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(GZ-5-2023)
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Streikrecht oder Gipfel des Zynismus?

Tarifautonomie und das Streikrecht sind ein hohes Gut. Aber ausgerechnet am internationalen Frauentag den Frauen das Leben noch schwerer zu machen und für Gehaltswünsche mit Leuten gemeinsame Sache zu machen, die das Weltklima vorschützen, während man selbst die kleinen Leute in die Pfanne haut, die auf den ÖPNV angewiesen sind, hält der Rathauskater für bedenklich.

10,5, 15, 18. Was sagen Ihnen diese Zahlen? Richtig, das sind, in Prozent, die Tarifforderungen der Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst der Kommunen und des Bundes, der Post und der Eisenbahner.

Einerseits ist es bei einer Inflationsrate zwischen acht und neun Prozent und besonders hohen Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln und Energie verständlich, dass die Arbeitnehmer in diesem Jahr einen tüchtigen Nachschlag fordern. Und so ein alter Kater wie ich weiß natürlich auch, dass man nie mit einer Zahl als Ergebnis aus Tarifverhandlungen rauskommt, mit der man hineingegangen ist.

Klar ist auch, dass man es im Vorfeld, bei den Verhandlungen, so richtig rumpeln lassen muss. Da sind die Muskeln anzuspannen und zu zeigen, da ist zu jammern und zu klagen, da müssen die Trillerpfeifen glühen und die Tränen fließen bei den Geschichten der Mitarbeiter, die kaum über die Runden kommen mit dem bisschen Geld, was ihnen der Arbeitgeber gibt (mit Verlaub: und das nach Steuern und Sozialabgaben noch im Geldbeutel bleibt). Auch Warnstreiks sind legitim, keine Frage, die sind ein integraler Bestandteil von Tarifverhandlungen, gehören zum Ritual der Tarifautonomie und ein bisschen sicherlich auch zur Rechtfertigung der Daseinsberechtigung so manches Gewerkschaftssekretärs.

Aber seit dieser und letzter Woche frage ich mich ernsthaft, ob nicht langsam die Grenzen zwischen Warn- und Flächenstreiks verwischen. Beispiel ÖPNV: Ein Warnstreik ist für mich, wenn die Busse zwischen Betriebsbeginn und sagen wir mal 9:00 Uhr im Depot bleiben und der Berufsverkehr gestört wird. Ärgerlich, aber für Arbeitnehmer wie Schüler organisierbar. Letzte Woche wurde halb Bayern einen ganzen Tag lang lahmgelegt, München sogar zwei Tage hintereinander. Da soll doch kein Arbeitgeber mehr gewarnt werden, da werden einfach die Bewohner der größten Städte schikaniert. Und an wem wird dieser Streik besonders ausgelassen?

An den kleinen Leuten und denjenigen, die stationär arbeiten müssen. Schüler und Studenten können in den Distanzunterricht wechseln, also von zuhause aus vor der Computerkiste lernen. White-collar-Arbeitnehmer wechseln einfach ins Homeoffice und lassen die Streikenden am Wege stehen. Betroffen sind die, die zwingend persönlich am Arbeitsplatz sein müssen, in der Produktion, der Pflege, in Betreuungseinrichtungen, in Servicebereichen.

Diese Leute wurden am Freitag auch noch verhöhnt, weil der ÖPNV-Streik verbunden wurde mit den Klimaaktionen von Fridays for Future und anderen obskuren antikapitalistischen Initiativen. Was könnte es für das Klima Besseres geben, als die Stadtbusse im Depot zu lassen und den Leuten klar zu verstehen zu geben, dass es wichtig ist, auch in der Stadt ein Auto zur Verfügung zu haben, wenn man mobil bleiben will?

Ein weiterer Gipfel des Zynismus war die Ankündigung, ausgerechnet am 8. März die Kindertagesstätten und Horte zu bestreiken. Dieser Tag war in kommunistischen Ländern als internationaler Frauentag bekannt und wird in bisher streng sozialistisch regierten Ländern wie Berlin immer noch als Feiertag geführt. Da ist es doch eine besonders schöne Geste, ausgerechnet zu diesem Datum den Frauen das Leben noch etwas schwerer zu machen, die ohnehin schon die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu managen haben.

Ich bitte, mich jetzt nicht falsch zu verstehen – die Tarifautonomie und das Streikrecht sind ein hohes Gut. Aber ernsthaft wird es doch auch im öffentlichen Dienst auf ein Ergebnis um die 5,2 bis 6,5 Prozent hinauslaufen, wie bei Metall und Chemie. Da mag es ganz angebracht sein, zu poltern und zu drohen, um den Mitgliedern zu zeigen, wie sehr man sich einsetzt. Aber die Bürger als Geisel nehmen? Schließlich schaden Streiks im öffentlichen Sektor nicht den Arbeitgebern, sondern nur den Bürgerinnen und Bürgern.

Obwohl ich mich auch an Streiktagen nicht aus meiner Komfortzone bewegen muss, fielen mir doch die Worte Hans Magnus Enzensbergers ein: „Mürrische Leute, die andere mit ihrem Problem behelligen, die halte ich für rücksichtslos.“

Ihr Pino

Pino

 

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