(GZ-20-2024 - 24. Oktober) |
Das Buch lebt! |
Pino stellt fest, dass Literatur nach wie vor konsumiert wird; nur eben anders. Seiner Meinung nach wurde aus dem Abgesang auf das Buchlesen schon längst ein Evergreen. „Das Buch“, so der Kater, „ist nicht tot.“ |
In den letzten Wochen konnte man ihnen nicht entkommen: Bücher. Literatur-Nobelpreis, Frankfurter Buchmesse, Deut-scher Buchpreis, Friedenspreis des Buchhandels – kaum ein Tag verging ohne Meldungen über Bücher, Schriftsteller oder das Verlagsgeschäft. Und natürlich über die Nachtretereien und Eifersüchteleien derer, die sich auch für preiswürdig hiel-ten, aber mit dieser Meinung in der Minderheit blieben. Dazu kam die Aufregung um verglühende Showstars, die sich mit einem Buch nochmal die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit sichern wollen und den Trittbrettfahrern, die ihren Namen medial transportieren, indem sie den Stern böse anbellen. Gockelei als Abgesang auf die Prominenz. Alles in allem ist es aber schon bemerkenswert. Dauernd heißt es, die Medienwelt sei nur noch digital geprägt, die Sozialen Medien verdrängten die vertrauten Formate der Information und des Diskurses. Und plötzlich diskutiert gefühlt jeder über irgendwas mit Büchern: Über Literatur aus fernen Ländern, die aber auch unsere westliche Befindlichkeit anspricht, ebenso wie über fundierte Analysen in Sachtiteln. Und über die, die sich aus dem Dunkeln des Vergessenwerdens durch die gekünstelte Aufregung um ein Buch retten zu können glauben. Am bemerkenswertesten dürfte aber sein, dass ein nicht unumstrittenes und wahrscheinlich sogar gefährliches social media-Angebot einen absoluten Buch-Hype unter seinen jungen Nutzern ausgelöst hat. Das sonst für kurze Videoschnipsel, Tanz-Videos und raffinierte extremistische Propaganda verrufene TikTok hat mit BookTok ein Format, auf dem sich munter über Bücher ausgetauscht wird, man Bücher bespricht, seine Leseerlebnisse teilt und das Buch quasi (wieder) zum Teil der Jugendkultur wird. Laut Eigenangabe wurden 2023 über 12 Millionen auf #BookTok gelistete Bücher in Deutschland verkauft. Nun sind das nicht durchgängig Bücher, die vor dem strengen Auge jedes Deutschlehrers oder Feuilletonchefs bestehen können. Aber was die Jugend in den 50er, 60er, 70er und 80er Jahre gelesen hat und heute zu Recht vergessen ist, war ja auch nicht durchwegs eine Krone literarischen Schaffens. Und so mancher Boomer, dem seine Eltern das Taschengeld gestrichen haben, weil er dafür Micky-Maus-Hefte kaufte, nimmt stillvergnügt zur Kenntnis, dass die genialen Übersetzungen der Geschichten aus Entenhausen durch Erika Fuchs heute in sprachwissenschaftlichen Seminaren behandelt werden. Das Buch ist also nicht tot, auch wenn es in verschiedenen Formen daherkommt. Nehmen Sie den Bürgermeister. Sonntag nachmittags liebt er seine Lektürestunde mit einem schö-nen Hardcover, dessen Haptik für ihn ein Teil des Lesevergnügens ist. Auf Reisen, in der Bahn oder am Strand, geht für ihn nichts über seinen E-Book-Reader, mit dem er eine vielhundertfache Bibliothek im handlichen Handyformat zur Verfügung hat. Wenn er allein Auto fährt, hat er sich angewöhnt, ein Hörbuch aus der Anlage des Fahrzeugs schallen zu lassen, die früher mal als Autoradio bezeichnet wurde, heute aber wohl anders heißt. Dabei lässt er sich nicht auf die Diskussion ein, ob ein Hörbuch überhaupt ein Buch sei. Schließlich ist das Vorlesen für jeden Menschen die Einstiegsdroge in die Welt der aufgezeichneten Fantasie und angefixt werden sie durch Mütter, Väter und Großeltern, die Gute-Nacht-Geschichten vorlesen oder das fiebernd darniederliegende Kind durch eine Erzählung ablenken wollen. OK, meist lesen die nicht so wie die sonoren Stimmen der Schauspieler, die Hörbücher lesen, aber die Liebe und Fürsorge in der Stimme der Sorgenden ist für den kleinen Erdenbürger ein schöneres Erlebnis als für Erwachsene Rolf Boysen, wenn er die Illias liest. Totgesagte leben also länger und so dürfen wir uns wohl auch in Zukunft auf eine reichhaltige Produktion von Autorinnen, Autoren und Verlagen freuen. Wir können neugierig bleiben und uns in neuen Vertriebsformaten wie Literatur-Café, Wein+Buch, Literarischer Käseladen oder bei Manga-Nights auf Leseerlebnisse einstellen. Hüten müssen wir uns vor einer Haltung wie sie Ernest Hemingway beschreibt: „Ein klassisches Werk ist ein Buch, das die Menschen loben, aber nie lesen.“ |
Ihr Pino
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