnungsquoten nach wie vor niedrig. Damit das so bleibt, muss auch die Politik ihren Beitrag leisten. Wegen Corona wurde die Basel-III-Finalisierung, bei der es unter anderem um Rahmenbedingungen für die Mittelstandsfinanzierung geht, verschoben. Das ist zu begrüßen.

Die Banken sollen ihre vollen Ressourcen im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie einsetzen können. Die Krise hat deutlich gezeigt, dass viele regulatorische Anforderungen nicht mittelstandsfreundlich sind. Nicht umsonst waren der Gesetzgeber und die Aufsichtsbehörden monatelang damit beschäftigt, entsprechende Nachjustierungen vorzunehmen. Hier gilt es nachzuarbeiten, denn die Regulatorik muss krisenfest sein.

GZ: Was brauchen jetzt regionale Finanzinstitute, um der gebeutelten Wirtschaft adäquat zur Seite zu stehen?

Gros: Bereits im Frühjahr haben wir einen runden Tisch mit Vertretern aus Politik, Aufsicht, Realwirtschaft und Banken angeregt, um die Bankenregulierung einem Fitness-Check zu unterziehen. Denn die Regulatorik muss überprüft werden. Unser Eindruck ist, dass Politik und Aufseher dies verstanden haben. Mittlerweile ist auch einiges in Gang gekommen, die Stoßrichtung passt, aber an den Feinheiten gilt es noch zu arbeiten.

Manches ist mehr Schein als Sein. Dazu zählt das vom Bundeskabinett auf den Weg gebrachte Risikoreduzierungsgesetz, das als große Erleichterungsmaßnahme auch für regionale Banken gepriesen wird. Bei genauerem Hinsehen kommen einem hier allerdings erhebliche Zweifel. Strengere Regeln bei der Kapitalisierung von Banken sind aus meiner Sicht nationales Goldplating.

GZ: Was ist damit gemeint?

Gros: Goldplating ist die Verschärfung von EU-Richtlinien durch den nationalen Gesetzgeber. Im konkreten Fall geht es darum, dass der nationale Gesetzgeber Eigenkapitalbestandteile nicht anerkennen möchte, die der europäische Gesetzgeber überhaupt nicht in Frage gestellt hat.

GZ: Eine Pleitewelle konnte vorerst vermieden werden, allerdings geht vielen langsam die Puste aus – siehe Veranstaltungsbranche. Wie wird sich eine Insolvenzwelle auf die Volksbanken und Raiffeisenbanken auswirken? Bei steigenden Kosten und einem sinkenden Zinsüberschuss wird auch das Betriebsergebnis zurückgehen. Gibt es einen Plan, wie mögliche Kreditausfälle aufgefangen werden können?

Gros: Fakt ist, dass die Banken ihre Kreditportfolien intensiv überwachen, es bislang keine Anzeichen für eine Pleitewelle und damit auch keine Anhaltspunkte für Kreditausfälle bei den Volksbanken und Raiffeisenbanken gibt. Deshalb bin ich sehr verärgert über Studien, die eine Pleitewelle für Regionalbanken prognostizieren. Das ist aus der Luft gegriffen und hat keine Basis. Dies bestätigt uns im Übrigen auch die Bankenaufsicht.

In Summe sind die mittelständischen Kunden der genossenschaftlichen Bankengrupp bislang sehr gut durch die Krise gekommen. Insofern gehen wir davon aus, dass die Wertberichtigungen auf Kredite dieses Jahr keine nennenswerte Rolle spielen werden.

Herausforderung für 2021

Die Herausforderung für 2021 wird gleichwohl sein, dass die Unternehmensbilanzen flächendeckend schlechter ausfallen. Möglicherweise werden sich dadurch für einige Branchen die Ratingeinstufungen verschlechtern – mit allen Konsequenzen auch für die Eigenkapitalunterlegung bei den Banken.

GZ: Wie wichtig ist in Krisenzeiten das Wertpapiergeschäft? Mein Eindruck ist, dass es nach einem großen Knick relativ stabil weiter aufwärts geht. Ist das nicht eigenartig zu einem Zeitpunkt, da die Realwirtschaft gerade ins Straucheln kommt?

Gros: Seit Corona verzeichnen die Volksbanken und Raiffeisenbanken eine äußerst hohe Nachfrage nach Beratung zum Thema Wertpapieranlage. Dass sich die Bürger weitaus mehr als in früheren Jahrzehnten mit der Frage nach Alternativen zum Sparkonto beschäftigen, ist sehr lobenswert.

Dazu zählt auch das heuer sehr stabile Wertpapiergeschäft – auf mittlere Sicht die ertragsreichere Anlagevariante, wie sich allmählich herumspricht. Dieser möglicherweise durch Corona beförderte Bewusstseinswandel trägt der Tatsache Rechnung, dass die Menschen das Niedrigzinsumfeld wahrnehmen und sich folglich über eine individuell sinnvolle Geldanlage informieren und letztlich auch investieren.

Das spricht für eine positive Erwartungshaltung, was die weitere wirtschaftliche Entwicklung angeht. Im Übrigen kann von einer breiten Wirtschaftskrise keine Rede sein. Die Corona-Krise verläuft sehr asymmetrisch auch innerhalb einzelner Branchen. Während beispielsweise die Gesundheits-, IT- und Chemiebranche durchaus zu den Corona-Profiteuren zählen, sind unter anderem Teile der Lebensmittelbranche erheblich betroffen – allerdings sehr unterschiedlich. Beispiel Milchsektor: Wer den Einzelhandel beliefert, hatte starke Umsatzmonate. Wer auf den Export oder Großmärkte spezialisiert war, hatte im Frühjahr ein schweres Dasein.

Der Exporteinbruch nach China zeigte volle Wirkung. Gleiches galt für Italien, das als Absatzmarkt für Bayern traditionell von besonderer Bedeutung ist. Ein Drittel der gesamten bayerischen Exportmenge an Milchprodukten fließt normalerweise dorthin. Und auch ein wesentlicher Absatzkanal war verstopft. Denn in den Großmärkten fehlten aufgrund der Schließungen Hotellerie und Gastronomie als Abnehmer.

Umsteigen auf digital veränderte Prozesse

GZ: Thema Digitalisierung: Verschiebt sich die persönliche Beratung ans Telefon/ins Internet? Wie wichtig ist noch der persönliche Kontakt zum Bankberater? Wie bereit ist die Kundschaft umzusteigen auf digital veränderte Prozesse, wie zum Beispiel kontaktloses Zahlen?

Gros: Klar ist: Der Omnikanal-Vertrieb muss weiterhin gestärkt werden. Für die Kunden müssen die Banken auf allen Kanälen erreichbar sein. Corona hat die Digitalisierung in den Banken nochmals ein Stück befördert. Wir haben diverse Offensiven gestartet, sowohl was die digitale Nutzung und Erreichbarkeit der Bank als auch was das digitale Bezahlen anbelangt. Deswegen war es auch hilfreich, dass für das kontaktlose Zahlen die Zahlgrenze auf 50 Euro erhöht wurde.

GZ: Ist das jetzt das Ende des Bargelds?

Gros: Das glaube ich nicht. Während der Pandemie mag sich der eine oder andere wohler fühlen, wenn er kein Bargeld in die Hand nehmen muss. Hinzu kommt, dass digitales Bezahlen für Unternehmen vielleicht sogar die günstigere Variante darstellt, weil sie weniger Geld zur Bank bringen und weniger Münzen vorhalten müssen. Ungeachtet dessen bleibt Bargeld ein Stück Freiheit und wird Bestand haben.

GZ: Wie hat sich das Kundenverhalten entwickelt? Nutzen sie verstärkt die digitalen Kanäle?

Gros: Insgesamt hat der Kunde gelernt, dass er bestimmte Serviceleistungen auch selbst digital abwickeln kann. Gleichwohl bleibt der Wunsch nach persönlicher und intensiver Beratung erhalten, vor allem wenn es um komplexere Sachverhalte geht. Das betrifft sowohl Fragen von Finanzierungen und Geldanlagen, aber auch den Abschluss von Versicherungen. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken sind starke Beratungsbanken. Ihre Erreichbarkeit ist genauso gegeben wie früher, als man noch für sämtliche Geschäfte persönlich in der Filiale erscheinen musste. Das ist und bleibt unser Anspruch.

GZ: Stichwort Klima und Nachhaltigkeit: Das Thema ist gerade wohl etwas nachrangig, betrachtet man zum Beispiel die Heizpilz-Diskussion. Energiegenossenschaften sind oftmals das Ergebnis, wenn eine Gemeinschaft im Sinne des Klimaschutzes handeln will. Wie ist es um die Entwicklung der Energiegenossenschaften bestellt?

Gros: Da muss ich Ihnen widersprechen. Das Thema Nachhaltigkeit ist für alle Mitgliedsgenossenschaften aktuell so präsent wie noch nie. Wir spüren das insbesondere auch im Bankenbereich. Dort setzt die Regulatorik sehr intensiv ein – Stichwort Green Finance.

Darüber hinaus wurde in diesem Jahr bereits die dritte EEG-Novelle vorgelegt. Für die Energiegenossenschaften ist es ein enormer Aufwand, sich ständig den neuesten Entwicklungen anpassen zu müssen. Fakt ist, dass kleinere genossenschaftliche Netzversorger von der Bundesnetzagentur zunehmend mit immensen regulatorischen Dokumentationsauflagen belastet werden. All das erschwert die regionale Energieversorgung.

Gleichwohl erhöht die Umweltdiskussion in ihrer ganzen Bandbreite – siehe Versorgungssicherheit, regenerative Energien, Elektromobilität, CO2-Reduktion usw. – den Druck auf die Politik, auch die Rahmenbedingungen für regionale Energie so zu gestalten, dass sie erfolgreich zum Einsatz kommen kann.

GZ: Die Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften sind neben den Volksbanken und Raiffeisenbanken die zweite stabile Säule. Wie steht es um deren Entwicklung?

Gros: Genossenschaften sind in über 35 Branchen tief in der bayerischen Wirtschaft verwurzelt. Die Entwicklung lässt sich noch nicht exakt abschätzen, der Verlauf ist aber wohl eher heterogen. Es gibt Genossenschaften in der Hotellerie, in der Gastrobranche oder im Kulturbereich (z.B. Kinos, Theater), die von langen Schließzeiten betroffen waren und sind.

Dagegen boomen Genossenschaften im Bereich IT und in einigen Bereichen der freien Berufe (Steuerberatung), weil es hier eine extrem hohe Nachfrage gab. Gleiches gilt für das Handwerk: Die Auftragsbücher sind gut gefüllt. Insgesamt sind die Genossenschaften aus meiner Sicht gut durch das Jahr gekommen. Abgerechnet wird freilich immer am Ende. Und wie schnell sich die Lage ändern kann, erleben wir in diesen Novembertagen.

GZ: Unsere Leser sind die kommunalen Entscheider in Bayern. Wie stellen Sie sich in Bezug auf Kommunen auf, welche Hauptthemen sehen Sie und wie können die Volksbanken und Raiffeisenbanken die Kommunen begleiten?

Gros: Wichtig ist zunächst ein gegenseitiges Verständnis für die jeweilige Situation des anderen. In den vergangenen Jahren ist hier viel gewachsen, beispielsweise wenn ich an die Konsolidierung der Filialstrukturen von Genossenschaftsbanken denke. Dabei geht es nicht darum, sich aus der Fläche zurückzuziehen, sondern sich so aufzustellen, dass auch künftig ein Beitrag für die Region geleistet werden kann, der mitunter sehr monetäre Ausprägungen hat.

Die Volksbanken und Raiffeisenbanken in Bayern zahlen jedes Jahr weit über 400 Mio. Euro Steuern, damit sind sie als Gruppe einer der größten Steuerzahler. Allein im Bankenbereich sichern die genossenschaftlichen Institute rund 30.000 Arbeitsplätze, über die gesamte genossenschaftliche Gruppe sind es fast 50.000 Arbeitsplätze im Freistaat. Auch das ist ein wesentlicher Beitrag zur regionalen Wertschöpfung. Die Kreditgenossenschaften sind die Banken der Region und wollen das auch in Zukunft bleiben. Dies ist ein klares Element ihrer Geschäftsausrichtung.

Luft nach oben sehe ich zum Beispiel beim Thema Energie. Der Mehrwert regionaler Energieerzeuger sollte hier noch deutlich besser kommuniziert werden. Windräder beispielsweise können eine Gemeinde als wichtiger Gewerbesteuerzahler durchaus finanziell bereichern. Auch könnten Kommunen und Energiegenossenschaften die Landespolitik dafür sensibilisieren, dass es weiterhin möglich sein muss, Photovoltaik-Dachanlagen zu errichten und dass gleichzeitig für die Betreiber sinnvolle politische Rahmenbedingungen gesetzt werden.

Der Geist der modernen Gesellschaft

GZ: „Der Geist der freien Genossenschaft ist der Geist der modernen Gesellschaft“, stellte Hermann Schulze-Delitzsch vor 150 Jahren fest. Passt der genossenschaftliche Solidargemeinschaftsgedanke noch in unsere Zeit? Ist die Idee von Selbstverantwortung, Selbsthilfe und Selbstverwaltung zukunftsfähig und wagen Sie eine Prognose auf die nächsten 150 Jahre?

Gros: Selbstverantwortung und Selbsthilfe sind konstituierende Momente der Sozialen Marktwirtschaft. Insofern ist dieses Zitat aus dem 19. Jahrhundert nach wie vor gültig. Das zeigt auch die Tatsache, dass sich Genossenschaften immer wieder erfinden und gründen – heuer sind es bislang 15. Einige sind noch im Entstehen, das geht vom Gesundheits- und Palliativbereich über den Dienstleistungs- bis hin zum Energiebereich. Eine bunte Mischung also.

Regional löst global ab. Das ist die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung. Genossenschaft ist letztlich die Übersetzung von regional. Schauen Sie sich die Volksbanken und Raiffeisenbanken an: Sie sind einer der wichtigen Stützpfeiler der regionalen Wirtschaft. Wie wichtig es ist, dass es Banken gibt, die aktiv auf ihre Kunden zugehen und sie begleiten, zeigt sich doch in der Corona-Krise.

GZ: Herr Dr. Gros, herzlichen Dank für das Gespräch!

DK

 

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