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(GZ-7-2022)
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Der neue Kulturtotalitarismus

„Kann man Dreads jetzt nicht mehr tragen, einfach weil man sie schön findet?“ Unser Rathauskater Pino ist irritiert, dass sich unsere woke und verbohrte Jugend das Recht herausnimmt, allein aufgrund von Äußerlichkeiten Rückschlüsse auf eine vermeintlich rassistische Grundeinstellung ziehen zu dürfen.

Der Krieg gegen die Ukraine und die dort lebenden Menschen hält uns weiter in Atem, da ist es tröstlich zu wissen, dass es in unserer Republik noch andere wichtige Dinge gibt, die die Aufmerksamkeit fesseln können. Dazu gehört ganz sicher der Kampf gegen jede Form von Rassismus. Das mag jetzt aus der Feder einer Rassekatze etwas ungewöhnlich klingen, da wir Katzen uns ja mächtig was auf unsere Abstammung zugutehalten, aber Rassismus als Abwertung eines anderen Menschen aufgrund seiner Hautfarbe oder seines Herkommens ist doch was Ekliges.

Was ich jetzt gelernt habe ist, dass man als Mensch schon Rassist ist, wenn man Bräuche oder Verhaltensweisen einer anderen Kultur adaptiert. Und zwar auch dann, wenn man etwas adaptiert, weil man es schätzt und ehren will. Also wenn eine weiße Sängerin die aus ästhetischen Gründen durchaus zu hinterfragenden, aus verfilzten Haaren bestehenden Dreadlocks trägt, muss sie sich, so erst in Hannover geschehen, nicht wundern, wenn sie unter dem Vorwurf der kulturellen Aneignung nicht vor den woken Kids von Fridays for Future singen darf. Dreads dürfen nur dunkelhäutige Menschen tragen – punktum.

Herrlich, wie verbohrt und apodiktisch schon Teens sein können. Natürlich auch uninformiert, denn sein Haar verfilzt zu tragen war schon am Hof des Dänenkönigs Christian IV der dernier crie, ganz zu schweigen von den pfiffigen Soldaten der frühen Neuzeit, die verfilztes Haar im Nacken zum Schutz vor Säbelhieben trugen.

Es mag daran liegen, dass ich ein alter Kater bin, aber mir ist dieses Konstrukt der kulturellen Aneignung einfach nicht eingängig. Will denn ein dunkelhäutiger Amerikaner, der sich für einen Wiesnbesuch (für alle, die es in der Pandemie vergessen haben sollten: Die Wiesn war mal ein großes Volksfest in Mün-chen) einen Trachtenanzug anzieht, seine Verachtung für die bayerische Kultur ausdrücken? Darf denn dann wenigstens der dunkelhäutige Mann, der im Schwabinger Krankenhaus geboren und in Neuhausen aufgewachsen ist, den Trachtenanzug tragen? Denn der ist ja zweifellos ein Bayer.

Ziemlich ratlos stehe ich auch vor dem sogenannten blackfacing, einer anderen Variante angeblicher kultureller Aneignung, die von Aktivisten und Aktivistinnen zelotisch bekämpft wird. Dabei geht es darum, dass sich hellhäutige Menschen schwarze Farbe ins Gesicht schminken, um wie ein dunkelhäutiger Mensch zu wirken. Das hat eine lange Tradition bei den Sternsingern, denn die populäre Vorstellung geht davon aus, dass die Drei Weisen aus dem Morgenland aus zwei hellhäutigen und einem dunkelhäutigen König bestanden. Warum auch nicht?

Dann geht es in die Gefilde des Dramas und der großen Oper. Shakespeare hat den Titelheld seines Stückes „Othello, der M. von Venedig“ (so wohl die neue korrekte Schreibweise, da Mohr mittlerweile leider auch zum rassistischen Wort erklärt wurde) als dunkelhäutigen Mann angelegt, genau wie Verdi seinen Otello. Seit Entstehung der Stücke wurde in der Regel ein Schauspieler oder ein Sänger im Gesicht dunkel geschminkt, um der Rolle gerecht zu werden.

Was ist zu tun? Nachdem mittlerweile auch Mädchen bei den Sternsingern mitmachen dürfen, kann man auch drei weiße Kinder ins Rennen schicken und wir zeigen halt nicht mehr, dass in unserer traditionellen Vorstellungswelt schwarze Menschen sowohl Weise als auch Könige sein konnten. Und die hohe Kunst? Da müssen wir es wohl in Zukunft wie das Münchner Gärtnerplatztheater machen, das einen Entrüstungssturm heraufbeschwor, als es die Rolle eines afroamerikanischen Jazzmusikers in einer 20er-Jahre-Oper mit einem weißen Bariton besetzte und ihm das Gesicht schwarz färbte: Der Bariton singt fortan ungeschminkt.

Ob das jetzt die BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) hierzulange glücklich macht? Oder die Aktivisten milder stimmt? Macht es die Welt zu einem besseren Ort? Mir jedenfalls fällt Helmut Qualtinger ein: „Toleranz ist vor allem die Erkenntnis, dass es eh keinen Sinn hat, sich aufzuregen.“

Ihr Pino

Pino

 

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