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(GZ-9-2022)
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Formvollendete Diener und andere Überraschungen

Der Rathauskater räsoniert über die Zeitenwende, auf die er gesetzt hatte – ein Begriff, der Hoffnung gemacht hat, dass Deutschland aus seinem bräsig-zufriedenen „Weiter so“ im Angesicht der vielen Krisen, die es zu meistern gilt, herauskommt.

Zeitenwende – ein Begriff, der Hoffnung gemacht hat, dass Deutschland aus seinem bräsig-zufriedenen „Weiter so“ im Angesicht der vielen Krisen, die es zu meistern gilt, herauskommt. Der Begriff hörte sich so nach dem Abschneiden alter Zöpfe, nach Aufgabe bisheriger Gewissheiten und dem Rückgängigmachen von Fehlentscheidungen an, dass man im Angesicht der handelnden Personen nur enttäuscht werden konnte.

Wobei man nicht ungerecht sein darf. Viele haben die Zeichen der Zeit erkannt und handeln danach. Oder wer hätte sich vor einem Vierteljahr vorstellen können, dass ein grüner Wirtschaftsminister in Anzug und Krawatte vor einem qatarischen Würdenträger einen formvollendeten Diener wie ein Sechsjähriger hinlegen würde, um über Energielieferungen zu verhandeln. Motto: Besser Gas vom Terrorfinanzier als vom Kriegsaggressor. Außer vielleicht mildem Spott wie hier erntete er dafür keine Kritik, sondern Lob. Zu Recht, weil er etwas angepackt hat, was seit 40 Jahren versäumt wurde (keine Übertreibung, ich verweise auf das Zitat am Ende der Kolumne): Die Energieversorgung zu diversifizieren.

Wir haben auch eine Außenministerin, die mit Empathie und klarer Sprache bewegt, aufrüttelt, überzeugt und damit unser Land hervorragend repräsentiert. Ursprünglich wollte sie ja feministische Außenpolitik machen. Wenn das sowas ist, kann man nur sagen: Passt schon.

Respekt auch für die Vorsitzenden von Bundestagsausschüssen, die in die Ukraine reisten und seither Tacheles reden, was die Unterstützungsnotwendigkeiten dieses tapferen Landes angeht. Aber jetzt sind wir natürlich schon wieder voll in der bundesrepublikanischen Realität angekommen. Weil die drei von der Ampel durch Reisen gebildet fordern, dass Deutschland das tun sollte, was die USA, Großbritannien, die Niederlande, die Slowakei und andere auch machen, nämlich schwere Waffen zu liefern, wurden sie vom Vorsitzenden der größten Fraktion im Bundestag sofort verbal in den Senkel gestellt. Dieser Boomer gehört zu den rückwärtsgewandten Fußlahmen der Friedensbewegung, die wahrscheinlich der Meinung sind, Kriege ließen sich beenden, wenn man im Stuhlkreis dem Angreifer nur geduldig genug erklärt, was er falsch gemacht hat.

So wird das nichts mit der Zeitenwende. Auch weil der Kanzler im Interview ex cathedra erklärt, dass die liebedienerische Anbiederungspolitik aller bisherigen SPD-Kanzler Moskau gegenüber auf alle Fälle richtig war und nicht kritisch zu hinterfragen sei. Punkt. Oder besser Basta! Da überzeugt Friedrich Merz mit der Ankündigung der Aufarbeitung der CDU-Russlandpolitik schon eher.

Aber auch sonst gelingt es uns einfach nicht, auf den Ernst der Lage angemessen zu reagieren und unsere biedere Komfortzone zu verlassen. Die Laufzeit der noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke verlängern und damit sechs Prozent des deutschen Strombedarfs ohne fossile Importe sichern? Technisch möglich, aber ideologisch nicht gewünscht.

Heimische Gasreserven nutzen, bis die erneuerbaren Energien besser ausgebaut sind? Fracking wäre eine gute und technisch weltweit erprobte Möglichkeit, heimisches Erdgas zu fördern. Geht nicht, sagt der Wirtschaftsminister (ja, der mit dem formvollendeten Diener), weil das Wasserrecht dagegen stehe. What? Wurde uns das Wasserrecht zusammen mit dem Zehn Geboten vom Herrn selbst gegeben oder kann man das mit Parlamentsbeschluss ändern?

Vielleicht sollte man neben Juristen auch mal anderen eine Stimme geben. Historikern zum Beispiel. Deshalb hat das letzte Wort heute Franz Josef Strauß mit einem Auszug aus einem Interview, das er 1982 gegeben hat: „Die geschichtliche Erfahrung zeigt doch, dass die machtpolitische Strategie Moskaus langfristig angelegt ist. Und auch wirtschaftliche Entscheidungen werden voll in den Dienst dieser Strategie gestellt. Die Bundesrepublik darf sich deshalb nicht in die Erdgasabhängigkeit Russlands begeben.“

Ihr Pino

Pino

 

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