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(GZ-17-2023 - 14. September)
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Echte Aufreger: Von Pamphlet bis Kusseklat

Schrumpfende Wirtschaft, hohe Inflation und illegale Migration: Pino sieht genug Diskussionsbedarf. Die Aufregerthemen sind aber andere. Der Rathauskater fragt sich, ob die Politiker noch wissen, was die Menschen im Land wirklich bewegt.

„Ich hoffe sehr, Sie sind gut durch diesen verregneten und heißen Sommer gekommen. Vom Wetter her hatten wir es ja mit ziemlichen Gegensätzen zu tun. Aber eigentlich doch auch in der Politik, der Wirtschaft und mit dem medialen Bild, das sich in Deutschland zeichnete.

Ich beobachte das Geschehen ja nur vom Rande, sozusagen von einer mittleren Position auf dem Kratzbaum aus. Und es war ganz schön verwirrend für mich. Ich hatte so den Eindruck, dass Deutschland einen ganzen Sack voller Probleme hat: Die Wirtschaft schrumpft, anders als in den übrigen Industriestaaten, die Inflation ist noch tierisch hoch, die illegale Migration ungebremst. Da hätte ich gedacht, gibt es viel Diskussionsbedarf. Nur so als Beispiel, warum bei den illegalen Zuwanderern mancherorts Türken die zweitstärkste Gruppe bilden, also Bürger eines NATO-Partners, der vielfältige politische, wirtschaftliche und kulturelle Verbindungen zu Europa hat. Oder warum man Inder, die illegal einreisen, nicht einfach postwendend in ihr Heimatland zurückschickt, das immerhin die größte Demokratie der Erde genannt wird und dies nicht nur formal auch ist.

Wenn man aber die Zeitung aufschlug, das Radio oder den Fernseher aufmachte, waren andere Themen der satte Aufreger. Zunächst waren die Zeitungsspalten wochenlang vom Fall eines aus der Zeit gefallenen Machos blockiert, der als Verbandspräsident eine Spielerin des siegreichen Frauenfußballteams aus Spanien nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft auf den Mund geküsst hatte. Diese Aktion hätte alles verdient, von einer spontanen Betonwatschn bis hin zur – wohl jetzt erfolgten – Strafanzeige. Aber keine tagelange Berichterstattung mit Statements aus Politik, Kultur, Gesellschaft und natürlich Sport über alle fünf Kontinente hinweg.

Dann mussten wir uns wochenlang mit einer ekelhaften Aktion beschäftigen, die vor 35 Jahren an einem niederbayerischen Gymnasium von minderjährigen Schülern abgezogen wurde, deren Geschichts- und Sozialkundeunterricht wohl keine nachhaltige pädagogische Wirkung im Hirn von mindestens einem Schüler entfaltete. Ob dieser Schüler Hubert oder Helmut oder sonstwie hieß, ist nach einem Empörungssturm der Extraklasse immer noch nicht klar, ebenso wenig ist die Frage beantwortet, ob jemand, der mit 16 Jahren Flanellhosen getragen hat, heute politische Verantwortung übernehmen darf. Bevor ich jetzt ins Tierheim oder ins Versuchslabor komme: Natürlich steht man sprach- und fassungslos vor so einem Machwerk aus Dummheit, Hass und Menschenverachtung. Aber die Schule hat das richtige damit gemacht: Als ein Schüler eine Arbeit im Rahmen eines Geschichtswettbewerbs zur Aufarbeitung der NS-Verbrechen in dem Ort verfasste, wurde ihm das Flugblatt als Beispiel für fortwährenden braunen Ungeist überlassen. Er hat es mit Erkenntnisgewinn verwendet, so dass es heute noch eingeordnet als zeitgeschichtliches Dokument – unabhängig vom Verfasser – einsehbar ist. Wenn jetzt ein Lehrer, der zur Zeit des Entstehens offenbar pädagogisch versagt hat, damit eine sehr verspätete Diskussion über den Charakter eines mittlerweile über 50jährigen Mannes auslösen wollte, wird der geistige Auswurf gerade nicht in einen angemessenen historischen Kontext eingebunden.

Eine klare, wenngleich mich äußerst beunruhigende Bestätigung fanden meine Beobachtungen zum Missverhältnis von der Bedeutung eines Themas zu dessen medialer Aufbereitung in einer Umfrage zum Vertrauen der Menschen in die Politik. Das Ergebnis war erschreckend: Die meisten Leute glauben nicht, dass die Politiker noch wissen, was die Menschen im Land wirklich bewegt. Die Meinungsblase Berlin (Kreuzberg) schottet die Entscheidungsträger im Bund von dem ab, was im Land (Gillamoss) tatsächlich vor sich geht. Nebenbei: Wundert sich von Ihnen jemand, dass Friedrich Merz vom juste-milieu der Republik für eine Bierzeltrede so viel Kritik erfahren hat, also genau von den Leuten, die das wahre Leben in diesem Land nicht mehr kennen.

Ach, käme doch wieder Martin Luther zu Ehren: „Man muss dem Volk aufs Maul schauen, ihm aber nicht nach dem Munde reden.“

Ihr Pino

Pino

 

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