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(GZ-11-2024 - 6. Juni)
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Bedauerlich defizitäre Geschichtskenntnisse

Der Rathauskater räsoniert über den 75. Geburtstag unseres Grundgesetzes und bemängelt mangelnde Qualität und Phantasie, die man in die Würdigung der freiheitlichsten, beständigsten und wehrhaftesten Verfassung investierte, die unser Staat je hatte.

Manchmal ist das mit der deutschen Geschichte doch verflixt schwer. Am Pfingstdienstag strahlte das ZDF eine „Terra X History“-Sendung unter dem Titel „75 Jahre Deutschland – Deutschland hat Geburtstag! Vor 75 Jahren wird die Bundesrepublik gegründet – und die DDR“ aus. Mehr gequirlter Quark auf einmal geht sicher nicht mehr.

Wann Deutschland geboren wurde, ob mit dem Vertrag von Verdun 843, mit der Thronbesteigung Heinrichs I 919, mit dem Westfälischen Frieden 1648 oder doch erst mit der Reichsgründung 1871 – darüber mögen Historiker sich die Köpfe heiß reden. 1949 jedenfalls gab es Deutschland schon lange, es musste nach zwölf Jahren skrupelloser Terrorherrschaft und fünf Jahren infernalischem Krieg allerdings wieder aufgerichtet und neu organisiert werden. Den Zeitläuften geschuldet in zwei getrennten staatlichen Einheiten.

Weil Deutschland in den westlichen Besatzungszonen als demokratischer, föderaler und freiheitlicher Staat organisiert werden sollte, gab es tatsächlich einen 75. Geburtstag zu feiern, und zwar am 23. Mai: Den Geburtstag des Grundgesetzes, der freiheitlichsten, beständigsten und wehrhaftesten Verfassung, die der Gesamtstaat je hatte. Erst in den Ländern der alten Bundesrepublik gültig, ist es seit die DDR und damit die zweite deutsche Diktatur zur Fußnote der Geschichte wurde, die Verfassung unseres ganzen Landes.

Wie hat Deutschland also sich und sein Grundgesetz gefeiert? Das Bundesfinanzministerium hat eine echt coole Sonderbriefmarke herausgegeben, deren Motiv ein gedrucktes Grundgesetz ist, das lässig in einer Jeans-Gesäßtasche steckt. So wie unsere Verfassung halt sein sollte – Teil unseres täglichen Lebens. Problem: Die Post verkauft Sondermarken nur noch an ganz wenigen Verkaufsstellen und wer Briefe überhaupt noch schreibt, vermeidet ja eher Briefmarken, die man hinten ablecken muss. Chance vertan, an das Jubiläum in den Briefkästen breit zu erinnern.

Dann gab es eine Sondermünze, allerdings keine zu 2 Euro, die man dann täglich benutzen könnte (eine solche gab es wenigstens zur Feier der Paulskirchen¬Verfassung vor 175 Jahren – immerhin ein Meilenstein der deutschen Demokratiegeschichte), sondern zu 20 Euro, die nur in Sammleralben oder als mäßig originelles Geschenk zur Firmung auftauchen dürfte.

Klar, landauf, landab wurde beflaggt, auch bei uns am Rathaus. Ernüchternd war, wie viele Besucher an der Pforte erst mal gefragt haben „Warum heute die Fahnen?“ und nachdem der Pförtner sie aufgeklärt hat, mit „Ey, OK, wusste gar nicht, dass heute Verfassungstag ist“ zum Dank antworteten.

Die regierungsamtliche Propagandatruppe hat all ihre Kraft und finanziellen Mittel auf zwei Feste der Demokratie in Berlin und Bonn konzentriert, auf denen sich die Regierungspolitiker präsentieren und blamieren konnten (Habeck: Heizungsgesetz als Versuchsanordnung für die Energiewende), aber nichts unternommen, um Feierstimmung auch im weiten Land zu erzeugen, vor allem da, wo nicht die Eliten wohnen, sondern die Einstellung gegenüber unserer Demokratie etwas kritischer ist.

Vereinzelt hat man sich darüber lustig gemacht, dass über den Berliner Himmel ein paar Fallschirmspringerschüler mit Fahnen abgesprungen sind, während in Paris oder Rom am Nationalfeiertag die Patrouille de France bzw. die Frecce Tricolori die jeweiligen Nationalfarben aus den Düsen ihrer Jets in den Himmel zaubern. Aber das ist OK. Wenn wir keine einsatzbereiten Streitkräfte haben, brauchen wir auch keine Kunstflugstaffel. Im Übrigen steht es den Deutschen gut zu Gesicht, die Nation eine Nummer kleiner zu feiern.

Populärer als der Verfassungstag wird in diesem Jahr sicher der Tag des Anpfiffs der Fußball-EM der Männer sein. Mal sehen, ob es wieder ein Sommermärchen mit sympathischen Zeichen der Zusammengehörigkeit der Deutschen, gekrönt von einer weltoffenen Grundeinstellung gibt.

Zur Verfassung wie zum Fußball passt übrigens ein Wort von Walter P. Chrysler: „Das wahre Geheimnis des Erfolges ist die Begeisterung“.

Ihr Pino

Pino

 

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