Interviews & Gesprächezurück

(GZ-15/16-2022)
Landkreis Weilheim-Schongau: Aktiv gegen den Fachkräftemangel
 

► Landkreis Weilheim-Schongau - Aktiv gegen den Fachkräftemangel:

 

Deutschlands modernste Berufsschule ist in Betrieb

„Das Handwerk ist Rückgrat und Herz unseres Landkreises und auch für die Industrie unentbehrlich. Unserem handwerklichen und industriellen Nachwuchs bieten wir in dieser Schule exzellente Ausbildungsbedingungen. Diese Schule ist Teil unserer Zukunft“, so unterstreicht Landrätin Andrea Jochner-Weiß im Grußwort zur Festbroschüre die Bedeutung des Projekts. Die Idee, die Berufsschule zu modernisieren geht noch auf Altlandrat Luitpold Braun zurück. Von den ersten konkreten Planungen bis zur Fertigstellung sind inzwischen 10 Jahre vergangen. Jetzt werden 1.600 Auszubildende an der neuen Berufsschule in 60 Berufen ausgebildet. 73,5 Mio. Euro investierte der Landkreis für den Neubau, wobei 30 Mio. Euro Förderung an den Landkreis zurückflossen. Durch einen entsprechenden Bebauungsplan hat auch die Stadt Weilheim großen Anteil daran, dass für die Schule ein geeigneter Standort direkt neben dem alten Gebäude, das nun als Wohnheim dienen soll, gefunden werden konnte. In einem Hintergrundgespräch erläutern Kreiskämmerer Norbert Merk, Leiter der Bauverwaltung Florian Steinbach und Projektleiter Philipp Rehm die ihnen gestellten Herausforderungen.

V.l.: Dipl.-Ing. (FH Kufstein) Florian Steinbach, Leiter der Kommunalen Bau- und Liegenschaftsverwaltung, Kreiskämmerer Norbert Merk und Dipl. Ing Architekt im Fachbereich Hochbau am Landratsamt Philipp Rehm. Bild: Landkreis Weilheim-Schongau
V.l.: Dipl.-Ing. (FH Kufstein) Florian Steinbach, Leiter der Kommunalen Bau- und Liegenschaftsverwaltung, Kreiskämmerer Norbert Merk und Dipl. Ing Architekt im Fachbereich Hochbau am Landratsamt Philipp Rehm. Bild: Landkreis Weilheim-Schongau

Was fühlen Sie, wenn dieses Riesenprojekt nun abgeschlossen ist?

Norbert Merk: Glück und Dankbarkeit, dass es ohne größere Unfälle und Probleme über die Bühne ging. Dass es keine größeren Konflikte gab, stattdessen nur Reibungen mit positiver Energie. Und auch Stolz, weil wir den finanziellen und zeitlichen Rahmen weitgehend eingehalten haben.

Florian Steinbach: Es ist ein echter Meilenstein unserer Arbeit. Es waren intensive Jahre, auf die Fertigstellung der Schule hinzuarbeiten. Nun ist das, was wir geplant haben, endlich in der Nutzung.

Philipp Rehm: Am wichtigsten ist, dass Schüler und Lehrer angekommen sind, sich zurechtfinden und zu Hause fühlen.

Was macht das architektonische Entwurfskonzept aus?

Rehm: Es ist ein neuer Stadteingang, und damit für die Stadt Weilheim ein echtes Schmuckstück. Auf dem Grundstück harmonisch platziert, hat es genug Licht und Blick nach Süden, ist verkehrstechnisch gut angebunden. Die Gebäudeform ist – mit nicht nur rechten Winkeln – sicher ungewöhnlich. Dadurch aber im Inneren leichter begreifbar, da man kürzere Flurabschnitte hat. Ansonsten entstand ein Zentralbau mit zwei Geschossen und zwei Gebäudeflügeln in H-Form. Durch die Lichthöfe innen haben wir einen starken Außenbezug.

Was macht die Bauweise aus?

Merk: Ein konventioneller Massivbau, rational gewählt für diese Nutzung. Das Gebäude weist hohe Flexibilität durch die Zwischenwände in Mauerwerksbauweise für künftige Anpassungen auf, oben schließt ein schöner Sichtdachstuhl aus Holz mit Edelstahldach und großzügiger Photovoltaikanlage ab.

Was war die größte Herausforderung bei diesem Bau?

Steinbach: Für uns, diese vielen unterschiedlichen Anforderungen unter einen Hut zu bringen. Die Berufsschule besteht eben nicht nur aus lauter Klassenräumen, sondern aus vielen verschiedenen Werkstätten. Daher mussten wir zahlreiche Fachkompetenzen einbinden in der Planung. Auf diese Weise erreichten wir ein sehr hohes Niveau an handwerklicher Atmosphäre, verbunden mit einer vorbildlichen Umsetzung der Anforderungen an die Arbeitssicherheit.

Merk: Für mich dagegen war es der gesamte politische Prozess, den ich begleiten durfte: Vom Beschluss eines Neubaus, den Grundstückserwerb über den Entwurf und sämtliche planerische Feinheiten, die bis zur Fertigstellung eingearbeitet wurden.

Die Gebäudetechnik ist überwiegend unverkleidet. Warum?

Rehm: Dies war eine bewusste Entscheidung. Zum einen ist eine unverkleidete Gebäudetechnik preisgünstiger, zum anderen flexibler, da man diese jederzeit an neue Bedürfnisse anpassen kann, etwa wenn man zusätzliche Leitungen durch neue Standards benötigt – ein Riesenvorteil! Außerdem wird an dieser Schule berufliches Wissen gelehrt: Den Schülerinnen und Schülern sind gewerbliche Gebäude und Baustellen vertraut, wo Kabeltrassen offen sichtbar sind. Darum passt das ganz gut.

Nachhaltig, barrierefrei und ästhetisch bauen und dabei die Kosten im Blick haben – wie geht das?

Merk: Das ist nur möglich durch die konzertierte Gemeinschaftsleistung aller Handelnden aus allen Bereichen. Extrem wichtig war das frühzeitige Einbinden der unterschiedlichsten Ebenen der vier Ps: Politik, Planung, Projektsteuerung und Personal der Schule. Hier haben alle an einem Strang gezogen.

Rehm: Die genannten Vorgaben sind heutzutage eine riesige Herausforderung – und solche Faktoren werden immer mehr. Bei der Nachhaltigkeit geht es vor allem um die ökologische Materialwahl und um deren Dauerhaftigkeit. Bei Barrierefreiheit um Zugänglichkeit, die Ästhetik betrifft unter anderem die Belichtung: Dies alles sind kostenrelevante Dinge, die zusätzlich zur Haustechnik dazukommen. Auch unter dem Aspekt der Digitalisierung: Verschattung, Zutrittstechnik und Belichtung, die digital gesteuert werden. Hier sind Bauherr und Planer von Anfang an stark in ihrer Kompetenz gefordert, dass man hier noch wirtschaftlich agiert.

Leitsystem

Die Berufsschule ist mit einem Leitsystem ausgestattet. Wie funktioniert das?

Steinbach: Jedes öffentliche Gebäude hat ein in sich schlüssiges grafisches Konzept, mit dem Gäste sich zurechtfinden sollen. Unseres ist eng abgestimmt mit Rettungskräften und Polizei, damit diese sich schnell und klar im Gebäude orientieren können. Für Treppenhäuser, Flure und Knickpunkte braucht es dafür eindeutige Bezeichnungen. Unser Leitsystem ist grafisch hochwertig und günstig in der Umsetzung. Mit Klebefolien hinter Glas kann es bei Bedarf jederzeit angepasst werden.

Mancher mag einwenden: Wozu ist eine Berufsschule für Handwerksberufe barrierefrei?

Rehm: Barrierefreiheit wird gern mit Rollstuhltauglichkeit gleichgesetzt. Die aktuelle Norm berücksichtigt zusätzlich Schwächen in einzelnen Sinnen: Jemand, der nicht so gut sieht oder hört, ist davon genauso betroffen. Barrierefreiheit versucht auch, die Sicherheit zu gewährleisten. Was passiert, wenn jemand, der nicht so gut hört – und durchaus eine Schreinerausbildung machen kann! –, auf der Toilette den Feueralarm nicht wahrnimmt? Es ist entscheidend, dass jede wichtige Information im Haus jeden erreicht, egal welche Beeinträchtigungen er hat. Auf dieser Basis wurde die gesamte Planung gemacht. Daher gibt es auf den Toiletten zusätzlich zum akustischen Signal ein optisches. Wir haben natürlich auch für Sehbehinderte – etwa für Eltern und Lehrkräfte gleichermaßen – eine taktile Führung vom Gehsteig bis zum Haupteingang, sowie eine rollstuhlgerechte Anbindung durch Aufzüge und Automatiktüren und selbstverständlich rollstuhltaugliche Toiletten.

Ein besonderes Merkmal sind die integrierten Fachräume.

Merk: Dies ist ein didaktisches Konzept, das an Schulen weiterentwickelt wurde. Hier wird nicht mehr getrennt, dass die Praxis in der Werkstatt stattfindet und die Theorie im Klassenraum. Hier hat man etwa in der Kfz-Werkstatt Schulbänke mit der klassischen Ausstattung. Man zeigt den Schülern, wie ein Motor funktioniert. Man kann beispielsweise im hinteren Teil den Motor demonstrieren und zerlegen. Dies schafft einen modernen Unterricht aus einem Guss im Sinne eines dualen Unterrichts aus Theorie und Fachpraxis. Gerade der Einsatz digitaler Unterrichtsmittel wird immer wichtiger für die Kompetenz des handwerklichen Nachwuchses.

Neubau oder Sanierung

Warum fiel die Entscheidung für einen Neubau und gegen eine Sanierung?

Merk: Eine Sanierung hätte sechs bis acht Jahre Baustelle im laufenden Betrieb bedeutet und unter dem Strich genauso viel gekostet wie der Neubau, aber mit unverhältnismäßig höheren Betriebskosten. Durch die Investitionsfolgekostenbetrachtung wurde sichtlich, dass bei 50 Jahren Laufzeit in der Variante „Neubau“ 15 Mio. Euro an Lebenszykluskosten gegenüber der Sanierung eingespart werden.

Verwaltung und Planung haben mit einer Überschreitung des Budgets von 70 Millionen Euro um nur drei Millionen Euro eine relative Punktlandung hingelegt. Wie geht das?

Merk: Durch mehrere Faktoren. Zum einen durch Glück, da wir rechtzeitig begonnen haben und von Corona, den Lieferengpässen und Preissteigerungen dadurch kaum betroffen waren. Durch Geschick, weil wir strukturiert von Anfang bis Ende an die Dinge herangingen. Und die optimalen Strukturen gewählt hatten – nämlich politische Unterstützung. Außerdem: Das Team muss funktionieren. Zwischen Planung, Bauherr, Projektsteuerung und Kostenkontrolle muss ein enger Austausch stattfinden. Und als letztes: Man braucht Disziplin und starke Nerven.

Steinbach: Wenn man den beschlossenen Kostenrahmen zum Entwurf betrachtet, die zusätzlichen Ausstattungswünsche und die reale Steigerung der Baukosten addiert, ist man finanziell sogar ziemlich genau dort, wo wir heute angekommen sind.

73 Millionen Euro hören sich nach viel Geld an. Zu viel für den Landkreis Weilheim-Schongau?

Merk: Auch als Kämmerer, der in Bayern die höchste Kreisumlage zu verantworten hat, sage ich hier ganz klar: Nein. 43 Millionen Euro kamen vom Landkreis, 30 Millionen Euro kamen vom Freistaat Bayern. Über die BayernLabo können Kommunen Förderkredite für Investitionen in die allgemeine kommunale und soziale Infrastruktur in Anspruch nehmen; in unserem Investitionszeitraum glücklicherweise sogar zu 0,0 Prozent Zinsen, auf zehn Jahre fest. Das haben wir zweimal in Anspruch genommen, was natürlich der Zinsbelastung und dem Schuldenportfolio gutgetan hat. Für die Restfinanzierung mussten dann nochmal klassische Kommunalkredite über zehn und zwölf Mio. Euro aufgenommen werden, übrigens ebenfalls bei der BayernLabo. Aber unterm Strich ist dies eine Investition in die Zukunft: Die Schüler dieser Berufsschule werden dank ihrer hochqualifizierten Berufe eines Tages in ihrer Gemeinde zur Einkommenssteuer beitragen oder Gewerbesteuer entrichten, wenn sie sich selbstständig machen: ermöglicht durch eine anspruchsvolle Ausbildung in dieser Schule.

Was genau hat das Gebäude so kostenintensiv gemacht?

Merk: Dass man letztlich mehrere mittelständische Unternehmen in einem Gebäude unterbrachte, zusätzlich zum Schulinventar: eine Schreinerei, ein Bauunternehmen, eine Zimmerei, ein Kfz-Betrieb, einen metallverarbeitenden Betrieb und ein mittelständisches Malerunternehmen. Und da reden wir nur über die Ausstattung.

Steinbach: Kostenintensiv war vor allem die schiere Größe des Gebäudes. Zusätzlich musste ein Großteil der Maschinenausstattung neu beschafft werden, um einen zeitgemäßen Unterricht zu ermöglichen.

Rehm: Vermutlich hätte mancher Handwerksbetrieb gerne solche Werkstätten auf so hohem Niveau in seinem Firmengebäude.

Wäre das Ganze ohne die Förderung des Freistaats machbar gewesen?

Merk: Wenn der politische Wille da ist, ist zwar manches möglich. Aber realistisch gesehen, wäre es nicht machbar gewesen.

 

Über die Personen:

Norbert Merk: Jahrgang 1962, ist seit 2012 Kreiskämmerer und war seit dem ersten Tag in die Diskussionen und Planungen zur Berufsschule involviert.

Philipp Rehm: Jahrgang 1977, Dipl. Ing Architekt im Fachbereich Hochbau am Landratsamt, stieg 2017 während der Entwurfsplanung in das Berufsschulprojekt ein.

Florian Steinbach: Dipl.-Ing. (FH Kufstein), Jahrgang 1975, hat das Projekt als Leiter der Kommunalen Bau-und Liegenschaftsverwaltung eng begleitet.

 

 

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