(GZ-9-2021) |
Leben kann man nur nach vorne |
„Beim Abschied wird die Zuneigung zu Dingen, die uns lieb sind, immer noch ein wenig wärmer“, sinniert die Vorzimmerperle und ist ihrem Bürgermeister dankbar, dass er sich künftig um ihren geliebten Pino kümmert. Der selbstbewusste Kater bedarf besonderer Zuwendung. |
„Tja, jetzt ist es wohl endgültig an der Zeit, Lebewohl zu sagen. Nach so vielen Jahren der Zusammenarbeit fühlt es sich unwirklich und falsch an, dass Sie ab nächster Woche nicht mehr mein Vorzimmer beherrschen. Aber alles im Leben hat seine Zeit.“ Mein Chef, der Bürgermeister, war sichtlich gerührt an meinem letzten Arbeitstag. Leben kann man nur nach vorne, weshalb es für mich richtig ist, dass ich noch einmal etwas Neues wage und als Projektmanagerin für eine Maßnahme der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung nach Afrika gehe. Ich werde ein Schulprojekt im Sahel leiten! Niemals vor dieser Pandemie wurde mir so klar, welche drei elementaren Probleme die Entwicklung vieler Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika behindern: Bildung, Wasser/Abwasser, moderne landwirtschaftliche Methoden. Hunger im Zusammenhang mit coronabedingt wegbrechenden Einkommen, so sagen es die meisten seriösen Experten, wird in Afrika mehr Menschen töten als das SARS-CoV-19-Virus selbst. Aber auch veraltete Anbaumethoden, ungerechte Bodenverteilung und Monokulturen auf den Äckern tragen zu fortlaufender Unterernährung und Defiziten im wirtschaftlichen Fortschritt bei. Vielerorts fehlt es an einer steten, zuverlässigen und ausreichenden Wasserversorgung – für die Bewässerung, aber auch zum Kochen und vor allem für die Hygiene, die vor Krankheiten schützen würde. Schlimmer noch sind die Probleme mit dem Abwasser und die Tatsache, dass nach Angaben der Vereinten Nationen 2,5 Milliarden Menschen keinen Zugang zu Toiletten haben. Vor allem aber fehlende Bildung tötet, weil dadurch den Menschen das vorenthalten wird, was Fortschritt eigentlich beinhaltet: Durch Erkenntnis und vernunftgeleitetes Handeln sein Leben zu lenken und das Richtige zu erstreben. Nur durch Bildung können Menschen Selbstbestimmung erreichen und sich aus traditionellen oder gewaltsamen Abhängigkeiten befreien. All das motiviert mich, nach den vielen, vielen Jahren im Rathaus etwas zu tun, mit dem ich im doch schon etwas fortgeschrittenen Alter meinem Leben einen neuen Sinn geben kann. Zwar bin ich keine Lehrerin, aber auf effektives Managen und auf überzeugendes Motivieren verstehe ich mich. Dazu mein Blick für das Wesentliche: Deshalb glaube ich an meinen Erfolg! Der Bürgermeister und ich haben in den vergangenen Jahren doch einiges zusammen angepackt, geschaffen und durchlebt. Wir haben ja nicht nur jetzt Corona zusammen erlebt, nein auch Hochwasser, Schneekatastrophen und viele menschliche Tragödien, die sich im Verborgenen abspielten. So und sooft ging unser Temperament mit uns durch und wir konnten uns ein Ventil schaffen, sei es über unberechtigtes Politiker-Bashing, Verwaltungsschelte oder über den Zeitgeist, dessen Wehen wir immer wieder kritisch aufgespießt haben. Meistens haben wir es aber doch mit Humor genommen und auch Kleinigkeiten Aufmerksamkeit geschenkt, sei es das Wetter, sei es die Mode oder andere Angriffe auf den guten Geschmack. Mein Chef, der Bürgermeister, wie auch ich werden das alles vermissen. Meine Wohnung ist gekündigt, Dinge, von denen ich mich nicht trennen konnte, habe ich bei meinen betagten Eltern in mein altes Kinderzimmer gestellt. Man braucht ja auch Daheim ein Zuhause, wenn man mal Urlaub bekommt oder einem im neuen Job alles zu viel wird. Ein Zufluchtsort. Ein Stein ist mir vom Herzen gefallen, als der Bürgermeister anbot, meinen geliebten Kater Pino zu sich zu nehmen und ihm die Fürsorge zukommen zu lassen, die einem solchen selbstbewussten und sensiblen Tier zukommt. Denn schließlich und endlich gilt doch, was Michel de Montaigne in den Satz gegossen hat: „Beim Abschied wird die Zuneigung zu Dingen, die uns lieb sind, immer noch ein wenig wärmer.“ |
Ihre Sabrina
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