„Was für ein symbolhaftes und emotionales Osterfest dieses Jahr! In Paris brennt Notre-Dame und in Sri Lanka werden Christen in der Kirche ermordet. Eine Aufforderung zur Besinnung.“ Mein Chef, der Bürgermeister, kam nach den Osterferien sehr nachdenklich ins Büro zurück.
Tatsächlich erlebten wir ja einen hochdramatischen Auftakt der Karwoche, als die Bilder der lichterloh brennenden Pariser Hauptkirche über die Bildschirme und die Seiten der Sozialen Medien liefen. Da haben sich sicherlich nicht nur die Herzen derjenigen zusammengezogen, die Paris lieben, es gerne besuchen und für die ein Besuch in oder ein Spaziergang um Notre-Dame herum einfach ein Muss beim Aufenthalt ist.
Man sah doch förmlich, wie ein einmaliges Kulturdenkmal zugrunde ging. Ich hätte an diesem Montagabend nicht gedacht, dass auch nur eine Mauer stehenbleibt, zu mächtig türmten sich die Flammen, zu hilflos sahen die Löschversuche aus, zu dramatisch bracht der Vierungsturm in sich zusammen. Notre-Dame schien zum Symbol der Vergänglichkeit des Irdischen zu werden, just an der Schwelle der Feiern zu Christi Tod und Auferstehung, dessen Glaubensbotschaft die Kathedrale verherrlichen sollte.
Dann die guten Nachrichten, die Zerstörungen sind zwar schwer, aber nicht durchgängig irreversibel. Der Dachstuhl verloren, aber die Mauern intakt und stark. Die Kunstwerke teilweise beschädigt, aber weitgehend restaurierbar.
Vor allem aber wurde die Dornenkrone Jesu gerettet, jene Reliquie, die für die Gläubigen ein sichtbares Zeichen der Passion darstellt, das die Jahrhunderte und eben auch diese Katastrophe überdauert hat. Wer will da einem katholisch geprägten Herzen verübeln, wenn es bei aller Bewunderung für den Mut und die technische Kompetenz der Pariser Feuerwehrleute dennoch dem Wort „Wunder“ Raum gibt?
Bewundernswert auch die Bereitschaft, für den Wiederaufbau von Notre-Dame zu spenden. Die Trümmer rauchten buchstäblich noch, da waren fast eine Milliarde Euro an Spendengeldern zusammengekommen.
Aber unsere Welt ist nicht so, dass sich alle über so viel Großzügigkeit freuen würden oder man sie wenigstens nur unkommentiert zur Kenntnis nehmen würde. Nein, sofort wurde moralinsauer gefragt, ob es vertretbar ist, für ein Bauwerk Geld zu spenden, obwohl es auf der Welt so viel menschliche Not gäbe. Kluge Leute zückten ihre Bleistifte, um auszurechnen, dass schon der Bau der gotischen Kathedralen im Mittelalter reine Geldverschwendung war und im Angesicht der Armut damals unverantwortlich.
Aber wie hätte sich die Menschheit aus dem Mittelalter lösen sollen, ohne das technische und naturwissenschaftliche Wissen, das durch den Kathedralbau erworben oder erprobt wurde? Vor allem aber ohne den geistigen und sozialen Fortschritt der Arbeitsteilung und der Zusammenarbeit auf einen höheren Zweck hin.
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, weiß schon die Bibel. Klar, ob Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden oder Rettung von Notre-Dame – man könnte auch ohne diese steinernen Zeugen des Glaubens leben. Aber wollen wir auf diese Sinnstiftung verzichten? Vor allem in einer Zeit, da das Christentum weltweit zum Objekt des Angriffs und des Hasses geworden ist. Im Vorderen Orient ist es bis auf Ägypten praktisch verschwunden. Die Anschläge am Ostersonntag auf der lieblichen Insel Sri Lanka galten gezielt Betenden in ihren Kirchen. Sollen wir ausgerechnet in solchen Zeiten in Europa die Zeugnisse unserer Zivilisation und Kultur beiseite räumen und unsere christlichen Wurzeln kappen?
Mein Chef, der Bürgermeister, will in unserer Stadt eine Spendenaktion für Notre-Dame organisieren, auch weil er nicht vergessen hat, wie viele Franzosen und andere für die Dresdner Frauenkirche gespendet haben. Hier muss Europa vereint stehen und die Mahnung des großen Denkers Umberto Eco ernst nehmen:
„Wenn der Mensch aufhört, an Gott zu glauben, glaubt er nicht an nichts, sondern an alles Mögliche.“
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