Kolumnen & Kommentarezurück

(GZ-22-2023 - 23. November)
Eva Weber, stv. Landesvorsitzende der KPV Bayern, Oberbürgermeisterin der Stadt Augsburg. Bild: © Stadt Augsburg/Martin Augsburger
 

► Eva Weber, stv. Landesvorsitzende der KPV Bayern, Oberbürgermeisterin der Stadt Augsburg:

 

Wir alle sind gefragt! Denn „nie wieder“ ist jetzt!

Liebe Leserinnen und Leser,

der perfide Terroranschlag der Hamas auf Israel erschüttert uns. Und während wir abends fassungslos vor der Tagesschau sitzen und den neusten Meldungen aus Nahost lauschen, bestürzt die aktuellen Push-Nachrichten auf dem Handy checken und die Bilder, die uns über die sozialen Medien erreichen schier nicht mehr aushalten, schlägt der geopolitische Konflikt in der Mitte unserer Stadtgesellschaft auf.

In meiner Stadt haben die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger eine Zuwanderungsgeschichte. Nicht Köln, nicht Berlin, sondern Augsburg hat eine so bunte Stadtgesellschaft, wie sonst nur wenig deutsche Städte. Wir haben gemeinsam über viele Jahrzehnte gelernt, miteinander gut zu leben. Und doch bin ich nicht naiv. Schon vor dem 7. Oktober haben mir Schülerinnen und Schüler über Diskriminierung und Rassismus auf dem Schulhof berichtet. Schon vor dem 7. Oktober gab es gläubige Menschen, die sich ungern mit Hijab oder Kippa im öffentlichen Raum zeigten. Schon vor dem 7. Oktober warnte die israelitische Kultusgemeinde vor verstärkten antisemitischen Aktivitäten. Doch seit dem 7. Oktober liegt das Thema offen auf dem Tisch. Die ausdrücklich bekundete Solidarität mit Israel wird in Teilen der Stadtgesellschaft offen abgelehnt, Jüdinnen und Juden erzählen mir von ihrer Angst, islamische Gemeindemitglieder befürchten in einen Topf mit der Hamas gesteckt zu werden und über allem schwebt die Frage: Wie können wir hier in Augsburg weiterhin miteinander gut in Frieden leben?

Die gute Nachricht vorneweg: Wir haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viele Projekte und Initiativen aufgesetzt, die sich der Prävention von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit widmen. Auf diese Netzwerke, Erfahrungen und Ergebnisse können wir nun zurückgreifen. Die Herausforderung besteht nun darin, dass es mit Projekten und wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht getan ist. Wir müssen ins konkrete, aktive, zielgerichtete und vor allem zügig beginnende Tun kommen. Wir haben in Augsburg deswegen eine Arbeitsgruppe aus verschiedenen Dienststellen installiert. Der Arbeitsauftrag lautet: Erarbeitung eines städtischen milieuübergreifenden Programms zur Prävention und Bekämpfung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

Gleichzeitig stelle ich mir aber die Frage: Warum schweigen so viele? Im vergangenen Jahr, als Russland die Ukraine völkerrechtswidrig überfallen hat, gingen in Berlin 100.000 Menschen aus Solidarität mit den Ukrainerinnen und Ukrainern auf die Straße. In diesem Jahr, als zu einer Solidaritätskundgebung für Israel aufgerufen wurde, kam nach offiziellen Angaben gerade mal ein Zehntel vor dem Brandenburger Tor zusammen. Nur 10.000 Menschen, die sich an diesem Tag offen zu Israel bekannt haben. Nur 10.000 Menschen, die im Angesicht unserer Geschichte die aktuellen Entwicklungen auch in unserem Land für demonstrationswürdig hielten.

Die schweigende Mehrheit in unserem Land beschämt mich. Aber ich bin davon überzeugt, dass die allermeisten Menschen in unserer Stadt hier gemeinsam in Frieden leben wollen. Um diese anzusprechen und abzuholen haben wir mit „Wir alle sind Augsburg“ ein Kommunikationsdach geschaffen, das ein Wir-Gefühl in der Stadt erzeugen soll und somit niederschwellig einen Beitrag zum Stadtfrieden leisten kann, ohne sich im aktuellen Nahost-Konflikt auf eine Seite schlagen zu müssen, sondern die eigene Stadt im Blick zu haben. Vielleicht eine Idee, die auch in anderen Städten Fuß fassen kann. Denn wir alle sind gefragt. „Nie wieder“ ist jetzt!

Ihre Eva Weber, stv. Landesvorsitzende der KPV Bayern, Oberbürgermeisterin der Stadt Augsburg

 

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