Interviews & Gesprächezurück

(GZ-23-2024 - 5. Dezember)
Dipl.-Ing. MBA Ulf Michel, Vorstandsvorsitzender der Gütegemeinschaft Güteschutz Kanalbau.; Dr.-Ing. Marco Künster, Geschäftsführer der Gütegemeinschaft Güteschutz Kanalbau. Bild: Güteschutz Kanalbau

 

► Dipl.-Ing. MBA Ulf Michel, Vorstandsvorsitzender der Gütegemeinschaft Güteschutz Kanalbau und Geschäftsführer, Dr.-Ing. Marco Künster, im Interview:

 

Qualität im Kanalbau sichern: Verantwortung für die Infrastruktur von morgen

Wie die Gütesicherung Kanalbau RAL-GZ 961 hilft, Fachkompetenz zu fördern, Bauqualität zu sichern und langfristig in nachhaltige Infrastrukturen zu investieren

Das bayerische Wasserleitungsnetz ist über 115.000 Kilometer lang, rund 106.000 Kilometer die öffentlichen Abwasserkanäle. 97 Prozent der Haushalte in Bayern sind an das öffentliche Kanalnetz angeschlossen, mehr als 2.100 kommunale Abwasserentsorger für die Entsorgung der Abwässer zuständig. Wie in den anderen Bundesländern gilt auch in Bayern: Die Leitungsnetze der Wasserver- und Abwasserentsorgung sind oftmals der größte Vermögenswert einer Gemeinde. Ihre Instandhaltung ist enorm wichtig, damit diese wertvolle kommunale Infrastruktur für die Bürgerinnen und Bürger auch in Zukunft zur Verfügung steht und bezahlbar bleibt.

Doch was muss getan werden, um diese Netze zu erhalten und wie lassen sich die zur Verfügung stehenden Mittel möglichst effizient einsetzen? Insbesondere aus Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen sind wir gehalten, das Kanalnetz weitsichtig zu bewirtschaften. Ein Sanierungsstau wie bei den Brücken in Deutschland hätte verheerende Folgen. Entscheidende Bedeutung sowohl für das kurzfristige Ergebnis als auch für die künftige Entwicklung des Substanzwertes des Netzes kommt deshalb nicht zuletzt der Qualität der Ausführung zu. Vor diesem Hintergrund ist es eine gute Sache, dass es Instrumente wie die Gütesicherung Kanalbau gibt, die bei der anspruchsvollen Aufgabe helfen, qualifizierte und fachlich geeignete Partner für die jeweilige Maßnahme zu finden. Zur Bedeutung der Gütesicherung Kanalbau sowie den zentralen Begriffen Qualität und Qualifikation äußern sich Dipl.-Ing. MBA Ulf Michel, Vorstandsvorsitzender der Gütegemeinschaft Güteschutz Kanalbau und ihr Geschäftsführer, Dr.-Ing. Marco Künster, im Interview.

GZ: Herr Dr. Künster, Herr Michel, mit der Gütesicherung Kanalbau RAL-GZ 961 hat sich ein System etabliert, das zur Prüfung der technischen Leistungsfähigkeit von Bietern im Vergabeverfahren und damit der Qualität im Kanalbau dient. Wie beschreiben Sie diese Aufgabe?

Marco Künster: Neben der Prüfung von Antragstellern und Gütezeicheninhabern auf Erfüllung der Güte- und Prüfbestimmungen sowie der Verleihung des Gütezeichens zählt die Erarbeitung eines – zwischen Auftraggebern, Ingenieurbüros und Auftragnehmern abgestimmten – Anforderungsprofils zur Bewertung der Bietereignung zu den Aufgaben der Gütegemeinschaft Kanalbau.

In den Güte- und Prüfbestimmungen finden sich detaillierte Anforderungen an die Fachkunde, technische Leistungsfähigkeit und technische Zuverlässigkeit der Bieter sowie an die Dokumentation der Eigenüberwachung. Ausführende Unternehmen belegen ihre Qualifikation mit einem Gütezeichen zu einer oder mehreren Beurteilungsgruppen (AK1, AK2, AK3, VOD, VO, VB, VMD, VM, VP, S, I, R, D). Um unsere Infrastrukturen zukunftsfähig zu machen, braucht es allerdings mehr als einen Baustein. Deshalb unterstützt die Gütegemeinschaft ihre Mitglieder in vielen branchenrelevanten Schlüsselthemen: Angefangen bei der Aus- und Weiterbildung und der fachlichen Qualifikation der Mitarbeiter über technische Belange bis hin zum Regelwerk.

Ziel: Nutzungsdauer erhöhen

Ulf Michel: Unser gemeinsames Ziel ist es, die Nutzungsdauer von Entwässerungskanälen zu erhöhen. Das gelingt, wenn die Anforderungen der Regelwerke bei Bauausführung, Sanierung, Inspektion, Reinigung und Dichtheitsprüfung erfüllt werden. In diesem Sinne hat Gütesicherung Kanalbau einen direkten Einfluss auf die Qualität vor Ort auf den Baustellen. Die von den Prüfingenieuren durchgeführten Baustellen- und Firmenprüfungen sind deshalb wichtiger Bestandteil der Gütesicherung Kanalbau. Neben den – wo immer möglichen – unangemeldeten Baustellenprüfungen wird in regelmäßigen Firmenprüfungen die Erfüllung der Anforderungen an das Fachpersonal und dessen regelmäßige Schulung, an den Umfang der Referenzmaßnahmen (Erfahrung), an Betriebseinrichtungen und Geräte sowie die Eigenüberwachung geprüft.

Die Baustellenprüfberichte enthalten immer den zum Besuchszeitpunkt festgestellten Ist-Zustand der Baustelle, in aller Regel mit Fotodokumentation. Bei der Auswertung dieser Unterlagen fällt auf, dass sich im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte einiges zum Positiven entwickelt hat. Die Verfahrenstechniken, technischen Ausstattungen, Gerätschaften und Werkstoffe wurden stetig weiterentwickelt. Und auch in Sachen Ausführungsqualität wird stetig weiter an einer Verbesserung gearbeitet, nicht zuletzt über die RAL-Gütesicherung Kanalbau. Das hat unter anderem dazu geführt, dass die damaligen, oft durchaus kritischen Rohrgrabenausführungen und Bausituation im Kanalgraben und die Langlebigkeit der Bauwerke sich bis heute spürbar verbessert haben.

Unabhängige Eignungsprüfung

GZ: Wie beurteilen Sie den Einfluss der Gütesicherung auf die Qualität der Ausschreibung und Bauüberwachung mit Blick auf Auftraggeber und Ingenieurbüros?

Michel: Die Gütesicherung Kanalbau RAL-GZ 961 bietet bei der Leistungsvergabe von Ausschreibungen im Kanalbau eine unabhängige Eignungsprüfung. Es liegt im Interesse von Städten und Kommunen, dass Abwasserleitungen und -kanäle von erfahrenen und zuverlässigen Fachleuten geplant, gebaut oder saniert werden. Organisationen, die die Erfüllung der Eignungskriterien für Ausschreibung und Bauüberwachung für offenen Kanalbau, Vortrieb oder Sanierung regelmäßig nachweisen, führen das Gütezeichen der Beurteilungsgruppe ABAK (offener Kanalbau), ABV (Vortrieb) bzw. ABS (Sanierung).

In einem jährlichen Erfahrungsaustausch in der Firmenprüfung werden Feststellungen zu aktuellen Ausschreibungsunterlagen besprochen und die Qualifikation und Erfahrung des Personals und des Büros dokumentiert. Hier sehen wir für die Zukunft noch Potenzial. Deshalb steht das Thema ganz oben auf der To-do-Liste von Vorstand und Gütegemeinschaft und es werden Konzepte erarbeitet, um die Entwicklung der Gütezeichen AB weiter voranzubringen.

GZ: Welchen Stellenwert hat für Sie das Thema Qualifikation?

Michel: Angesichts immer komplexerer Bauaufgaben gewinnt das Thema Qualifikation immer mehr an Bedeutung. Und die wird in den nächsten fünf bis zehn Jahren weiter zunehmen. Vor allem mit Blick auf Fachkräftemangel und Generationswechsel sowie dem Ausscheiden von erfahrenem Fachpersonal. In diesem Zusammenhang fehlen Konzepte zur Weitergabe von Wissen. Deshalb wird es immer wichtiger, branchenfremde Mitarbeiter sowie Arbeits- und Fachkräfte aus dem Ausland zu rekrutieren, um den komplexen Aufgaben für die Instandhaltung unserer Infrastruktur gerecht werden zu können.

Qualität zahlt sich aus

GZ: Wie sieht es denn in der Praxis damit aus?

Künster: Die Gründungsidee der Gütegemeinschaft war die Qualitätssicherung und der Qualitätsgedanke beeinflusst als wichtiger Baustein der Gütesicherung Kanalbau nach wie vor unser Handeln. Das ist eine Kernbotschaft, über die wir uns oft mit den Auftraggebern austauschen. Es reicht nicht, nur Mitglied im Güteschutz Kanalbau zu sein, man muss Qualität auch überwachen und in Ausschreibungen einfordern. In Zeiten, in denen die ein oder andere Kommune oder kleinere Gemeinde unsicher ist, wie die Einnahmen der kommenden Jahre aussehen, mag mancher vielleicht versucht sein, auf die Qualität nicht ganz so viel Wert zu legen und dadurch kurzfristig Geld zu sparen. Aber es ist belegbar, dass Qualität sich langfristig auszahlt.

GZ: Die Gütegemeinschaft setzt sich vor diesem Hintergrund massiv für die Fort- und Weiterbildung des Personals bei den Mitgliedsunternehmen ein. Wie sieht das Angebot aus?

Michel: Die Gütegemeinschaft Kanalbau will die Qualität fördern und macht dazu unter anderem Angebote zur Qualifizierung des Personals. Das erfolgt in Form von Seminaren, digitalen Angeboten wie E-Learning oder entsprechenden Skripten und Broschüren mit Fachinformationen. Gleichzeitig sind Gütezeicheninhaber verpflichtet, die Schulung ihres Fachpersonals in regelmäßigen Abständen durchzuführen. Das können sie auf verschiedenen Wegen tun, so auch über die Angebote der Gütegemeinschaft. Diese Angebote und insbesondere die Seminare werden gerne und häufig genutzt; pro Jahr werden etwa 15.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen geschult. Entsprechende Angebote sind auf www.kanalbau.com unter dem Begriff AKADEMIE zusammengefasst. Darüber hinaus bauen wir insbesondere die digitalen Formate weiter aus.

Weiterbildung mit digitalen Formaten

GZ: Was bedeutet das konkret?

Künster: Unter anderem haben wir neue Schulungsvideos entwickelt, die dem Fachpersonal der Unternehmen wichtige organisatorische und technische baustellenrelevante Sachverhalte näherbringen sollen. Die Formate, aufgenommen in einem virtuellen Studio und mit Grafiken anschaulich hinterlegt, werden von einzelnen Prüfingenieuren der Gütegemeinschaft Kanalbau, moderiert.

Die Themen reichen von der Wareneingangskontrolle über Verbausysteme, die Herstellung der Bettung, den Einbau von Rohren und die fachgerechte Verfüllung und Verdichtung bis hin zu Rohrstatik und Eigenüberwachung. Ergänzt werden sie um die Themen Dichtheitsprüfung und Grundstücksentwässerung. Einen zusätzlichen Mehrwert bekommen diese neuen digitalen Formate auch deshalb, weil sie von den Unternehmen intern zur Weiterbildung ihrer Mitarbeiter genutzt werden können. Weiterhin zu nennen ist die ebenfalls neue webApp.kanalbau.com, ein Online-Modul, welches per Tablet oder Smartphone abgerufen werden kann.

Die Kanalbau-webApp ist abgestimmt auf Quereinsteiger ohne Vorkenntnisse, aber auch auf Facharbeiter, Vorarbeiter und Poliere. Sie vermittelt, wie Arbeiten bei der offenen Bauweise entsprechend dem aktuellen Regelwerk ausgeführt werden. In unterschiedlichen Sprachen informiert die App über alle erforderlichen Arbeitsgänge und bietet zur Erläuterung viele Abbildungen und Animationen. Die Inhalte können eigenständig und zeitunabhängig durchgearbeitet werden. Ein abschließender Verständnistest gibt Rückmeldung über den Lernerfolg. Zusätzlich kann die App baubegleitend als Unterstützung der Mitarbeiter vor Ort dienen.

Michel: Mit der digitalen Erweiterung des Dienstleistungspaketes hat die Gütegemeinschaft Kanalbau nicht zuletzt das allgegenwärtige Thema Fachkräftemangel konsequent im Blick. Deutschland benötigt qualifizierte Fachkräfte in ausreichender Zahl und auf praktisch allen Ebenen. Insbesondere vor dem Hintergrund langfristiger und tiefgreifender Transformationsprozesse, etwa bei der Digitalisierung oder dem demografischen Wandel steigen die Herausforderungen für die Fachkräftesicherung und den Arbeitsmarkt in Deutschland stetig an. Vor diesem Hintergrund räumen Unternehmen dem Thema Weiterbildung der Mitarbeiter hohe Priorität ein – unter anderem, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. An dieser Stelle bieten die neuen Angebote, auf die ein barrierefreier Zugriff möglich ist, den Nutzern eine professionelle Unterstützung bei der Stärkung der Qualifikation im eigenen Hause. Durch einen einfachen Zugang zu Schulungen und Arbeitshilfen werden die Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und letztlich die Ausführungsqualität gefördert.

Langfristige Auswirkungen

GZ: Neben der Verantwortung für nachfolgende Generationen, dem Klimawandel oder dem Fachkräftemangel steht die Branche vor vielen weiteren Herausforderungen. Wie können wir diese meistern?

Künster: Zum einen sind Investitionen anhand ihrer langfristigen Auswirkungen zu planen. Zum anderen – und das darf in der Diskussion nicht untergehen – muss nach Möglichkeit „jede Investition sitzen“. Die Qualität der Planung und Ausschreibung hat enorme Auswirkungen auf das, was ich mit einer Investition erreichen kann. Das gilt natürlich auch für die Qualität der Ausführung. Dafür müssen Unternehmen auf brauchbare Planungen zurückgreifen können und eine hohe Ausführungsqualität unterstützt durch die Bauüberwachung realisieren.

Michel: Das möchte ich unterstreichen. Je mehr Augenmerk auf die Qualität gelegt wird, desto länger kann ein Bauwerk seine Aufgabe erfüllen. Weder die finanzielle Ausstattung noch die personellen Ressourcen lassen es in Zukunft zu, dass wir uns neben den ohnehin anstehenden Aufgaben noch zusätzlich belasten mit „Flicken bzw. Reparieren von unzureichender Qualität.“ Vor diesem Hintergrund darf der Auftraggeber sich gerne immer wieder bewusst machen, dass eine Investition in die Qualität langfristig sehr viel Positives für die Substanz seiner Netze bewirken kann. Das RAL-Gütezeichen Kanalbau bietet in diesem Zusammenhang dem Auftraggeber eine Orientierung, welche Ingenieurbüros und welche bauausführenden Unternehmen ihre Qualifikation und Erfahrung nachgewiesen haben.

GZ: Herr Dr. Künster, Herr Michel, vielen Dank für das Interview.

Dipl.-Ing. MBA Ulf Michel, Vorstandsvorsitzender der Gütegemeinschaft Güteschutz Kanalbau.; Dr.-Ing. Marco Künster, Geschäftsführer der Gütegemeinschaft Güteschutz Kanalbau. Bild: Güteschutz Kanalbau
Dipl.-Ing. MBA Ulf Michel, Vorstandsvorsitzender der Gütegemeinschaft Güteschutz Kanalbau.;
Dr.-Ing. Marco Künster, Geschäftsführer der Gütegemeinschaft Güteschutz Kanalbau. Bild: Güteschutz Kanalbau

 

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