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(GZ-7-2019)
Neues von Sabrina
 

Lehrstunde in Demokratie

Gestern hat mein Chef gesagt...

„Die Jugend ist auf der Straße. An den Fridays for Future demonstrieren sie für mehr Klimaschutz und ziehen gegen eine europäische Richtlinie zur Regelung des Urheberrechts zu Felde. Aber jetzt so zu tun, als sei alle Welt verpflichtet, diesen Forderungen nachzukommen, ist doch etwas daneben.“ Mein Chef, der Bürgermeister, sieht im Umgang mit den Jugendprotesten auch so etwas wie eine Lehrstunde in Demokratie.

Wir haben es mit zwei Internetphänomenen zu tun. Das erste handelt von einer jungen Frau mit dem Habitus eines schüchternen Mädchens, das in Schweden an Freitagen die Schule schwänzt und dies mit der Forderung verknüpft, die ganze Menschheit solle mehr für den Klimaschutz tun, sonst würde sie weiterhin im kalten Stockholm mit einem selbstgemalten Pappschild in der Hand auf der Straße vor dem Reichstag stehen, statt am Unterricht teilzunehmen. Eigentlich eine Nichtnachricht aus einer Gegend Europas, die nur selten im Fokus des Interesses steht. Greta Thunberg aber wurde zur Heldin der Sozialen Medien. Der Hashtag #FridaysForFuture hat erst die Kids in Schweden aufgestachelt, dann ist die Idee auf ganz Europa übergesprungen und breitet sich nun wie eine Krake in der ganzen Welt aus. Der australische Bildungsminister hat die gleichen Probleme wie der bayerische!

Dabei hat diese so genannte Bewegung eigentlich keine konkreten, greifbaren Forderungen, außer es muss irgendwie was anders werden. Mittlerweile sieht man auch immer weniger selbstgebastelte Pappschilder und mehr professionell von K-Gruppen erstellte Banner, auf denen der Kapitalismus als eigentliches Problem und Verursacher der Erderwärmung identifiziert wird. Dennoch spricht Greta Thunberg vor dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos, wird von Forschungsinstituten eingeladen und war Gaststar der UN-Klimakonferenz, einschließlich Gespräch mit dem UN-Generalsekretär.

Was die junge Frau legitimiert und welche Expertise sie hat, wird gar nicht mehr hinterfragt. Auch nicht, dass sie sich wohl keinen Gefallen tut, wenn sie sich als Gallionsfigur herumreichen lässt. So sollten all die Preise und all die Aufmerksamkeit weniger ihren Klimaideen gelten, als dafür vergeben werden, dass sie es geschafft hat, mittels des Netzes von einem spleenigen Backfisch zu einer globalen Ikone zu werden. Das andere Phänomen war der Protest gegen die neue Urheberrichtlinie der EU. Mein Gott Urheberrecht! Das sollte doch für einen gesunden 18-Jährigen so interessant sein wie die Blasenteewerbung vor der heute-Sendung. Und dennoch haben buchstäblich zehntausende Teens und Twens über Wochen mit wissender Attitüde auf den Marktplätzen deutlich zu machen versucht, wie tief der Einschnitt in ihr Leben ist, wenn Schöpfer und Kreative für ihre Leistungen an die Gesellschaft ein paar Kreuzer mehr erhalten.

Ihr Informationsmedium war natürlich wieder das Internet, waren so genannte Influenzer, die eine ganze komplexe Regelungsmaterie auf das kurze Desiderat „Artikel 13 ist Mist“ gebracht und ihre Follower zu Aktionen aufgerufen haben. Anders als in anderen europäischen Ländern, in denen der Empörungslevel nur knapp über die Wahrnehmbarkeitsgrenze schlug, haben sie in Deutschland die Politszene gut durcheinander gebracht. Die Bundesjustizministerin legt Eiertänze hin, warum sie eigentlich schon immer gegen das europäische Teufelszeug war und auch die CDU sucht jetzt pfiffige Wege, die Kreativen und die Netzaktivisten zu versöhnen. Mein Chef, der Bürgermeister, sieht das Engagement mit Wohlwollen, solange der Protest friedlich und demokratisch bleibt. Nicht verstehen kann er allerdings Stimmen, die der Politik Versagen vorwerfen, weil den Forderungen der jungen Leute nicht nachgegeben wurde.

Meinungsäußerung ist in der Demokratie doch das Eine, Mehrheiten sind das Andere. Das mussten schon die 68er und die Atomkraftgegner erfahren und haben dann den Weg durch die Institutionen angetreten. Ich selbst halte es mit Stefan Zweig: „Was ist Jugend: Die unbändige Lust, die eigenen Gefühle und Ideen noch ganz heiß aus sich herauszustoßen.“

Natürlich ist Sprache Ausdruck der Gesinnung. Man kann mit Sprache diskriminieren und ausgrenzen, keine Frage. Aber muss man das Kind mit dem Bade ausschütten? Texte, die von Antragsteller*innen, BewerberInnen oder Entscheidungsträger/inne/n handeln, kann man schlicht nicht lesen, und vorlesen, also sprechen, kann man sie erst recht nicht.

Mein Chef, der Bürgermeister, setzt auf den gesunden Menschenverstand. Wenn man in einem Text nach der männlichen oder auch weiblichen Form durch einen Klammerzusatz oder eine Fußnote klarmacht, dass jeweils bis zum Ende immer alle Geschlechter gemeint sind und niemand durch eine Anrede diskriminiert wird, muss das doch reichen. Es zählt der Mensch und nicht das Symbol. Politisch unkorrekt muss ich zum Schluss allerdings auf Coco Chanel verweisen: „Die selbstsichere Frau verwischt nicht den Unterschied zwischen Mann und Frau – sie betont ihn.“

Ihre Sabrina

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