(GZ-22-2024 - 21. November) |
► Franz Löffler, Bezirkstagspräsident der Oberpfalz und Landrat des Landkreises Cham: |
Herausfordernde Zeiten: Lebensqualität für Menschen mit Behinderungen sichern |
Liebe Leserinnen und Leser, In Bayern erhalten rund 150.000 Menschen mit Behinderungen Leistungen der Eingliederungshilfe. Die Ausgaben belaufen sich dabei auf über 4,5 Milliarden Euro jährlich, Tendenz steigend. Allein der Bezirk Oberpfalz wendet in diesem Jahr rund 350 Mio. Euro auf, um rund 11.000 leistungsberechtigte Menschen von der Frühförderung, in der Schule und Ausbildung, im Arbeitsleben und beim Wohnen bis ins Alter zu unterstützen. Mit dem in mehreren Schritten seit 01.01.2017 eingeführten Bundesteilhabegesetz (BTHG) wird der konkrete persönliche Bedarf des Menschen mit Behinderung für die gewährten Hilfeleistungen noch stärker in den Vordergrund gerückt. Bei diesem personenzentrierten Ansatz, den ich für sehr sinnvoll halte, müssen die damit verbundenen finanziellen Auswirkungen für die bayerischen Bezirke und Kommunen aber genau im Blick behalten werden. Inflation, höhere Personalschlüssel und deutliche Tarifsteigerungen haben dazu geführt, dass wir heute eine vollkommen andere Kostensituation haben als noch vor fünf Jahren. Bislang konnte das durch ein steigendes Steueraufkommen kompensiert werden. Jetzt leben wir aber in einer Zeit, in der wir angesichts einer abnehmenden Wirtschaftskraft und sinkender Steuereinnahmen bei zugleich immer weiter steigenden Ausgaben nicht umhinkommen werden, Leistungen, die wir mittlerweile als selbstverständlich erachten, auf den Prüfstand zu stellen. Dies umso mehr, als die aktuellen Steuerschätzungen andeuten, dass auch in den kommenden Jahren mit einer weiteren Verschärfung der Lage zu rechnen ist. Das bedeutet nicht, dass Betroffene nicht mehr auf unsere Hilfe zählen können. Hier haben wir als Bezirke eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, zu der wir weiterhin entschlossen stehen und die wir ernst nehmen. Der Mensch steht für uns stets im Mittelpunkt und muss vor unzumutbaren sozialen Härten geschützt werden. Wir müssen in der aktuell angespannten Haushaltslage aller bayerischen Bezirke jedoch prüfen, wo sinnvolle Einsparpotenziale bestehen und wie wir möglichst optimal eine Versorgung auf hohem Niveau gewährleisten können, ohne dabei eine Kostenexplosion hervorzurufen. Wir brauchen daher im Bereich der Eingliederungshilfe durchdachte strukturelle Reformen und innovative Lösungen, wenn wir den gesetzlichen Vorgaben und dem Inklusionsgedanken weiterhin gerecht werden wollen. Ein Beispiel, wo dies gut gelingt, ist das Pooling im Bereich der Förderschulen. Entgegen der bisherigen Einzelfallmaßnahmen kann durch das Pooling nicht nur die Zahl der benötigten Schulbegleiter sinnvoll angepasst werden, sondern zugleich die Selbstständigkeit, die Interaktion innerhalb der Klasse und die soziale Integration der Schülerinnen und Schüler gefördert werden, ohne auf eine Betreuung zu verzichten. Ebenso können durch Anpassungen bei baulichen Vorgaben oder bei der Anwendung von Personalschlüsseln Kosten gesenkt, Bürokratie abgebaut und Verwaltungsprozesse verschlankt werden. Wir müssen aber auch über Standards wie beispielsweise die Vorgaben in der Verordnung zur Ausführung des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes und Weiterbildung in der Pflege und Hebammenkunde (AVPfleWoqG) sprechen. Hierzu muss der im Juli letzten Jahres von den Bayerischen Bezirken als Kostenträger der Eingliederungshilfe und den Verbänden der Leistungserbringer unterzeichnete bayerische Rahmenvertrag einen Beitrag leisten. Erstmals war an den Beratungen die Landesarbeitsgemeinschaft für Selbsthilfe Bayern e. V. beteiligt. Der Vertrag legt fest, welche Leistungen für Menschen mit Behinderungen erbracht werden und wie diese Leistungen vergütet werden. Ergänzend dazu haben die Bezirke eine erste Rahmenleistungsvereinbarung geschlossen. Diese regelt die konkrete Leistungserbringung in den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. An der seit Anfang des Jahres laufenden Modellphase nehmen in Bayern 19 Werkstätten teil. In der Oberpfalz sind rund 560 leistungsberechtigte Personen in der KJF Werkstätten gGmbH mit der Werkstatt St. Johannes in Regensburg sowie die HPZ-Werkstätten der Lebenshilfe in Irchenrieth und Weiden betroffen. Für die Werkstätten bedeutet die neue Vereinbarung, dass die in den letzten Jahrzehnten vorherrschende Spezialisierung in Profilwerkstätten für Menschen mit geistiger, körperlicher und psychischer Behinderung weiterentwickelt werden soll in Richtung eines Basisangebots aller Werkstätten und eines passgenau für den Menschen mit Behinderungen ermittelten Zusatzangebots. Diese Reform soll so die Versorgung in Wohnortnähe des betroffenen Menschen unabhängig von seiner Behinderungsart sicherstellen. Auch die Finanzierung durch den jeweiligen Bezirk wird auf neue Füße gestellt: Im Mittelpunkt der Kostenerstattung steht primär der Bedarf des konkreten Menschen, nicht mehr die Kostenerstattung an die „Institution“ Werkstatt. Die Existenzberechtigung der Werkstatt steht nicht in Frage Als Bezirkstagspräsident der Oberpfalz stehe ich ein für die Notwendigkeit der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Diese erleben dort Selbstbestätigung, Wertschätzung, soziale Kompetenzen in der Zusammenarbeit und schaffen sich ein Einkommen. Die Erfahrung zeigt: Menschen mit Behinderungen haben ihre besonderen Fähigkeiten. Deshalb appelliere ich an alle Verantwortlichen in der kommunalen Verwaltung: Wir sollten beispielgebend vorangehen und prüfen, ob im eigenen Haus Menschen mit Behinderungen einen passgenauen Arbeitsplatz finden können oder dieser geschaffen werden kann. |
Ihr Franz Löffler, Bezirkstagspräsident der Oberpfalz und Landrat des Landkreises Cham
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