Mit seinem Fahrplan für mehr Mobilität in Bayern hat die Bayerische Staatsregierung Weichen für die Zukunft gestellt. Unter anderem werden 100 Millionen Euro zusätzlich in den öffentlichen Nahverkehr investiert. Begrüßt wird diese Mobilitätsoffensive sowohl von der VDV-Landesgruppe Bayern als auch dem Landesverband Bayerischer Omnibusunternehmen (LBO), die beide insgesamt über 1.200 Verkehrsunternehmen im Freistaat vertreten. Welche Maßnahmen aktuell für eine (sofortige) Verbesserung des ÖPNV erforderlich sind, darüber sprachen die Präsidenten von VDV-Bayern und LBO, Dr. Robert Frank und Dr. Sandra Schnarrenberger, mit der Bayerischen GemeindeZeitung.
GZ: Der ÖPNV entwickelt sich in Deutschland zunehmend zum Rückgrat der Mobilität für die meisten Bevölkerungsgruppen. Die Menschen verzichten gerade in den Städten und Ballungsräumen bewusst auf den eigenen Pkw, weil das Nahverkehrsangebot sukzessive verbessert und ausgebaut wird. Wie kann die Qualität des ÖPNV weiter gesteigert und wie können damit immer mehr Menschen zum Umstieg bewegt werden?
Dr. Frank: Die Qualität im ÖPNV kann in der Tat noch deutlich gesteigert werden: Die Verbesserung der Basis-Tugenden Zugänglichkeit, Zuverlässigkeit, Frequenz und Sauberkeit unserer Fahrzeuge und Anlagen, sind ein Gebot der Stunde. Wird dies durch eine höhere Kapazität, Vernetzung mit anderen Verkehrssystemen, Echtzeitinformation und noch besseren Komfort z.B. durch W-LAN und Vollklimatisierung ergänzt, bestehen gute Chancen auf Fahrgastgewinne. Daneben ist es aber auch eine Frage der eigenen Bequemlichkeit und der Einschätzung der tatsächlichen Kosten der Nutzung des eigenen Pkws. Viele Menschen sprechen sich für einen Ausbau des ÖPNV aus, begründen aber gleichzeitig, warum die Nutzung für sie nicht oder nur kaum in Frage kommt.
Dr. Schnarrenberger: Das Thema Mobilität, Verkehrswende und Digitalisierung auch unter Berücksichtigung der Stärkung des öffentlichen Verkehrs wird in den nächsten Jahren das zentrale Kernthema sein. Gemeinsam mit unseren Unternehmen wollen wir in Bayern den Mobilitätswandel zukunftsorientiert und konstruktiv mitgestalten. Der ÖPNV mit Bussen ist in Bayern ein wesentlicher Bestandteil der Verkehrsinfrastruktur und garantiert die Anbindung von ländlichen Regionen mit den städtischen Bereichen. Es gilt zukünftig, noch weitere attraktive Tarifangebote auch außerhalb der Verbünde anzubieten und zu fördern. Durch regelmäßige Haltestellenbedienung, optimale Vernetzung und Abstimmung des Liniennetzes sowie die Verknüpfung und Anbindung an die Schiene soll eine größtmögliche Mobilität zu günstigen und attraktiven Tarifen sichergestellt werden.
GZ: Kurzfristige Lösungen der Verkehrs- und Umweltprobleme in den Städten sind gefragt. Man denke hier an den Euro VI Diesel-Bus …
Dr. Frank: Unsere Dieselbusse mit Euro VI-Standard sind nicht der Verursacher der Verkehrs- und Umweltprobleme. Sie fallen allein zahlenmäßig im Vergleich zu den Pkws und Lkws kaum ins Gewicht. Durch die Bündelung von Fahrgästen und Vermeidung einer Vielzahl von Einzelfahrten im Pkw tragen sie hingegen maßgeblich zur Luftreinhaltung, zum Klimaschutz und zur Lärmminderung bei. Mehr ÖPNV bei gleichzeitigen Restriktionen für den MIV sind hier die erforderliche Lösung.
Dr. Schnarrenberger: Schon heute tragen die Busunternehmen in Bayern zur Luftreinhaltung bei. Wir können und wollen unseren Anteil am öffentlichen Verkehr weiter erhöhen. Busse und Bahnen bündeln die Verkehrsströme, vermeiden Individualverkehr und schonen die Ressourcen – wir stehen bereit, noch mehr Fahrgäste vom Auto für den Umstieg in den öffentlichen Nahverkehr zu gewinnen, dafür brauchen wir mehr Investitionen und höhere Fördergelder.
Der weitaus größte Teil der Busse im Freistaat Bayern wird gegenwärtig mit Dieselmotoren betrieben, andere Antriebstechniken wie Erdgas, Hybrid und Elektro machen zusammen keine drei Prozent aus. Rund 30 bis 35 Prozent der eingesetzten Dieselbusse verfügen über einen umweltfreundlichen Dieselmotor der Euro VI-Norm. Grundsätzlich verschließen wir uns nicht der Diskussion, auf noch umweltfreundlichere Technologien umzusteigen. Diese müssen aber auch zukunftsfähig, zuverlässig und wirtschaftlich sein.
GZ: Der umweltfreundliche Busverkehr ist also Teil der Lösung. Seit etwa vier Jahren setzen die deutschen Verkehrsunternehmen im städtischen Nahverkehr batteriebetriebene Elektrobusse ein, um den pro Fahrgast ohnehin schon geringen Emissionsausstoß im Linienbusverkehr weiter zu senken. Wie sind hier Ihre Erfahrungen?
Euro VI-Dieselbus ist Teil der Lösung
Dr. Frank: Die Erfahrungen zeigen, dass wir auf einem guten Weg sind. Aber nach wie vor handelt es sich um Vorserienfahrzeuge, die zudem in der Anschaffung sehr teuer sind. Aber wir werden den Weg und die Erprobung konsequent weiterverfolgen. Aber nochmal: Ein Euro VI-Dieselbus ist nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung. Die schnelle Modernisierung der deutschen Busflotten auf Euro VI ist der richtige Ansatz, ergänzt durch einen schrittweisen Einstieg in innovative Antriebssysteme, der nicht nur den batteriebetriebenen Elektrobus, sondern auch synthetische Kraftstoffe/Biofuels zweiter Generation, Brennstoffzelle und Gasmotor umfassen sollte.
Dr. Schnarrenberger: In einigen bayerischen Städten (u.a. Burghausen, Bad Neustadt a. d. Saale) laufen zurzeit Elektrobusse im Testbetrieb. Allerdings ist eine kurzfristige flächendeckende Umstellung der Busflotten auf Elektro-Antrieb gegenwärtig noch nicht realisierbar, sowohl aus wirtschaftlichen als auch leistungsfähigen Gründen. Es wird also noch einige Zeit dauern, bis Elektrobusse flächendeckend zum Einsatz kommen können.
Der Euro 6 Motor neuester Bauart ist hingegen sofort verfügbar, zeichnet sich durch minimale Abgaswerte aus und ist außerordentlich wirtschaftlich. Für unsere privaten Busunternehmen ist es wichtig, dass die Förderung von Elektrobussen, die gegenwärtig an eine Mindestabnahme von fünf Fahrzeugen gekoppelt ist, noch mittelstandsfreundlicher ausgestaltet wird.
GZ: Ein Hemmnis für weiteres Wachstum im städtischen ÖPNV stellt vor allem der zunehmende infrastrukturelle Modernisierungs- und Ausbaubedarf dar. Es fehlen die finanziellen Mittel für die Erneuerung von Strecken, Haltestellen und Bahnhöfen. Was ist zu tun?
Dr. Frank: Ja, es ist richtig, dass wir in den letzten Jahren durch die zu geringen finanziellen Mittel sowohl einen enormen Sanierungsstau angehäuft haben, als auch nicht in dem Umfang neu und ausgebaut haben, wie es notwendig gewesen wäre. Neben dem geplanten Aufwuchs des Bundes-GVFG auf perspektivisch 1 Mrd. Euro pro Jahr hat auch der Freistaat Bayern das Problem erkannt und reagiert, wie die Mitteleinstellung im Doppelhaushalt 2019/2020 zeigt. Wichtig ist jetzt, dass diese Gelder auf diesem Niveau nun für viele Jahre erhalten bleiben und nicht im nächsten Haushalt wieder gekürzt werden.
Dr. Schnarrenberger: Ein wichtiger Punkt, um die Verkehrswende zu realisieren, ist, die dafür notwendige Infrastruktur zu schaffen. Hierfür brauchen wir eine nachhaltige Finanzierung in den nächsten Jahrzehnten. Dies bedingt eine Erhöhung der GVFG-Mittel. Eine stabile, langfristige Finanzierung ist Voraussetzung für attraktive Mobilitätsangebote im ÖPNV. Mit Blick auf die zukünftigen umwelt- und klimapolitischen Ziele und Herausforderungen im Verkehrsbereich müssen zeitnah Lösungen gefunden werden.
365-Euro-Jahresticket
GZ: Einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung des ÖPNV leisten die Fahrgäste. Die Verkehrsunternehmen investieren dabei jeden Euro aus den Fahrgeldeinnahmen direkt wieder in den Betrieb. Dafür sind die Ticketeinnahmen der Kunden eine zentrale Einnahmequelle. Nun gibt es auch in Bayern Bestrebungen, die Ticketpreise im ÖPNV deutlich zu reduzieren. Angedacht ist zunächst ein 365-Euro-Jahresticket für Schüler und Auszubildende. Ihre Meinung?
Dr. Frank: Nicht zielführend und auch nicht notwendig! Das Schlimmste, was uns passieren könnte ist, dass unsere Verkehrsunternehmen in den Ballungsräumen als Reaktion überrannt werden und in den Spitzenzeiten die vielen zusätzlichen Fahrgäste gar nicht mitnehmen können, weil unsere Fahrzeuge schon jetzt voll sind. Bleibt auch die Frage, wer die Erlösausfälle regelmäßig, zuverlässig und auch bei einem Rückgang der Steuereinnahmen zu 100 Prozent ersetzt?
Dr. Schnarrenberger: Einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung des ÖPNV leisten in der Tat die Fahrgäste, deren Ticketeinnahmen für die Verkehrsunternehmen eine unverzichtbare Einnahmequelle darstellen. Zurzeit gibt es auch in Bayern viele Überlegungen, reduzierte Ticketpreise im ÖPNV anzubieten. Hier wird es aber wichtig sein, die Balance zu finden. Kundenbedürfnisse sollten selbstverständlich Berücksichtigung finden, aber auch die Machbarkeit und natürlich die Finanzierung müssen geprüft und gesichert sein. Sicher ist ein 365 Euro-Jahresticket ein interessantes Angebot.
Allerdings ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt zunächst mal sicherzustellen, dass auch die Infrastruktur gewährleistet ist. Busse und Bahnen im städtischen Bereich sind heute bereits sehr gut ausgelastet und kommen in der Hauptverkehrszeit schon an ihre Kapazitätsgrenzen. Wenn man mehr Verkehr umlenken möchte auf den ÖV, dann müssen auch die entsprechenden Maßnahmen und Rahmenbedingungen vorher getroffen werden, um die notwendigen Mehrkapazitäten bereithalten zu können.
GZ: Die 2013 in Kraft getretene Novelle des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) enthält auch neue Regelungen zur Barrierefreiheit. Die Aufgabenträger werden darin verpflichtet, in den Nahverkehrsplänen die Belange von in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, bis 2022 eine vollständig barrierefreie Nutzung der öffentlichen Nahverkehrsangebote zu erreichen. Wie stehen Sie dieser Novelle gegenüber?
Dr. Frank: Das ist grundsätzlich eine ebenso kluge wie richtige Maßnahme. Ich denke aber, wir werden im Hinblick auf die baulichen Maßnahmen hier einfach mehr Zeit brauchen.
Dr. Schnarrenberger: Das Thema Barrierefreiheit und Gleichstellung mobilitätsbeeinträchtigter Personen steht bereits seit vielen Jahren auf der Agenda und gewinnt auch zunehmend an Bedeutung im ÖPNV. Was die Fahrzeuge unserer Busunternehmen im ÖPNV anbelangt, sind diese größtenteils schon mit einem Hublift bzw. mit einer Niederflurtechnik ausgestattet. Ergänzend hierzu muss aber auch die Infrastruktur an den Haltestellen und Busbahnhöfen von den Kommunen entsprechend barrierefrei gestaltet werden. Wichtig ist es, praxisgerechte Lösungen gemeinsam vor Ort mit den Kommunen, den Behindertenbeauftragten und Unternehmen zu finden.
Schwarzfahren ist Straftatbestand
GZ: Stichwort Entkriminalisierung des Schwarzfahrens: Wie beurteilen sie die Forderung des Deutschen Richterbundes, das Schwarzfahren im ÖPNV über die Errichtung von Zugangsbarrieren einzudämmen?
Dr. Frank: Wie sollen die denn aussehen? Schranken, Schiebetüren oder Drehkreuze in bestehende Infrastrukturen einzufügen, ist horrend teuer und hemmt auch den Fahrgastfluss. Meines Erachtens können und müssen wir über eine angemessene Kontrolldichte diesem Problem begegnen, welches im Übrigen ein Straftatbestand bleiben muss.
Dr. Schnarrenberger: Wir halten eine Herabstufung des Schwarzfahrens zu einer Ordnungswidrigkeit für nicht zielführend. Schwarzfahren muss eine Straftat im Sinne des Strafgesetzbuches bleiben. Der Grund ist einfach: Es muss für Personen, die Leistungen in Anspruch nehmen ohne dafür zu bezahlen, klare und abschreckende Konsequenzen geben. Die Forderung nach Zugangsbarrieren ist an Bushaltestellen kaum zu realisieren und ist auch kontraproduktiv vor dem Hintergrund der ab 2022 gesetzlich normierten vollständigen barrierefreien Nutzung der öffentlichen Verkehrsangebote.
GZ: Sharing-Angebote erfreuen sich in Städten wachsender Beliebtheit. Diese Angebote müssen möglichst gut und sinnvoll mit dem öffentlichen Verkehr verzahnt und digital vernetzt werden. Wie kann dies konkret funktionieren?
Dr. Frank: Der Ausbau von Car-Sharing-Stationen im räumlichen Umfeld wichtiger Knotenpunkte ist grundsätzlich eine gute Sache und im App-Zeitalter auch gut darstellbar. Anders verhält es sich mit den sogenannten Free-floating Systemen. Hier müssen wir aufpassen, dass es nicht zu einer Kannibalisierung des ÖPNV kommt. Die Chancen der Digitalisierung durch flexible Sharing-Angebote zu nutzen ist sicherlich richtig, aber am besten durch eine Vernetzung und Integration mit dem ÖPNV und nicht gegen ihn.
Dr. Schnarrenberger: Das Thema „Multimodalität“ bzw. „Geteilte Mobilität“ steht sowohl im städtischen als auch im ländlichen Bereich in unserer Branche im Fokus der aktuellen politischen Diskussionen. Ziel muss es sein, ÖPNV-Angebote und andere Mobilitätskonzepte intelligent zu vernetzen, um die Verkehrs- und Klimaprobleme zu lösen. Car Sharing-Angebote, Fahrradverleihsysteme, Park + Ride- oder Bike + Ride-Anlagen sollen dazu beitragen, den Modal-Split zugunsten des öffentlichen Verkehrs weiter zu verbessern und leisten einen wesentlichen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz.
Moderne lT-gestützte Angebote, APP-basierte Vertriebswege und flexible Angebote wie On-Demand-Verkehre, Flexi-Bus-Systeme, Anruf-Linientaxis oder Marktsammeltaxis bieten hier bereits gute Möglichkeiten, die Systemvorteile des ÖPNV auch im kleinen Umfang zu realisieren. Im ländlichen Raum und in kleineren Städten sorgen bedarfsorientierte, bürgernahe, attraktive, verlässliche und praktikable Mobilitätskonzepte für eine spürbare Verbesserung des Mobilitätsangebots für alle Bevölkerungsgruppen. Und auch in den Ballungsräumen sind Sharing-Konzepte je nach Angebot eine sinnvolle Ergänzung zum bestehenden Nahverkehr.
GZ: Im Norden Münchens könnte in den kommenden Jahren eine urbane Seilbahn einen wichtigen Lückenschluss im öffentlichen Nahverkehrssystem bilden. Was halten Sie davon?
Dr. Frank: Wenn die Machbarkeitsstudie hier zu einem guten Ergebnis kommt: Warum nicht? Wir sollten uns hüten, reflexartig neue Ideen oder Techniken voreilig als „falsch“ zu brandmarken. Wenn es auf der Straße zu voll und unter der Straße zu teuer wird oder auch zu lange dauert, spricht nichts gegen die Nutzung des Luftraums, wenn die rechtlichen und planerischen Herausforderungen gelöst werden können.
Dr. Schnarrenberger: Der Bau einer urbanen Seilbahn im Münchner Norden ist sicher ein interessantes Gedankenspiel und könnte eine gute Alternative und Ergänzung zum bestehenden öffentlichen Nahverkehr darstellen. Vorteile sind sicher u.a. ein geringer Bodenverbrauch, ein vom übrigen Verkehr unabhängiger „Fahrweg“, geringe Emissionen und eine hohe Leistungsfähigkeit. Ob dieses Projekt in München realisiert werden kann, wird die in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie zeigen.
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