Interviews & Gesprächezurück

(GZ-9-2023)
GZ-Gespräch mit Gerline Augustin
 

► GZ-Gespräch mit Gerline Augustin:

 

Kooperation und Partnerschaft - Gerlinde Augustin in den Ruhestand verabschiedet

Vorstand Sailer: „Glücksfall für unsere Dörfer und Kommunen“

Nach 27 Jahren wurde Gerlinde Augustin als Geschäftsführerin der SDL Thierhaupten kürzlich in den Ruhestand verabschiedet. Im Rahmen einer Festveranstaltung im ehemaligen Benediktinerkloster wurden ihre weitreichenden Leistungen gewürdigt.

Als „Unternehmerin und Netzwerkerin, die die Schule zu einer Marke entwickelte“, bezeichnete der schwäbische Bezirkstagspräsident und SDL-Vorstandsvorsitzende Martin Sailer die scheidende Geschäftsführerin. Dass Gerlinde Augustin Anfang der 1990er Jahre damit betraut wurde, die Schule der Dorf- und Landentwicklung aufzubauen, sei „ein absoluter Glücksfall für unsere Dörfer und Kommunen, für Kommunalpolitikerinnen und -politiker, und für die Bürgerinnen und Bürger in der Region“ gewesen. Die SDL sei zu einer wahren Vorzeige-Institution geworden, wenn es darum geht, den ländlichen Raum mit Leben zu füllen. „Das ist auch und in besonderem Maße Frau Augustin zu verdanken“, stellte Sailer fest.

In seinem Festvortrag würdigte der Gründungsvater der Bayerischen Schulen für Dorf- und Landentwicklung, Prof. EoE Holger Magel, Gerlinde Augustin als „Person, die die Köpfe und Herzen der Menschen erreicht hat“. Er wies darauf hin, wie wichtig ihr Beitrag für die Entwicklung der Bildungseinrichtung und der ländlichen Regionen gewesen sei. „Mit Fachkompetenz, Beharrlichkeit und dem richtigen Gespür für Menschen hat sie bleibende Akzente gesetzt“, beschrieb Magel Augustins Wirken.

Ein Raum der Weiterentwicklung

Ihre pionierhaften Seminare für Kommunalpolitikerinnen hob Erste Bürgermeisterin Christel Muggenthal aus der Gemeinde Wörthsee hervor: „Sie hat Frauen Mut gemacht, in die Politik zu gehen“. Mit einem Begleitprogramm für Frauen in Politik und Ehrenamt sei in der SDL ein Raum für die Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen und die Begleitung innerhalb einer Wahlperiode geschaffen worden. Augustin habe zudem immer wieder wertvolle Informationen in verschiedenen fachlichen Veranstaltungen vermittelt, lobte die Rathauschefin.

Gerlinde Augustin bedankte sich für „die wunderbare Aufgabe, diese Schule aufbauen zu dürfen“. Sie habe der Einrichtung ihre eigene Handschrift geben und wichtige Impulse setzen können, die in der Region Wirkung entfachten. Die vielen positiven Rückmeldungen von Teilnehmern und Moderatoren seien ihr Lebenselixier gewesen. Nun könne sie ein gut bestelltes Haus an ihre Nachfolgerin Theresa Schäfer übergeben.

Eine besondere Auszeichnung für Gerlinde Augustin: Leonhard Rill, Leiter der Verwaltung für ländl. Entwicklung, übergab der scheidenden SDL-Chefin den bayerischen Löwen. Bild: SDL Thierhaupten
Eine besondere Auszeichnung für Gerlinde Augustin: Leonhard Rill, Leiter der Verwaltung für ländl. Entwicklung, übergab der scheidenden SDL-Chefin den bayerischen Löwen. Bild: SDL Thierhaupten

Für die Bayerische GemeindeZeitung unterhielt sich die Journalistin Gisela Goblirsch mit der langjährigen Chefin der SDL Thierhaupten.

GZ: In der Zeitung stand, ein Stadtmensch benötige etwa drei Tage Zeit, bis er sich an Natur oder Wildnis gewöhnt hat. Vor drei Tagen haben Sie die Schule der Dorf- und Landentwicklung in Thierhaupten verlassen, die Sie aufgebaut und knapp 30 Jahre lang geführt haben. Sind Sie im Ruhestand schon angekommen?

Gerlinde Augustin: Oh nein, da bin ich noch lange nicht angekommen. Momentan bin ich dabei die „Fanpost“ zu beantworten und mich über die unglaublich große Wertschätzung beim Abschied zu freuen.

GZ: Sie waren die Chefin der bedeutensten Bildungseinrichtung für den ländlichen Raum. Ist das heute der richtige Zeitpunkt, um ein Gespräch zu führen?

Augustin: Ja. Unbedingt. Es ist für mich eine Wende eingetreten. Der Druck ist weg – oder besser gesagt, er schleicht langsam aus. Und das habe ich auch versucht. Ich wollte mich langsam auszuschleichen, denn die Zeit verändert sich sehr. Neue Themen im ländlichen Raum treten auf, neue Fragestellungen entstehen und für mich war das genau der richtige Zeitpunkt, um zu gehen. Nicht weil es mich nicht mehr interessiert – im Gegenteil! Eben weil es mich interessiert. Da musste ich mir überlegen, ob ich dafür noch leistungsfähig genug bin.

Wenn man den Hl. Benedikt zitiert, dann muss man die Jungen fragen, wenn es um die Zukunft geht. Die neue Generation muss ins Boot und sie muss gestalten dürfen. Ich wollte rechtzeitig den Weg freimachen, stehe aber mit meiner Erfahrung noch zur Verfügung.

GZ: Wenn Sie zurückblicken: was hätten Sie vielleicht anders machen können?

Augustin: (Denkt lange nach) Das überrascht mich jetzt selbst. Aber tatsächlich hätte ich in der Rückschau inhaltlich absolut nichts anders machen wollen. Vielleicht hätte ich manchmal besser auf meine Gesundheit schauen sollen. Ich gebe zu, dass ich geackert habe wie ein Ochse im Pflug und das hat schon an der Gesundheit gekratzt. Aber ich wollte ja Dinge voran bringen. Ich wollte ja, dass die drängenden Themen im ländlichen Raum irgendwo besprochen werden und dass Lösungen erarbeitet werden. Das hab ich immer ganz vorne hingestellt. Rückblickend kann ich sagen: es hat alles sehr gut gepasst, so wie es gelaufen ist.

GZ: Sie sind Geografin. Erzählen Sie mir etwas darüber, wieso die Geografie für Ihre Tätigkeit eine Rolle gespielt hat.

Augustin: Mein Studium hat mir von Anfang an sehr viel genutzt. Da war meine Diplomarbeit, die sich um wirtschaftsgeografische Strukturanalyse drehte. Ich habe die Dorfentwicklung in Walkershofen untersucht und Perspektiven entwickelt. Und das war einfach „mein Thema“. Ich habe zu den Leuten gepasst, zur Region. Eigentlich wollte ich weit weg, aber das Schicksal hat mich immer wieder hierher geführt und irgendwann hab ich das halt angenommen und bin in der Region geblieben. Und was mich am meisten verblüfft, ist die Tatsache, dass ich mir in den Ämtern für Ländliche Entwicklung als Geografin zwischen lauter Vermessungsingenieuren eine echte Anerkennung erarbeiten konnte.

Möglicherweise lag das an meinen pragmatischen Lösungen, an meinem Organisationstalent, am Teamgeist, oder am Fleiß. Jedenfalls wurde mir die Stelle als Geschäftsführerin angeboten.

Fundamentale Veränderungen

GZ: Chefin einer solchen Einrichtung zu sein – ist das eher eine Verwaltungs- oder eine Gestaltungsrolle? Wie frei in der Gestaltung sind Sie gewesen?

Augustin: Da bin ich so unglaublich dankbar, dass ich wirklich frei war in meinen Entscheidungen. Es war ja nichts vorhanden. Wir haben ja von Null angefangen mit dieser SDL. Natürlich musste ich meine Vorstellungen in alle Ebenen hineinspielen und einiges kam den Entscheidern schon irgendwie suspekt vor – ich denke da an die Idee, Seminare für Bürgermeisterinnen anzubieten. Aber offensichtlich konnte ich überzeugen. Das freut mich.

Gestaltung war nötig. Der ländliche Raum hat sich in der Zeit fundamental verändert. Er ist vielfältiger geworden, diverser. Doch ein ganz großes Thema war die Aufnahme von Geflüchteten. Da habe ich alte Ängste hochkommen sehen. Deshalb hat die SDL ja auch sofort mit Seminaren rund um das Thema begonnen. Wenn Sie mich fragen: Wir in Europa sollten sehr genau bedenken, woher unser Wohlstand kommt. Der ist auf dem Rücken der Dritten Welt entstanden. Für mich ist das beschämend. Wir stehen da einfach in der Pflicht. Aber es macht mich wiederum stolz, wie toll die Kommunen mit der Herausforderung umgegangen sind. Soziale Arbeit und Bildung ist enorm wichtig in dieser Welt und ich würde mir wünschen, dass die Menschen hier mehr nachdenken und nicht anfällig werden für menschenverachtende Parolen. Wir als Bildungsanbieter müssen deutlich gegensteuern.

Immer eine Lösung in der Schublade

GZ: Meinen Sie, ihre Nachfolgerin wird eine ähnliche Entscheidungsfreiheit haben?

Augustin: Theresa Schäfer wird das rocken! Sie hat in dem Jahr, das wir gemeinsam in Thierhaupten verbracht haben, einen so tollen Auftritt hingelegt. Sie ist genau die richtige Person am richtigen Platz. Ich bin sicher, sie lässt sich nicht beirren. Sie wird neue, treffende Angebote für die Menschen und die Entscheider im ländlichen Raum finden und auch die Finanzierung sichern. Außerdem hat sie Humor und der ist die Basis dafür, dass Menschen zusammenfinden. Also wenn ich echt beruhigt in den Ruhestand gehe, dann liegt das sicherlich an ihr und an dem neuen, jungen Team, das ich aufbauen konnte – auch mit großer Unterstützung der Verwaltung für Ländliche Entwicklung.

GZ: Sie haben jetzt die Gelegenheit etwas zu sagen, was Sie während Ihrer Berufstätigkeit nie hätten sagen können. Was ist das?

Augustin: So ganz am Ende? Vielleicht habe ich im Laufe der Zeit etwas bemerkt und das möchte ich als Beispiel für andere aussprechen: Ich hasse es, wenn mir jemand Arbeit anschafft. Ich war immer der Meinung , ich weiß genau, was ich zu tun habe und ich tue es. Deshalb musste ich ja Chefin werden. (lacht)

Ich war meistens schneller als andere und hatte schon eine Lösung in der Schublade, zu dem Zeitpunkt, zu dem die Frage aufkam. Und ein letzte Gedanke: Wir brauchen die partnerschaftliche Zusammenarbeit der Schulen der Dorf- und Landentwicklung, damit wir im ländlichen Raum etwas bewegen können. Da setze ich ebenfalls voll auf Theresa Schäfer. Sie wird die Kooperation zwischen den drei SDLs voranbringen, damit alle Regionen gleichermaßen profitieren.

DK/ggb

 

V.l.: Theresa Schäfer übernimmt von der scheidenden SDL-Chefin Gerlinde Augustin die Aufgabe, die Bildungseinrichtung in eine stabile Zukunft weiterzuführen. Bild: SDL Thierhaupten
V.l.: Theresa Schäfer übernimmt von der scheidenden SDL-Chefin Gerlinde Augustin die Aufgabe, die Bildungseinrichtung in eine stabile Zukunft weiterzuführen. Bild: SDL Thierhaupten

 

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