Bei dem geschilderten Fall handelt es sich nicht um die Ausnahme, sondern die Regel, wenn ein Patient selbst- oder fremdgefährdend ist. Das Notarztsystem für körperliche Erkrankungen ist einfach nicht für akute psychiatrische Krisenfälle gerüstet. Patienten in seelischen Notlagen kann es passieren, dass ein Allgemeinarzt ohne psychiatrische Fachkenntnisse vor der Tür steht, wenn sie oder ihre Angehörigen den ärztlichen Bereitschaftsdienst alarmiert haben.
Das halte ich für ein Unding für Patient und Arzt gleichermaßen. In München gibt es seit 2007 mit dem von uns finanzierten Krisendienst Psychiatrie eine hervorragende Alternative zum Notarztsystem. Unser Sozialausschuss im Bezirkstag hat deshalb vor kurzem beschlossen, den psychiatrischen Krisendienst auf ganz Oberbayern auszuweiten. Die Seelen-Notärzte sind künftig zwischen 9 und 24 Uhr über eine zentrale Rufnummer erreichbar – an sieben Tagen die Woche, für alle Bürgerinnen und Bürger Oberbayerns, schnell und wohnortnah.Wie beim Krisendienst in München werden wir die Einsatzkräfte in den Landkreisen an Sozialpsychiatrische Dienste andocken.
Dieses Angebot ist deutschlandweit einmalig. Selbstverständlich ist der Aufbau nur stufenweise möglich – allein schon aus finanziellen Gründen. Ab 2016 kosten uns Leitstelle und Krisenteams rund 4,5 Millionen Euro pro Jahr. Wenn alle Landkreise flächendeckend versorgt sind – das ist 2019 der Fall – rechnen wir mit rund 7,3 Millionen pro Jahr.
Ein gewaltiger Brocken. Doch die wohnortnahe Hilfe in allen Landkreisen ist wirklich jeden Cent wert; das steht außer Frage. Deshalb bedauere ich es sehr, dass wir das Angebot alleine schultern müssen. Wir haben wirklich alles versucht, die Krankenkassen als Partner mit ins Boot zu holen. Leider haben wir auf Granit gebissen. Die Kassen finanzieren bereits das Notfallsystem für körperliche Erkrankungen und sie halten dieses auch für psychisch Kranke für ausreichend. Unsere Erfahrungen aus dem Krisendienst München beweisen aber genau das Gegenteil: Menschen in seelischen Notlagen brauchen eine spezialisierte Hilfestruktur, wenn man den berühmt-berüchtigten Drehtüreffekt der Psychiatrie durchbrechen will.
Hier ist die bestmögliche Wohnortnähe der Hilfeangebote der zentrale Punkt. Die Münchner Stadtspitze hat dieses Argument bei der Einführung des Münchner Krisendienstes so überzeugt, dass sie sich seit langem mit einem jährlichen Zuschuss von bis zu 4.000 Euro pro Planstelle an den Sachkosten beteiligt.
Ein solches Modell schwebt mir auch für die oberbayerischen Landkreise und kreisfreien Städte vor. Ein Zuschuss unserer Umlagezahler ist für mich nicht nur finanziell motiviert. Er ist auch von hohem symbolischem Wert für die Akzeptanz dieses Hilfeangebotes für Menschen in seelischer Not. Und außerdem möchten wir in naher Zukunft den Seelen-Notruf auch für Kinder und Jugendliche in psychischen Krisen öffnen. Das geht aber nur in Partnerschaft mit den Landkreisen – den Trägern der Jugendhilfe.
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