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(GZ-19-2023 - 12. Oktober)
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Nationalfeier- oder Nationaljammertag

Ob wirklich alles Mist wäre, fragt sich Pino, der Rathauskater, bei der Rede unseres Bundespräsidenten zum Nationalfeiertag. Oder verkommt der 3. Oktober zum Nationaljammertag? Aber schon Bundeskanzler Helmut Kohl wusste, dass die Deutschen „auf sehr unsympathische Weise Weltmeister im Jammern“ sind.

Herzlichen Glückwunsch! Die Deutschen haben es wieder einmal geschafft, ihren Nationalfeiertag zum Tag-des-sich-Asche-aufs-Haupt-streuen zu machen. Dabei wären alle Zutaten zu einem entspannten Feiertag gegeben gewesen: Kaiserwetter, ein vorgeschalteter Brückentag, keine akuten Krisen im Land wie Pandemien oder Terror, und das Oktoberfest wurde um zwei Tage verlängert. Was will man mehr?

Gut, vielleicht sind die Deutschen vom Typ her nicht dazu gemacht, wie die Franzosen am 14. Juli wild mit Freunden, Nachbarn und Fremden auf den Straßen zu tanzen und ausgelassen zu feiern. Vielleicht ist es im Frühherbst auch etwas zu unbeständig, als dass sich Traditionen wie ein Riesen-Picknick oder ein grandioses Feuerwerk einnisten könnten, wie sie den 4. Juli in den USA kennzeichnen. Aber Leute, muss es wirklich sein, dass der 3. Oktober zum Nationaljammertag verkommt? Kein Geringerer als die oberste Bundesspaßbremse, der durch und durch westdeutsch sozialisierte Bundespräsident, hat in einem sauertöpfischen Interview den Ton vorgegeben: Alles ist Mist. Zu wenige Ostdeutsche in den Unternehmensführungen, zu wenige Ostdeutsche im Kulturleben, zu wenige Ostdeutsche in den Medien. Weitere beliebte Jammerpunkte: Die Ost-Biografien werden nicht anerkannt. Immer noch gibt es geringere Renten im Osten.

Für mich beginnt das Elend schon in den Begrifflichkeiten. Was soll „Ostdeutschland“ denn heißen? Die prosperierende Clusterregion Silicon Saxony oder die pulsierende Universitäts- und Kulturstadt Leipzig? Das entvölkerte Vorpommern oder die maroden Plattenbauten in der brandenburgischen Provinz? Bei Lichte besehen gibt es wenig Unterschiede zum alten Westen, der Boomregionen wie München und Umland ebenso kennt, wie soziale Brennpunkte in Ludwigshafen, Duisburg oder Essen. Hellsichtige und engagiert patriotische Persönlichkeiten wie Theo Waigel oder Lothar Späth haben in den 90er Jahren versucht, für die Länder im damaligen Beitrittsgebiet den Begriff „junge Länder“ zu etablieren. Das klang nach Aufbruch, Chance, Dynamik – nach 33 Jahren kennt diesen Begriff praktisch niemand mehr und wir fabulieren noch immer von Ossis und Wessis.

Überhaupt, was ist nach über drei Jahrzehnten gemeinsamer Staatlichkeit noch ein Ostdeutscher? Ist das der im Gebiet östlich der ehemaligen Zonengrenze geborene Mann, der im Alter von sieben Jahren mit seinen Eltern nach Nürnberg zog und heute dort einen Handwerksbetrieb leitet? Ist es die westlich der Zonengrenze geborene Frau, die sich nach ihrem Jurastudium Anfang der 90er Jahre eine Anwaltskanzlei in Radebeul aufgebaut hat und dort engagiert Kommunalpolitik macht? Ist der wohlstandsverwahrloste Radikalinski aus bester Stuttgarter Familie, der nach Leipzig-Connewitz ins linksradikale Antifa-Milieu gezogen ist, Ostdeutscher? Ist der Mathecrack aus Halle an der Saale ein Westdeutscher, der bei Google in München arbeitet? Ich denke, Deutschland ist mittlerweile zu verwoben und die Nachwendekinder mit ihren 33, 34 Jahren zu alt, um Gegensätze konstruieren zu können.

Aber die Stereotypen halten sich, etwa das Märchen von der Benachteiligung des Ostens in der Rente. Dabei gibt sogar die Bundesregierung, die sich einen moralinsauren Westankläger genannt Ostbeauftragter hält, an, dass die Rentenangleichung im Juli 2023 abgeschlossen war. Oder die Klage von den angeblich nicht gewürdigten Ostbiografien. Ich persönlich bewundere jeden, der wie der Staat, in dem er lebte, beim Aufbau des Sozialismus versagt hat. Es war nicht seine Schuld, sondern es konnte halt nicht klappen, trotz mieser Arbeitsbedingungen und Umweltzerstörung apokalyptischen Ausmaßes. Nicht aber achte ich die Spitzel und Regimeprofiteure, die den Unterdrückungsapparat der SED ge- und unterstützt haben und jetzt auf Seniorennachmittagen der Partei Die Linke (= SED/PDS) gegen den Kapitalismus wettern.

Statt dem Steinmeier-Interview hätte man im Fernsehen besser Bilder von den Braunkohlewolken über Bitterfeld vor 1990 zeigen sollen. Dann wäre auch klar, wie Recht Helmut Kohl mit seinem Satz hatte: „Die Deutschen sind auf sehr unsympathische Weise Weltmeister im Jammern.“

Ihr Pino

Pino

 

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