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(GZ-13-2021)
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Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

„Ah, ein Sommer der Leichtigkeit. Die Inzidenzen fallen, die Stimmung steigt.“ Der Bürgermeister genießt das mittlerweile ungewohnte freie Lebensgefühl mindestens ebenso wie die Bürgerinnen und Bürger der Stadt.

Die Gastronomie ist zurück. Mit Pantomimen, Leierkastenmännern, Streichern nimmt die Straßenkultur wieder etwas Fahrt auf; die Leute treffen sich in den Biergärten zum gemeinsamen Fußballgucken. Das alles natürlich noch tastend und vorsichtig, wie man sich in einem schlecht beleuchteten Keller bewegt, wägend, welche Lockerungen man gestatten kann, welche Freiheiten man sich auch selbst gönnen will.

Die Geimpften belagern die Apotheken, um sich die Eintrittskarte für freies Reisen auf das Smartphone zu holen und die Preise für Selbsttests sind im freien Fall. Alles klar also?

Im Herbst wird es – ob mit Delta-Variante oder ohne – sicherlich wieder etwas ungemütlicher werden, weil Viren halt generell kältere Temperaturen bevorzugen. Wenn die Gesellschaft aber mit dem gleichen Verantwortungsbewusstsein im Herbst und Winter wieder kleinere Einschränkungen (Ausweitung der Maskenpflicht, Testpflichten, größere Abstände, weniger Veranstaltungen) akzeptiert, wie sie jetzt die Lockerungen annimmt, mache ich mir keine größeren Sorgen um die Menschen, denen ich gestatte mich zu versorgen und mit mir zu leben.

Im Grunde geht es doch um den ganz großen Test, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Zukunft besser funktioniert, als in der ersten Zeit der Pandemie. Kurz gesagt werden wir für voraussichtlich noch viele Monate uns immer wieder die Frage stellen müssen:

„Kann man es verantworten?“ Einerseits, kann man verantworten, dass sich mehr Menschen auf engerem Raum zu intensiveren Kontakten treffen? Andererseits kann man es verantworten, die Menschen in ihren natürlichen und grundgesetzlich verbrieften Rechten einzuschränken und zu welchem Zweck sollen diese Einschränkungen dienen? Das Ganze nennt man Rechtsstaatlichkeit und es ist eigentlich großartig zu sehen, wie den Deutschen diese Rechtsstaatlichkeit faktisch in Fleisch und Blut übergegangen ist. Bis auf einige Quernasen werden gut begründete Einschränkungen akzeptiert, aber verantwortungsvolle Lockerungen auch eingefordert.

Umso erschreckender war die Wortmeldung des Ministerpräsidenten eines größeren Landes, der – wenn ich es richtig verstanden habe – die Änderung des Grundgesetzes nicht ausgeschlossen hat, um eine Art prophylaktisches pandemisches Notstandsregime zu ermöglichen, das die Grundrechte auch unverhältnismäßig einschränken könnte. Die Forderung ist einerseits ironisch, weil die Generation der 68er, zu der sich dieser Ministerpräsident zweifellos zählt, die Initialzündung ihrer Bewegung damals aus dem Kampf gegen die Notstandsgesetze erhielt. Irritierend ist der Vorschlag, weil besagter Ministerpräsident als früherer K-Gruppler zwar offiziell dem Maoismus abgeschworen hat, jetzt aber Zwangsmaßnahmen à la China das Wort redet. Wenn man am demokratischen grünen Lack kratzt, kommt eine seltsame Grundierung zu Tage.

Ich erhoffe mir von den Menschen ein klares Nein zu solchen Vorstellungen. So schlimm die Verluste an Menschenleben während dieser Pandemie waren, so schwer die wirtschaftlichen Schäden, so gravierend die seelischen Spätfolgen von Lockdowns und Schulschließungen – nichts darf uns verführen, die Grundgedanken der Rechtsstaatlichkeit zu negieren und die Freiheitsrechte zu relativieren. In einer neuen Pandemie werden die Verantwortlichen sicher aus den Lehren der vergangenen Monate Schlüsse ziehen und besser, effektiver, schneller Maßnahmen treffen. Aber ein semitotalitäres Notstandsregime wird mehr Schaden an der Gesellschaft anrichten, als es ein Virus jemals könnte.

Der Bürgermeister jedenfalls griff in den Zitatenschatz, den Sabrina ihm in langen Jahren angelegt hatte. So sagte Benjamin Franklin: „Wer Freiheit aufgibt um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.“

Ihr Pino

Pino

 

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