Interviews & Gesprächezurück

(GZ-10-2022)
Erster Bürgermeister der Gemeinde Haar, Dr. Andreas Bukowski. Bild: Gemeinde Haar
 

► GZ-Gespräch mit Dr. Andreas Bukowski, Bürgermeister der Gemeinde Haar:

 

Jugendstilpark-Haar kurz vor Fertigstellung - Ein neuer Stadtteil entsteht

Die Gemeinde Haar mit 22.800 Einwohnern liegt im Münchner Osten. Über die Gemeindegrenzen hinaus ist Haar bekannt wegen des psychiatrischen und neurologischen Krankenhauses des Bezirks Oberbayern, kbo Isar-Amper-Klinikum München-Ost. Die Einrichtung hat eine über 100-jährige Geschichte. Allerdings entsprachen die alten Gebäude schon lange nicht mehr den Anforderungen an ein modernes Krankenhaus und so wurde beschlossen einen Teil des Klinikgeländes zu veräußern, um damit einen Neubau zu finanzieren. Die Investorengruppen, die das Grundstück erwarben, waren verpflichtet, eng mit der Gemeindeverwaltung zu kooperieren. Nun steht das Projekt „Jugendstilpark Haar“ kurz vor der Fertigstellung. Mit Bürgermeister Dr. Andreas Bukowski sprach die GZ über die Herausforderungen, einen neuen Stadtteil baulich, technisch und sozial in das bestehende Gemeindeleben zu integrieren.

GZ: Neue Stadtviertel bedeuten für die bestehende Bevölkerung ein gewisses Maß an Offenheit. Was hat die Gemeinde unternommen, um sicherzustellen, dass kein Satellit hinter alten Klinikmauern, sondern ein lebendiger Teil der Gemeinschaft entsteht?

Dr. Andreas Bukowski: Schon seit den 1970er Jahren war die Klinik um Öffnung des Areals bemüht. Das Kleine Theater gehörte seither fest zum gemeindlichen Leben. Der Park mit seinem wertvollen Baumbestand war immer frei zugänglich.

Das städtebauliche Konzept des Jugendstilparks sieht nun ein reines Wohn-Areal in dieser historischen Parklandschaft vor. Die großzügigen Binnenflächen mit Wegen, Plätzen und Einfriedungen sowie der alte Baumbestand mit offener Vernetzung zum Landschaftraum im Süden (Bannwald) und zu den angrenzenden Siedlungsgebieten der Gemeinde sollten erhalten und in neues Gesamtkonzept einbezogen werden. Der Jugendstilpark erhielt weitere Zuwegungen durch neue öffentliche Straßen und Wege. Durchgangsverkehr wird es allerdings bewusst nicht geben. Darüber hinaus wurden, in enger Abstimmung mit dem Denkmalamt, ehemalige forensische Mauern um einzelne Gebäude zurückgebaut, um zusätzliche öffentliche Grün- und Parkflächen zu erhalten.

Erschließungsarbeiten

GZ: Auf dem Gelände waren immer Menschen untergebracht. Trotzdem musste die Infrastruktur auf Vordermann gebracht werden. Bitte skizzieren Sie, welche Erschließungsarbeiten auf die Gemeinde zukamen. Waren die Gebäude ungenutzt als mit den Arbeiten begonnen wurde?

Bukowski: Die Patientinnen und Patienten wurden allesamt vor Beginn der Umbauarbeiten verlegt. Zunächst mussten alle Ver- und Entsorgungsleitungen (Wasser, Strom, Kanal) sowie alle Straßen- und Wegeflächen erneuert werden. Zusätzlich mussten Versorgungsleitungen für die Fernwärme, für die Telekommunikation und für die Breitbandversorgung verlegt werden.

GZ: Die Gemeindeverwaltung hat sich entschieden per Ausschreibung einen Erschließungsträger zu suchen. Beauftragt wurde schließlich Bayerngrund. Wo sehen Sie die Vorteile in der Zusammenarbeit mit einem Erschließungsträger?

Bukowski: Der Erschließungsträger übernimmt die Planung, die bauliche Umsetzung sowie die Abrechnung der Kosten. Eine Gemeindeverwaltung der Größe Haars kann ein solch großes Baugebiet wie den Jugendstilpark nicht schultern. Wir hätten weitere Projekte zurückstellen müssen. Darüber hinaus wäre der gemeindliche Haushalt durch Zwischen- und Vorfinanzierungen belastet worden, was den Handlungsspielraum der Gemeinde erheblich eingeschränkt hätte. Ein Erschließungsträger ist dafür spezialisiert und kann dies in einem kurzen zeitlichen Zusammenhang professionell durchführen.

GZ: Welche Besonderheiten waren aus Denkmalschutzsicht zu berücksichtigen?

Bukowski: Der Jugendstilpark ist ein Gesamtdenkmal, das bedeutet, die Baudenkmäler und der historische Park- und Freiraum sind untrennbar miteinander verbunden. Insofern bedarf jede Veränderung sowohl bei den Gebäuden als auch bei den Grünflächen sowie den Straßen- und Wegen als rechtliche Grundlage eines rechtskräftigen Bebauungsplans und zusätzlich einer denkmalschutzrechtlichen Erlaubnis. So musste für die Veränderung der Freiflächen zur Schaffung neuer öffentlicher Grünflächen und auch für den Straßen- und Wegebau eine eigene denkmalschutzrechtliche Erlaubnis eingeholt werden.

Dies führte beispielsweise auch dazu, dass die historische Straßenbeleuchtung aus der Bauzeit (zwischen 1906-12) konserviert sowie nach historischem Vorbild rekonstruiert werden musste, um die öffentlichen Straßen- und Wege im historischen Kernbereich auszuleuchten. Dazu wurden Farb- und Materialproben entnommen und Archivbilder ausgewertet, um dem historischen Original möglichst nahe zu kommen.

Erinnerungskultur

GZ: Auch die Geschichte des Geländes braucht eigenen Raum. In NS-Zeiten wurde hier Menschen unsagbar schreckliches Leid zugefügt. Wie sind Sie der historischen Verantwortung gerecht geworden?

Bukowski: Das Kunstwerk „Restlicht“ des Münchner Künstlers Werner Mally, wurde von der Gemeinde und der Klinik gemeinschaftlich erworben und in der Mitte des Jugendstilparks aufgestellt, um an diese Zeit zu erinnern. Die Edith-Hecht-Straße, an der die zweite gemeindliche Kita des Areals liegt, ist nach einem Euthanasieopfer der Klinik, einem jungen Mädchen, benannt. Der Max- Mannheimer- Ring schließlich, ist dem früheren Haarer Bürger und KZ- Überlebenden gewidmet.

GZ: Neben dem Denkmalschutz spielt auch der Naturschutz eine große Rolle, schließlich handelt es sich um einen Park mit großem und altem Baumbestand. Wie wurde der Naturschutz mit in die Planung einbezogen?

Bukowski: Es wurde ein umfassender Umweltbericht erstellt, in dem die Erfassung und die Beurteilung aller umweltfachlichen Aspekte dokumentiert wurden. Ein Beispiel: So wurde der vorhandene Baubestand erfasst, kartiert und bewertet. Die Datei liegt der Gemeinde nun vor und so kann die Gemeinde den Zustand des Baumbestandes durch regelmäßige Kontrollen exakt dokumentieren. Der Artenschutz wurde in einer speziellen artenschutzrechtlichen Beurteilung erfasst und bewertet. Hieraus erfolgen zahlreiche artenschutzrechtliche Maßnahmen, wie zusätzliche Nistkästen für Vögel und Fledermäuse, und die Festlegung von Biotopräumen. Bei der Beschaffung der Straßenbeleuchtung wurde auf insektenfreundliche LE-Leuchtkörper geachtet. Die Erschließungsbaumaßnahmen werden umweltfachlich begleitet.

GZ: Was für Ausgleichsflächen wurden angelegt?

Bukowski: Der naturschutzfachliche und waldrechtliche Ausgleich wurde durch drei verschiedene Maßnahmen auf insgesamt 10 ha umgesetzt. Alle Flächen befinden sich im naturräumlichen Zusammenhang mit der Fläche des Jugendstilparks innerhalb des Gemeindegebietes. Neben der Herstellung eines artenund strukturreichen Wiesenkomplexes und einer Streuobstwiese mit alten Sorten wurde auch ein Laubmischwald mit gestuften Waldrändern gepflanzt.

GZ: Gibt es etwas, dass Sie gerne vorher gewusst hätten und das Sie unseren Leserinnen und Lesern jetzt als guten Tipp empfehlen würden?

Bukowski: Nein, gibt es eigentlich nicht. Ich kann jeder Gemeinde eigentlich nur empfehlen, die komplexe Aufgabe der Errichtung und Abwicklung von Erschließungsmaßnahmen für große Neubaugebiete und deren Abrechnung in professionelle Hände zu geben. Dies entlastet die Verwaltung, den gemeindlichen Haushalt und führt für den oder die Bauträger zu einem schnellen Baurecht.

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Jugendstilpark Haar.
Jugendstilpark Haar.

 

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