Erscheinungs- & Themenplanzurück

(GZ-6-2021)
Neues von Sabrina
 

Meinungsmacht, Fachidioten und Spezialisten

„Hier herrscht ganz überwiegend Mutlosigkeit; Krisenszenarien werden gepflegt. Ein Gefühl der Lähmung liegt über unserer Gesellschaft“, zitiert unsere Vorzimmerperle Roman Herzog und räsoniert über Meinungsmacht, Fachidioten und Spezialisten.

„Mir fällt dazu gar nichts mehr ein.“ Mein Chef, der Bürgermeister, musste sich einmal mehr von einem empörten Bürger wegen der schleppenden Impfungen, den im-
mer noch nicht gelockerten Corona-Maßnahmen in der Stadt und wegen dem allgemeinen Gefühl der Ausweglosigkeit, das sich unter den normalen Leuten breit macht, beschimpfen lassen.

Kommunalpolitiker sind halt mal am nächsten dran bei den Menschen und müssen manchmal als Prellbock herhalten, auch wenn sie die Entscheidungen gar nicht selber beeinflussen können, sondern Vorgaben nur umzusetzen haben.

Und natürlich: Man kennt dieses Land nicht wieder. In diesem Land hat man es einmal geschafft, einen ganzen Flughafen über ein kurzes Wochenende komplett umzuziehen – damals, als der Münchner Airport von Riem nach Hallbergmoos verlegt wurde. In diesem Land funktioniert die Just-in-time-Belieferung von größten Produktionsstätten seit Jahren reibungslos, so dass sich industrielle global player weitgehend die Lagerhaltung ersparen.

In diesem Land gibt es Lager- und Auslieferungssysteme, die weitgehend automatisiert laufen wie ein wohlgeöltes Uhrwerk. In diesem Land gibt es Lehrstühle, die sich unter anderem mit der Optimierung von Logistikketten beschäftigen. Aber in diesem Land bekommen wir es nicht hin, dass vorhandener Impfstoff gegen Covid-19 in die Oberarme derjenigen gelangt, die das wünschen.

Vor genau einer Woche hat eine große, überregionale Tageszeitung ausgerechnet, dass in der ersten Märzwoche 4,3 Mio. Impfdosen irgendwo in Deutschland ungenutzt herumliegen. Insgesamt wurden bis dahin 12,5 Mio. Dosen ausgeliefert. Es gammeln also 1/3 der Dosen vor sich hin, während flächendeckend in der Republik die Inzidenzzahlen hochgehen. Wir schaffen es weder, die Impfzentren effektiver zu organisieren, noch die niedergelassenen Ärzte und Apotheker in das Impfgeschäft einzuspannen. Dabei habe ich zum Beispiel bis auf die Schluckimpfung in der Schule noch nie woanders eine Impfung bekommen als beim niedergelassenen Arzt.

Woher diese Mischung aus Bürokratie, Zögern und Angst, die einem aus dem Fernsehschirm geradezu anfällt, wenn wieder einer der so genannten Experten zu erklären versucht, warum wir so weit hinter Israel, den USA und Großbritannien hinterherhinken, warum es falsch sei, jetzt Lehrkräfte und Polizisten zu impfen, warum man auch in Gebieten mit Inzidenzen über 200 nicht von der festgelegten Impfreihenfolge abgehen dürfte, als wäre diese Impfreihenfolge ein bisher verschollener Anhang zu den Zehn Geboten und nicht eine menschliche Setzung, die natürlich immer wieder überprüft und bei Bedarf revidiert werden muss?

Ein Teil der Wahrheit ist sicherlich, dass wir uns viel zu stark der Meinungsmacht einzelner Wissenschaftler beugen oder Gremien zu viel Einfluss geben, die zwar jeweils ihre beratende Berechtigung haben mögen, aber in der Verfassung schlicht nicht vorgesehen sind. Früher gab es den schönen Begriff des Fachidioten für Personen, die in ihrem Spezialgebiet Hervorragendes leisten, aber aufgrund der verengenden Fixierung, die jede Spezialisierung mit sich bringen muss, andere Aspekte eher ausblenden.

Warum haben derzeit Rechtswissenschaftler, die die Sicht der Freiheitsrechte des Grundgesetzes in die Diskussion einbringen könnten, so wenig Widerhall? Warum werden nicht Wirtschaftswissenschaftler gefragt, wie lange man eine Volkswirtschaft am Boden halten kann, bevor die Schäden unersetzlich werden? Warum werden nicht Jugend- und Bildungsforscher gehört, die berichten könnten, welche langfristigen Schäden Kinder und Jugendliche davontragen, wenn nicht endlich auch sie wahrgenommen werden?

Mein Chef, der Bürgermeister, wird die Maßnahmen weiter loyal mittragen. Aber er gibt mir Recht, wenn ich derzeit oft an den Satz von Roman Herzog denken muss, mit dem er den Zustand im Deutschland der 90er Jahre beschrieben hat – viel hat sich nicht geändert: „Hier herrscht ganz überwiegend Mutlosigkeit, Krisenszenarien werden gepflegt. Ein Gefühl der Lähmung liegt über unserer Gesellschaft“.

Ihre Sabrina

 

Dieser Artikel hat Ihnen weitergeholfen?
Bedenken Sie nur, welche Informationsfülle ein Abo der Bayerischen GemeindeZeitung Ihnen liefern würde!
Hier geht’s zum Abo!

GemeindeZeitung

Neues von Sabrina

GZ Archiv

Kolumnen & Kommentare aus Bayern

AppStore

TwitterfacebookinstagramYouTube

Google Play

© Bayerische GemeindeZeitung