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(GZ-18-2023 - 28. September)
GZ-Interview mit Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des DVGW: „Die Energiewende wird vor Ort und nicht in Berlin entschieden“
 

► GZ-Interview mit Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des DVGW:

 

„Die Energiewende wird vor Ort und nicht in Berlin entschieden“

Prof. Dr. Gerald Linke ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW). Der promovierte Physiker arbeitete zunächst ab 1995 bei Ruhrgas, später im E.ON Konzern. Dort leitete er u.a. im Segment Fernleitungstransport die Betriebsregion Nord und übernahm danach die Steuerung des Kompetenz-Centers Gastechnik und Energiesysteme, das die Gasforschung beheimatete. Im Jahr seines Wechsels an die Spitze des DVGW wurde Gerald Linke zum Honorarprofessor der Ruhr-Universität Bochum berufen. Linke ist Bundesdeutscher Verbandsvertreter in der Internationalen Gas-Union. Von 2018 bis 2020 war er Präsident von MARCOGAZ, dem technisch-wissenschaftlichen EU-Verband der Gaswirtschaft. Seit Juni 2020 hat er die Präsidentschaft von ERIG (European Research Institute for Gas and Energy Innovation) inne. Mit GZ-Chefredakteurin Constanze von Hassel sprach Linke über das Gelingen der Wärmewende mit Hilfe von Wasserstoff und welchen Beitrag bestehende Gasverteilnetze dabei liefern können.

GZ: Herr Linke, der Deutsche Bundestag hat nach monatelangem Streit innerhalb der Bundesregierung das Gebäudeenergiegesetz verabschiedet. Sind jetzt alle Fragen zum Heizen beantwortet?

Gerald Linke: Ganz im Gegenteil. Wir befinden uns in einer entscheidenden Phase, die mit Aufschluss darüber geben wird, wie in Deutschland zukünftig geheizt wird. Wir brauchen größtmögliche Technologieoffenheit, eine wissenschaftlich fundierte Diskussionsgrundlage statt ideologisch geprägter Gefälligkeitsgutachten. Konkret heißt das: Die Wärmepumpe mag da sinnvoll sein, wo zum Beispiel der Einfamilienhausbesitzer für sich Vorteile in dieser Technologie bei Sanierung oder Neubauplanung sieht. Beim Gebäudebestand von Mehrparteien in Ballungsgebieten führt jedoch kein Weg daran vorbei, die bestehende Gasinfrastruktur zu nutzen und diese fit für die Zukunft zu machen. Das betrifft nicht nur Gebäude mit Gasanschluss, sondern auch die Versorgung mit Fernwärme. Die Zukunft der Moleküle ist Wasserstoff, ebenso wie andere grüne, also klimaneutrale Gase. Eine reine Elektrifizierung würde die Stromnetze überlasten. Um das Klimaschutzziel der CO2-Neutralität bis 2045 zu erreichen, muss dem Gebäudesektor zentrale Beachtung gewidmet werden. Nirgendwo sonst in unserem Land ist das Einsparpotenzial von CO2 so groß, wie beim Heizen. Rund 40 Millionen Haushalte emittieren mehr als 200 Millionen Tonnen des klimaschädlichen Gases, das sind ca. 20 Prozent aller deutschen CO2-Emissionen.

300 Milliarden Euro

Auch aus volkswirtschaftlichen Gründen kann auf das Gasnetz, bestehend auch hunderttausenden Kilometern Verteil- und Fernnetzen, nicht verzichtet werden. Wir sprechen hier von einem Gesamtwert in Höhe von über 300 Milliarden Euro – über Jahrzehnte abgeschrieben, durchfinanziert, also bezahlt. Eine unserer Studien hat eindrucksvoll und vielbeachtet den Beweis erbracht, dass Stahlleitungen Wasserstoff weiterleiten und speichern können. Eine neue Generation von Gasthermen im Hausanschluss ist ebenso H2-ready, also Wasserstofftauglich.

Wasserstoff über Gasverteilnetze nutzbar

GZ: Weshalb sind Sie so sicher, dass dies auch tatsächlich funktioniert?

Linke: Dass Einspeisung von Wasserstoff in bestehende Netze nicht nur auf dem Reißbrett, sondern auch in der Realität funktioniert, wird jüngst in der Gemeinde Hohenwart im Landkreis Pfaffenhofen eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Die Kolleginnen und Kollegen der Energie Südbayern haben mit dem Projekt H2Direkt, also der Umstellung eines bestehenden Erdgasnetzes auf 100 Prozent Wasserstoff, unterstrichen, dass die Energiewende vor Ort und nicht in Berlin – und auch nicht in Brüssel – entschieden wird. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Verantwortlichen in den Kommunen und Gemeinden wissen, was für die Menschen vor Ort das Beste ist. Der Gasnetzgebietstransformationsplan, kurz GTP, wird dabei eine entscheidende Rolle spielen. Es ist das zentrale Planungstool für den Einsatz von Wasserstoff – auch und insbesondere im Wärmemarkt. Der Grundgedanke ist, Wasserstoff über die Gasverteilnetze für alle nutzbar machen. Eine Umfrage unserer Initiative H2vorOrt hat ergeben, dass lediglich fünf Prozent der knapp 1.000 befragten Kommunen keinen langfristigen Einsatz von klimaneutralen Gasen sehen. Die Mehrheit, also beeindruckende 95 Prozent, setzt klar auf die Verwendung von Wasserstoff. Auch von Seiten der Industrie ist die Aussage deutlich: Von knapp zweitausend befragten Großkunden setzen mehr als drei Viertel auf Wasserstoff. Im Übrigen ist der Anschluss an das Wasserstoffnetz ein wichtiger Standortfaktor für zukünftige Unternehmensansiedlungen, insbesondere beim wie hier in Bayern ausgeprägten Mittelstand. Eine Gemeinde, die sich heute gegen Wasserstoff entscheidet, wird morgen teuer dafür bezahlen. Ihre Flächen werden bei zukünftigen Unternehmensansiedlung schlichtweg keine Rolle mehr spielen.

Praxisleitfaden Wärmeplan

GZ: Stichwort Kommunale Wärmeplanung: Wie sehen hier die nächsten Schritte aus?

Linke: Zunächst einmal ist es gut, dass die Kommunale Wärmeplanung nun auch formal eng mit der Frage des Heizens verbunden ist. Unsere Branche hat hier den Gesetzgebungsprozess erfolgreich flankiert, so dass ursprüngliche Planungen der Bundesregierung korrigiert wurden. Auf dem weiteren Weg wird der DVGW alle an diesem Prozess beteiligten Entscheidungsträger mit seinem technischen Knowhow unterstützen. Wir sind mit einer Roadshow bundesweit unterwegs und informieren umfassend. Gemeinsam mit dem Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK e.V. (AGFW) haben wir einen Praxisleitfaden entwickelt. Dieser gibt Orientierung und hilft den Kommunen der knapp 11.000 Gemeinden in Deutschland bei der Erstellung eines Wärmeplans und den folgenden Schritten auf dem Weg in eine klimaneutrale Energiezukunft. Wir sehen unseren Beitrag als zentralen Baustein der Energiewende vor Ort.

GZ: Vielen Dank für das Gespräch.

Weitere Informationen

Praxisleitfaden Kommunale Wärmeplanung:
https://www.dvgw.de/medien/dvgw/leistungen/publikationen/leitfaden-kommunale-waermeplanung-dvgw-agfw.pdf

Hinweise zur Roadshow:
https://asue.de/termine_veranstaltungen/asue-roadshow_kommunale-waermeplanung
https://asue.de/sites/default/files/asue/termine_veranstaltungen/2023/ASUE-kWP-Roadshow/230125_ASUE-kWP-Roadshow_Konzeptionierung.pdf

Über den DVGW

Der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) ist ein Verband mit über 13.600 Mitgliedern, der das Gas- und Wasserfach mit den Schwerpunkten Sicherheit, Hygiene und Umweltschutz fördert und die allgemein anerkannten Regeln der Technik für Gas und Wasser erarbeitet. Klimaneutrale Gase und insbesondere der Zukunftsenergieträger Wasserstoff sind in der Arbeit des DVGW von besonderer Bedeutung. Der DVGW ist die im Energiewirtschaftsgesetz benannte Institution für Wasserstoffinfrastrukturen. Der Verein initiiert und fördert Forschungsvorhaben und schult zum gesamten Themenspektrum des Gas- und Wasserfaches. Darüber hinaus unterhält er ein Prüf- und Zertifizierungswesen für Produkte, Personen sowie Unternehmen. Die technischen Regeln des DVGW bilden das Fundament für die technische Selbstverwaltung und Eigenverantwortung der Gas- und Wasserwirtschaft in Deutschland. Sie sind der Garant für eine sichere Gas- und Wasserversorgung auf international höchstem Standard. Der gemeinnützige Verein wurde 1859 in Frankfurt am Main gegründet.

DVGW-Chef Gerald Linke (r.) mit Staatsminister Hubert Aiwanger (m.) und dem bayrischen DVGW-Landesgruppenvorsitzenden Robert Scherer bei der Inbetriebnahme der Wasserstoffeinspeisung H2Direkt der Energie Südbayern im September in Hohenwart (Landkreis Pfaffenhofen). Bild: DVGW/Wagner
DVGW-Chef Gerald Linke (r.) mit Staatsminister Hubert Aiwanger (m.) und dem bayrischen DVGW-Landesgruppenvorsitzenden Robert Scherer bei der Inbetriebnahme der Wasserstoffeinspeisung H2Direkt der Energie Südbayern im September in Hohenwart (Landkreis Pfaffenhofen). Bild: DVGW/Wagner

 

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