Kolumnen & Kommentarezurück

(GZ-15/16-2022)
gz kommentator josef mederer
 

► Josef Mederer, Bezirkstagspräsident von Oberbayern:

 

In die Zukunft investieren, heißt in Menschen investieren

Liebe Leserinnen und Leser,

Tumulte am Check in, Kofferberge an der Gepäckausgabe und annullierte Zugverbindungen, weil es keine Mechaniker für die ICE-Wartung gibt: Vielleicht haben Sie selbst in jüngster Zeit eine solche Situation erlebt. Wer in der Ferienzeit auf Reisen geht, braucht aktuell starke Nerven. Für manchen ist die Urlaubsreise vorbei, bevor sie begonnen hat. Flug oder Zug ersatzlos gestrichen!

Vom Reisechaos berichten die Nachrichtensendungen beinahe täglich. Die Ursache ist überall der Personalmangel. Während der Lockdowns der Pandemiejahre haben sich viele Arbeitnehmende umorientiert und Jobs mit offenbar attraktiveren Arbeitsbedingungen gesucht.

Schwere Zeiten durchlebt deshalb auch die Gastronomie-Branche. Auch beim Bezirk Oberbayern bekommen wir die Folgen etwa bei unserem Kultur- und Bildungszentrum Kloster Seeon zu spüren. Hochsaison – und unsere Klostergaststätte bleibt geschlossen! Natürlich wegen Personalmangels.

Das Fehlen von Fachkräften gehört besonders im Gesundheitswesen und im sozialen Bereich seit vielen Jahren zum Alltag. Kliniken, die sich tageweise vom Notruf abmelden, geschlossene Gruppen in Kitas und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, die die ihnen Anvertrauten nicht mehr angemessen versorgen können: Die Liste ließe sich problemlos über die gesamte Länge dieser Kolumne fortführen. Die Lage im sozialen Bereich ist nicht nur aus meiner Sicht besorgniserregend. Doch leider bleibt der große gesellschaftliche Aufschrei – wie wir ihn aktuell bei den geplatzten Urlaubsträumen erleben – bislang aus.

Fakt ist jedoch, jeder Mensch kann jederzeit in eine Situation geraten, in der er oder sie Fürsorge und Pflege braucht – vielleicht sogar rund um die Uhr. Zu Recht hoffen dann alle auf die Solidarität ihrer Mitmenschen und ein funktionierendes Hilfesystem. Besonders Menschen mit Behinderungen, die Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten, und pflegebedürftige Personen sind auf ein tragfähiges soziales Netz angewiesen. Bedauerlicherweise wird sich der Mangel an Fachkräften in sozialen Berufen weiter zuspitzen. Wenn in den nächsten Jahren die Babyboomer in Rente gehen, fehlen nochmal bis zu 20 Prozent Beschäftigte vor allem in sozialen Berufen.

Hier sehe ich die Bezirke in einer besonderen Verantwortung. Wir dürfen die Hände nicht tatenlos in den Schoß legen. Deshalb haben wir in Oberbayern in enger Zusammenarbeit mit unseren Partnerinnen und Partnern in der Wohlfahrtspflege das Förderprogramm „In die Zukunft investieren, heißt in Menschen investieren“ auf den Weg gebracht. Es zielt darauf ab, dass Auszubildende und Studierende mit Hilfe von bezahlten Praktika in Einrichtungen und Diensten für Menschen mit Behinderungen schnuppern, um sie dauerhaft als Fachkräfte zu gewinnen.

Unsere Idee ist, dass junge Menschen bereits während ihres Studiums der Sozialen Arbeit oder Sozialpädagogik in inklusiven Kindertagesstätten, Werkstätten für Menschen mit Behinderungen oder Sozialpsychiatrischen Diensten sowie weiteren Einrichtungen und Diensten der Psychiatrie und Suchthilfe den Arbeitsalltag und vor allem die Menschen kennenlernen, die sie künftig versorgen sollen. Aufgrund der gesammelten Erfahrungen können sie besser entscheiden, ob die Aufgabe für sie geeignet und erfüllend ist. Und ob sie ihr gewachsen sind.

Wir fördern pro Jahr 75 Praktikumsstellen mit einer Million Euro. Heuer haben wir aufgrund der guten Resonanz sogar 96 Praktikumsstellen genehmigt – mehr als im Beschluss festgelegt. Denn in einer ersten Zwischenbilanz hat sich gezeigt: Unser Programm wirkt. Die Vermittlungsquote lag bei beachtlichen 31 Prozent. Auch bei den Einrichtungen kommt die Idee bestens an: 90 Prozent würden ihre Praktikantinnen und Praktikanten am liebsten sofort übernehmen.

Diese Zahlen ermutigen uns. Sie zeigen aber auch, um für die Herausforderungen einer Arbeitswelt mit deutlich weniger Fachkräften gerüstet zu sein, braucht es Kreativität und die Bereitschaft, Neuland zu betreten. Wir beim Bezirk Oberbayern sind bereit, ungewöhnliche Wege zu gehen. Wir sehen das als unseren Beitrag, um das Miteinander und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.

Ihr Josef Mederer, Bezirkstagspräsident von Oberbayern

 

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