(GZ-9-2024 - 3. Mai) |
► Prof. Dr. Joachim Wuermeling zum Digitalen Euro: |
Chancen und Herausforderungen für Kommunen„Für Kommunen wäre jetzt genau der richtige Zeitpunkt, die intelligenten Funktionen des Digitalen Euro in ihre Digitalisierungsprojekte einzubauen“ Prof. Dr. Joachim Wuermeling war von 2016 bis 2023 Mitglied im Vorstand der Deutschen Bundesbank. Vor seinem Amtsantritt hatte er verschiedene leitende Positionen in der Finanz- und Versicherungswirtschaft sowie in der Politik inne, unter anderem war er Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und Europaabgeordneter der CSU. Vor dem Eintritt in die Bundesbank führte er den Verband der Sparda-Banken. Seit Januar 2024 unterrichtet er an der European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin. Unter seiner Federführung wird dort der „Digital-Euro-Hub“ aufgebaut. Weiterhin ist Wuermeling als Rechtsanwalt bei der Kanzlei A&O Shearman in Frankfurt tätig. GZ-Chefredakteurin Constanze von Hassel sprach mit ihm über den Digitalen Euro. GZ: Herr Prof. Wuermeling, lassen Sie uns direkt einsteigen: Welches Potenzial ist mit dem Digitalen Euro für bayerische Kommunen verbunden? Wuermeling: Der Digitale Euro birgt ein enormes Potenzial für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, insbesondere in den Kommunen in Bayern. Der immense Fortschritt gegenüber dem klassischen Zahlungsverkehr liegt darin, dass Zahlungen automatisiert ausgelöst werden können. Während derzeit nur Zahlungen zu festgelegten Zeiten selbstständig möglich sind, erlauben konditionierte oder bedingte Zahlungen mit dem programmierbaren Digitalen Euro die automatische Auslösung von Zahlungen in Reaktion auf jedwedes digitale Signal. GZ: Können Sie ein konkretes Beispiel nennen? Wuermeling: Nehmen wir einen einfachen Besuch im Schwimmbad: Durch die Verknüpfung mit dem Digitalen Euro und entsprechenden Geodaten könnte die Zahlung der Eintrittsgebühr automatisch ausgelöst werden, nachdem das System registriert hat, wann der Besucher das Bad betreten und wieder verlassen hat. Dem muss der App-Benutzer natürlich datenschutzkonform zustimmen. Dann aber bietet die Anwendung erheblichen Komfort: kein Anstehen an der Kasse, keine Ticketverwaltung – die Kommune könnte sogar auf die Kasse verzichten. Zudem wären detaillierte Auswertungen über die Besucherströme möglich. Für den kommunalen Bereich sind zahlreiche Anwendungen denkbar, da viele Zahlungsverpflichtungen digital festgestellt werden können, ob Sozialleistungen oder Parkgebühren. Wenn ich meinen neuen Personalausweis abhole, könnte die Gebühr beim Verlassen des Gebäudes automatisch bezahlt werden. Verwaltungsvorgänge würden dadurch erheblich vereinfacht und beschleunigt. GZ: Wie können die Kommunen diese Möglichkeiten nutzen? Wuermeling: Mein Appell wäre, bei der fortschreitenden Digitalisierung in den Kommunen nun auch das Bezahlen mitzudenken und einzubauen. Es ist ein wenig wie bei der Einführung des Smartphones, bei der viele zunächst „keinen Mehrwert“ sehen wollten. Beschäftigte man sich aber damit, eröffnete sich ein riesiges Feld von Möglichkeiten. Die Optimierungspotenziale können nur in den Kommunen selbst erkannt werden, denn dafür muß man die täglichen Prozesse kennen. GZ: Werden diese intelligenten Nutzungen von Anfang an den Kommunen zur Verfügung stehen? Wuermeling: Das ist noch offen. Den digitalen Euro gibt es praktisch in einer Basisversion und in einer fortgeschrittenen Version. Über die smarten Funktionen wird an vielen Stellen intensiv nachgedacht. Aber die EZB hat noch nicht entschieden, ob der Digitale Euro über die Basisversion hinaus damit von Anfang an ausgestattet wird. Dazu rate ich dringend, denn genau hier liegt das enorme Potenzial einer digitalen Währung, das bisherige Zahlungssysteme schlicht nicht bieten können. Die Kommunen sollten auch darauf drängen, dass die intelligenten Funktionen des Digitalen Euro von der EZB für sie von Anfang an bereitgestellt werden. Mehrwert für die Verwaltung GZ: Wenn der Digitale Euro kommt, und das könnte schon in drei oder vier Jahren so weit sein, dann soll es eine Annahmeverpflichtung geben und Kommunen und öffentliche Einrichtungen wären die ersten, die eine Wallet haben müssten. Wuermeling: Richtig, jedoch handelt es sich hierbei nicht um den smarten, intelligenten Digitalen Euro, von dem ich zuvor gesprochen habe. Vielmehr geht es um die einfache Basisversion, die die EZB derzeit vorbereitet. Bei dieser Variante löse ich die Zahlung manuell aus, ähnlich wie bei einer Kartenzahlung. Ja, die Kommune benötigt eine Wallet, um Zahlungen entgegenzunehmen, aber das ist Teil des Girokontos und bedeutet keinen großen Aufwand. Die interessantere Frage ist, ob die Kommune mittelfristig überhaupt noch andere Zahlungsmethoden anbieten muss, wenn der einfache Digitale Euro verfügbar ist. Dadurch könnten die Kommunen Kartenterminals ablösen, Gebühren einsparen und auf Bargeldhaltung verzichten. Es würden die gleichen Funktionen wie bei Paypal oder ApplePay zur Verfügung stehen, jedoch ohne die hohen Transaktionsgebühren. Hier sehe ich schon in der Basisversion des Digitalen Euro einen großen Mehrwert für die öffentliche Verwaltung. GZ: Die Ambition ist also, ein einziges Zahlungsmittel für alles zu schaffen? Wuermeling: Und das nicht nur lokal, sondern in ganz Europa! Es gäbe ein Zahlungsmittel für den gesamten Euroraum, mit dem Sie an der Ladenkasse, im Internet, mit dem Handy oder privat bezahlen können. Sie bräuchten nicht mehr wie heute mit zahlreichen Karten, mit Geldscheinen und Paypal parallel zu hantieren. GZ: Was sagen die Banken? Wuermeling: Die sind skeptisch, erkennen aber zunehmend die Chancen für sich. Richtig ist aber zunächst: Die Einführung des Digitalen Euro könnte sich auf die Erträge der Banken im Zahlungsverkehr auswirken. Auch Paypal und Kreditkartenunternehmen könnten stark betroffen sein, wenn Kunden künftig lieber mit dem Digitalen Euro bezahlen. Eine weitere Sorge besteht darin, dass Bankkunden ihr Geld möglicherweise nicht mehr auf dem Girokonto, sondern digital in der Wallet aufbewahren. Dies würde das Geldangebot für Kredite reduzieren, was wiederum die Grundlage des Bankengeschäfts bildet. Eine mögliche Lösung für Banken wäre, das Halten von Geld auf dem Konto durch attraktive Zinsen zu fördern, da Wallets keine Zinsen bieten. Es wäre auch eine Obergrenze für die Haltesumme in einer Wallet denkbar, um den Abfluß von Einlagen zu begrenzen. Jedoch könnten die smarten und intelligenten Anwendungen des Digitalen Euro den Banken neue Dienstleistungsmöglichkeiten eröffnen, wie z. B. das Angebot von smarten Verträgen. Damit kann z.B. digital mit einem schlichten Foto festgestellt werden, dass ein Gärtner den Rasen gemäht hat und dann fließt ihm automatisch der Digitale Euro zu. Handwerker bräuchten in solchen Fällen keine Rechnungen mehr zu stellen und sich vor allem keine Sorgen mehr machen, ob die Kunden am Ende auch bezahlen. Solche Funktionalitäten könnten möglicherweise von Sparkassen, Genossenschaftsbanken oder anderen Banken angeboten werden. GZ: Woher kommt die Idee für den Digitalen Euro? Wuermeling: Zentralbanken in aller Welt waren besorgt, dass sie mit der weiteren Verbreitung von Bitcoin und anderen Kryptowährungen die Kontrolle über das Geld verlieren könnten. Zusätzlich sorgte das Libra-Projekt von Facebook für Unruhe. Da das von den Notenbanken herausgegebene Geld ein Stabilitätsfaktor unseres Wirtschaftssystems ist, mussten die Zentralbanken erwägen, ihrerseits digitales Geld bereitzustellen, um die staatliche Hoheit über das Geld zu bewahren. Das von einer Zentralbank kontrollierte Geld genießt das Vertrauen der Öffentlichkeit und ermöglicht etwa die Bekämpfung von Inflation. Deshalb denken praktisch alle Zentralbanken weltweit, nicht nur die EZB, über die Herausgabe einer digitalen Währung nach. Das interessante daran ist: Erst im Laufe des Projekts wurde deutlich, dass digitales Zentralbankgeld noch viel mehr Vorteile bietet als die Wahrung des staatlichen Geldmonopols. Es zeigte sich, dass digitales Geld das überlegene und intelligentere Zahlungsmittel im Vergleich zum herkömmlichen Geld ist. Daher steht heute der innovative Charakter von digitalem Geld im Vordergrund. GZ: Aber der digitale Euro ist keine Anlageform? Wuermeling: Genau, und das ist der entscheidende Unterschied zu Bitcoin. Ein Euro bleibt ein Euro, unabhängig von seiner Form. Sein Wert schwankt nicht. Er verkörpert einen Anspruch gegenüber der Zentralbank, sei es in Form von Digitalgeld, einer Banknote oder als Guthaben auf einem Konto bei der Zentralbank. Zwar verzinst sich der Digitale Euro nicht, aber dafür ist er anders als etwa Kryptoassets sicher. Kritik am Digitalen Euro GZ: Kommen wir zur Kritik am Digitalen Euro. In Venezuela ist die Einführung der staatlichen Kryptowährung Petro nach fünf Jahren gescheitert. In China wird das digitale Zentralbankgeld bereits benutzt, um die Gesellschaft im Sinne von Partei und Staat zu gestalten. Was unterscheidet denn das europäische digitale Zentralbankgeld von diesen Beispielen? Wuermeling: Das, was Sie „Gestaltung“ in China nennen, ist im Grunde genommen nichts anderes als die Nutzung des digitalen Geldes als Überwachungsinstrument. Im Kern ist das digitale Zentralbankgeld eine Basistechnologie, die für sehr verschiedene Zwecke genutzt werden kann, solche und solche. In Entwicklungsländern wird sie hauptsächlich eingesetzt, um denjenigen, die ein Handy, aber kein Bankkonto haben, den Zugang zu Finanzdienstleistungen zu ermöglichen – also finanzielle Inklusion zu fördern. Doch dies funktioniert natürlich nicht, wenn die Bevölkerung, wie in Venezuela, kein Vertrauen in die staatliche Währung hat. Denn letztendlich bleibt das Geld dasselbe, unabhängig davon, ob es in digitaler Form, als Konto oder Banknote verfügbar ist. Wenn Menschen kein Vertrauen in staatliches Geld haben, werden sie es auch dann nicht nutzen, wenn es digital angeboten wird. Aber digitales Zentralbankgeld kann ein effektives Instrument zur Bekämpfung der finanziellen Ausgrenzung sein, da Menschen ihr Geld dann über eine Wallet auf ihrem Handy verwalten können und keine herkömmliche Bank benötigen. Dies ist jedoch nicht die Absicht hinter dem Digitalen Euro im Euroraum. Hier ist das Ziel, ein Zahlungsmittel für die digitale Welt bereitzustellen. In dieser Hinsicht ist die EU unter den Industrieländern gegenwärtig sogar führend. GZ: Die Kritik am Digitalen Euro schließt auch die Unvereinbarkeit von Anonymität im Zahlungsverkehr und Schutz vor Geldwäsche mit ein. Wuermeling: Die digitale Natur des Digitalen Euro eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten der Ausgestaltung. Zum Beispiel könnte der Zahler anonym bleiben, während der Empfänger identifiziert wird, oder ähnliche Konfigurationen. Es gibt eine Vielzahl von Varianten, die in Betracht gezogen werden können. Letztendlich muss die Politik und die Gesellschaft entscheiden, welches Ziel höher bewertet wird: die Anonymität der Zahlungen zum Schutz der Privatsphäre oder die Transparenz zur Bekämpfung von Betrug. Dabei muss uns bewusst sein, dass wir derzeit keineswegs vollständige Anonymität bei unseren Zahlungen haben. Während Bargeldzahlungen noch anonym sind, sind alle anderen Arten von Transaktionen – sei es eine Überweisung, eine Zahlung mit Kreditkarte, EC-Karten oder PayPal – offen wie eine Postkarte. Ihre Kontoauszüge zeigen detailliert, wann und an wen Sie welche Beträge gezahlt haben. In den täglich genutzten Zahlungsmethoden gibt es also heute eine geringe Anonymität. Im Vergleich dazu wird eine Zahlung mit dem digitalen Euro von Natur aus viel anonymer sein, da auf Ihrem Kontoauszug lediglich der Kauf von digitalen Euros verzeichnet wird, ohne weitere Details. Während der eigentlichen Transaktion entsteht keine Datenübertragung, es sei denn, es besteht eine gesetzliche Verpflichtung dazu. Im Wesentlichen ist eine Zahlung im digitalen Euro fast so anonym wie mit Bargeld. GZ: Der digitale Euro wird auch als Instrument dargestellt, um uns unabhängiger zu machen. Wieso? Wuermeling: Zwei Drittel aller inländischen Zahlungen werden über nicht-europäische Systeme abgewickelt. Die Emittenten von Kreditkarten sind allesamt US-Unternehmen, ebenso wie Paypal und Apple, von denen wir völlig abhängig sind. Wenn man bedenkt, dass bei einem Ausfall der Zahlungssysteme eine gesamte Volkswirtschaft zum Erliegen kommt, ist das ein unbestreitbares Risiko. Der Digitale Euro hingegen operiert auf einer ausschließlich europäischen Infrastruktur. Die Einführung des Digitalen Euro würde uns deshalb unabhängiger und widerstandsfähiger machen. GZ: Gehen Sie davon aus, dass der Digitale Euro kommt? Wuermeling: Ich bin absolut davon überzeugt, denn die Vorteile des Digitalen Euro treten immer deutlicher zutage. Die Notwendigkeit wird ebenfalls immer offensichtlicher, insbesondere vor dem Hintergrund des digitalen Fortschritts mit Web 3.0, Industrie 4.0, Machine-to-Machine-Zahlungen, dem Metaverse und vielem mehr. In diesen neuen Ökosystemen gibt es bisher schlichtweg kein staatliches Geld, mit dem Zahlungen getätigt werden können. Stattdessen bleiben Sie auf Bitcoin, Dollar-Stablecoins oder ähnliches angewiesen. Wenn der Staat durch die Zentralbanken kein digitales Geld bereitstellt, wird das Geld reprivatisiert. Das wäre eine Rückschritt um 150 Jahre als es nur privates Geld gab. Die Reaktion der Zentralbanken, digitales Geld zu entwickeln, entspringt einem klaren Bedarf der Verbraucher, der privaten Wirtschaft und eben auch der öffentlichen Hand. Das wird allen Beteiligten immer stärker bewußt. GZ: Und was heisst das nun für die Kommunen? Wuermeling: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für Kommunen, die intelligenten Möglichkeiten des Digitalen Euro in die Digitalisierungsprojekte der Städte und Gemeinden einzubauen. Bei allem Nachholbedarf steht Bayern ja mit an der Spitze bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Deshalb sollte es auch zu den ersten gehören, die von den Möglichkeiten des Digitalen Euro in der Verwaltung Gebrauch machen. Konsequenterweise sollte die bayerische Politik dann auch verlangen, dass, wenn schon ein Digitaler Euro eingeführt wird, er dann aber auch von Anfang an mit allen intelligenten Funktionen ausgestattet ist, die Nutzen bringen. |
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