(GZ-9-2023) |
► GZ-Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. F. Wolfgang Günthert: |
Gemeinschaftsaufgabe Starkregenvorsorge |
Am 1. Juni 2016 hing stundenlang eine mit extrem viel Wasser aufgeladene „Mega-Gewitterzelle“ über Simbach am Inn fest. Innerhalb weniger Stunden regnete es etwa 160 Liter Wasser auf einen Quadratmeter ab. Die Folgen: Die Innenstadt überschwemmt, mehr als 400 Gebäude überflutet, sieben Menschen verloren ihr Leben. Die heiße Jahreszeit, in der diese Ereignisse verstärkt auftreten, steht nun wieder vor der Tür. GZ-Chefredakteurin Constanze von Hassel sprach deshalb mit Reg. Baum. Prof. Dr.-Ing. F. Wolfgang Günthert, ehem. Prof. für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik an der Universität der Bundeswehr München und Mitglied im Forschungszentrum RISK sowie Vorsitzender des Deutschen Expertenrats für Umwelttechnologie und Infrastruktur e.V. über die Thematik „Starkregen“.
GZ: Starkregenereignisse treffen auch Bayern: Was ist Starkregen, wo kann er auftreten und ist zu erwarten, dass er künftig häufiger auftritt? Wolfgang Günthert: Von Starkregen spricht man bei großen Niederschlagsmengen je Zeiteinheit. Der Deutsche Wetterdienst warnt in drei Stufen:
Starkregen kann überall auftreten. In Bayern gab es in jüngster Zeit die meisten Ereignisse im Norden und im Süden, wobei die Menschen im Alpenbereich besser vorbereitet sind, da dort schon immer größere Niederschlagsintensitäten aufgetreten sind und die Topografie zu höheren Abflüssen führt. Die Extremereignisse werden weiter zunehmen, dafür sorgt der Temperaturanstieg. Erstaunlicherweise bleibt aber die Niederschlagsmenge, über das Jahr betrachtet gleich, was zum Ausgleich mit längeren Trockenperioden führt. Starkregenüberflutung vs. Hochwasserüberschwemmung GZ: Was ist der Unterschied zwischen Hochwasserüberschwemmung und Starkregenüberflutung? Günthert: Starkregen tritt kleinräumig und plötzlich – ohne Vorwarnzeit – auf. Bei Hochwasser weiß man in der Regel einige Tage vorher Bescheid. Außerdem sind die Anwohner an Gewässern für das Thema sensibilisiert. Bei Starkregen ist das nicht der Fall, gerade dadurch wird das „Hochwasser von oben“ viel gefährlicher. Wichtig ist auch ein anderer Aspekt: Alles, was Hochwasser betrifft, ist durch das Wasserhaushaltsgesetz perfekt geregelt (§§ 72-74). Für Starkregenereignisse gibt es diese Regelungen, auch bzgl. Zuständigkeiten, nicht. GZ: Wie werden Starkregen gefährdete Gebiete erkannt und ermittelt? Günthert: Das Land Bayern hat Hinweiskarten-Oberflächenabfluss (HiOS) erarbeitet, aber noch nicht veröffentlicht. Allerdings werden auch diese Karten das Gefährdungspotenzial nicht gebäudegenau abbilden. Dafür müssen Ingenieurbüros zur Erstellung von Gefahrenkarten beauftragt werden. Kommunen können für diese Analysen Fördermittel beantragen. Die erste Anlaufstelle ist hier immer das eigene Wasserwirtschaftsamt. Allerdings haben sich erst gut 100 Kommunen, von über 2.000 in Bayern, dieses Themas angenommen. Der Haken an der Sache: Die Analyse des Starkregenrisikos wird gefördert, die zu ergreifenden Maßnahmen hingegen nicht. Einige wenige Kommunen, Passau in Niederbayern und Adelsdorf in Franken z.B., haben bereits Starkregenfrühalarmsysteme, die über sehr kleinräumig verteilte Sensoren funktionieren und auch die Bürger informieren. Das ist die Zukunft. Besonders gefährdete Gebiete GZ: Welche Gebiete und Objekte sind besonders gefährdet? Günthert: Wasser fließt nach unten, daher sind Tallagen und Senken besonders gefährdet. In urbanen Räumen sind es Unterführungen, Tiefgaragen und Keller, grundsätzlich alles, was sich unter der Geländeoberkante befindet. Ich persönlich würde niemals ein Schlafzimmer im Keller zulassen oder Dinge, die mir wichtig sind, im Keller aufbewahren. Alle unwiederbringlichen Dinge, die z.B. die Menschen im Ahrtal im Keller hatten, sind weg. Das „Glück“ in Simbach war, dass die Katastrophe tagsüber passierte, denn diese Ereignisse treten so plötzlich auf, dass niemand davon im Schlaf überrascht werden sollte. Im Grunde sollte es eine Art jährliche Kaminkehrerüberprüfung für genau diese Bereiche geben. So hat man schließlich auch die verheerenden Feuersbrünste der Vergangenheit in den Griff bekommen. Wer weiß denn schon, ob das eine Haus über eine Rückstausicherung gegen in der Kanalisation eingestautes Abwasser verfügt, bzw. ob diese auch funktioniert? Wenn die Kanalisation bei Starkregen ein- oder überstaut ist, dann laufen die Keller ohne Rückstausicherung bis zur Straßenoberkante voll, und zwar mit allem, was normalerweise über den Kanal abtransportiert wird. Gemeinschaftsaufgab GZ: Wessen Aufgabe ist es vorzusorgen? Günthert: Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Die staatliche Wasserwirtschaftsverwaltung sollte endlich die HiOS-Karten (Hinweiskarten Oberflächenabfluss und Sturzflut ) zur Verfügung stellen, die von den Gemeinden als Basis für die eigene Analyse verwendet werden können. Die Kommune muss selbst eruieren, wo sich besonders gefährdete Objekte, wie Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und Altenheime, befinden, denn diese Personenkreise benötigen im Katastrophenfall besonderen Schutz. Außerdem gehört wassersensibles Planen und Bauen zur Vorsorge. Baugebiete dürfen nur ausgewiesen werden, wenn sichergestellt ist, dass keine Überflutungs-Gefahren drohen. Vom „Schwammstadt-Konzept“ der DWA und weiteren, am Bau tätigen, Verbänden (www.schwammstadt.bayern) sollte jede Kommune inzwischen gehört haben. Eine Schwammstadt hält das Wasser in der Fläche. München, bspw., ist zu 50 Prozent versiegelt. Das bedeutet, dass immense Wassermengen nicht versickern können und, über die Kanalisation, aus der Stadt geleitet werden. Aber wir brauchen den Regen dort, wo er fällt! Pflanzen brauchen Wasser, es sorgt für Verdunstung und Kühlung und trägt zur Grundwasserneubildung bei. Deshalb müssen wir unser Niederschlagswasser zurückhalten , speichern und nutzen, dürfen es nicht abfließen lassen, was zudem bei den Unterliegern zu Überschwemmungen führen kann. Entscheidend ist auch eine gute Kommunikation der Starkregengefahren und der Vorsorge! Regensburg, z.B., hat eine Klimaresilienzmanagerin, die Informationen für die Bürgerschaft aufbereitet und weitergibt. Es kann nur Bewusstsein bei den Betroffenen geschaffen werden, wenn die Menschen informiert sind. Zur Kommunikation gehört auch, dass Behörden sich trauen, nein zu sagen: Wohnraum im Souterrain: nein; Bauen auf der nassen, überschwemmten Wiese: nein. Und schließlich muss sich jeder Grundstückseigentümer fragen, was er oder sie selbst zu seinem Schutz tun kann. Übrigens schließt ein begrüntes Dach eine Nutzung mit Photovoltaik nicht aus. Genauso kann der Zielkonflikt mit der Barrierefreiheit gelöst werden. Der Vorteil, wenn alles von Anfang an zusammen gedacht wird: Schutz vor Überflutungen und Verbesserung der Grundwasserneubildung, ich tu etwas fürs Stadtklima und die Biodiversität , alles mit einer grünen und blauen Infrastruktur, die obendrein auch schön anzuschauen ist. GZ: Vielen Dank für das Gespräch! CH
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