Interviews & Gesprächezurück

(GZ-12-2023)
GZ-Interview mit Detlef Fischer, Hauptgeschäftsführer des VBEW Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft e.V.: Bayerns Energieplan 2040 mit dem Mut zur ungewollten Lücke
 

► GZ-Interview mit Detlef Fischer, Hauptgeschäftsführer des VBEW Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft e.V.:

 

Bayerns Energieplan 2040 mit dem Mut zur ungewollten Lücke

Bayerns Energie- und Klimaschutzpläne bis 2040 sind im Politdeutsch höchst ambitioniert (die GZ berichtete in ihrer Ausgabe 11 vom 2. Juni 2023). Wie die damit verbundenen Herausforderungen in den verbleibenden 17 Jahren zu stemmen sind, soll eine Studie zeigen, die von der VBEW Dienstleistungsgesellschaft mbH beauftragt und Ende April 2023 veröffentlicht wurde (https://bayernplan-energie.ffe.de/#menue). Wie aus der Studien-Theorie eine reale Umsetzung werden soll, dazu befragten wir Detlef Fischer, Hauptgeschäftsführer des VBEW.

GZ-Chefredakteurin Constanze von Hassel mit Detlef Fischer. Bild: Theresa von Hassel
GZ-Chefredakteurin Constanze von Hassel mit Detlef Fischer. Bild: Theresa von Hassel

GZ: Wie soll Bayern bis 2040 klimaneutral werden?

Detlef Fischer: Das ist die Gretchenfrage und wird ganz schön heftig werden. Beispielsweise müssten bereits seit 2019 jede Woche über 50 Fußballfelder mit Photovoltaik (PV)-Anlagen entstehen und rund 2.700 Hausdächer mit jeweils 10-Kilowatt(kW)-Solarstromanlagen belegt werden. Dann bräuchte es noch Woche für Woche zwei Windkraftanlagen mit jeweils 5.500 kW. Außerdem müssten jede Woche 1.000 Wohngebäude energiesparend saniert und 5.700 PKW mit klimaneutralen Antrieben zugelassen werden.

Zudem benötigten wir jede Woche zur Wasserstoffherstellung einen Elektrolyseur mit 5.000 kW Leistung sowie Batteriespeicher mit einer Speicherkapazität von 3.000 Kilowattstunden (kWh) (entspricht rund 3.000 herkömmlichen Autobatterien in Verbrennern).

Ergänzend dazu wären viele neue Leitungen und hunderte neuer Umspannwerke nötig. Das aber ist nur die elektrische Seite der Energiewende. Zusätzlich müsste die Erdgaswirtschaft auf eine klimaneutrale Wasserstoff- und Biomethanwirtschaft umgebaut werden, um die Öl- und Kohlewirtschaft bis 2040 weitestgehend zu ersetzen. Auch die treibhausgasrelevanten Emissionen in der Landwirtschaft und aus der Landnutzung (z. B. den Mooren und der Waldbewirtschaftung) müssten wir uns vorknöpfen, ebenso die CO2-Emissionen aus den Produktionsprozessen der Industrie, Beispiel Zementherstellung.

Und nicht vergessen werden dürfen die real existierenden Mengen an CO2 aus dem internationalen Flugverkehr, die in kaum einer Statistik berücksichtigt werden. Momentan fliegt jeder in München startende Flieger ab der Landesgrenze angeblich treibhausgasneutral. Diese Verschleierung resultiert aus der amtlichen CO2-Quellenbilanz und ist natürlich reine Schönfärberei.

GZ: Wie soll das Geschilderte in der Realität umgesetzt werden?

Fischer: Da wir dem Computer und den Wissenschaftlern der Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) Glauben schenken, ist ein klimaneutrales Bayern bis 2040 möglich. Die FfE hat das in ihrer Studie „Bayernplan Energie 2040“ in vier Szenarien nachvollziehbar berechnet. Wir alle müssen es allerdings auch wollen, denn die dafür zu bewältigenden Aufgaben sind in jedem Szenario nicht nur herausfordernd sondern in der Tat epochal. Wir müssten dafür ab sofort viel nachhaltiger wirtschaften und leben.

Und natürlich, so ehrlich muss man sein, würde es dabei auch zu unangenehmen Begleiterscheinungen kommen, wie der Verlust von Arbeitsplätzen z.B. in der Chemieindustrie. Wichtig wäre, dass gleichwertige neue Arbeitsplätze entstehen, vorausgesetzt, die Betroffenen sind zum Umlernen bereit. Sicher ist, dass es zu Umbrüchen kommen muss, sonst funktioniert es tatsächlich nicht, dass wir bis 2040 total grün sind. Ein „Weiter so wie bisher“ ist keine Option. Das wäre eine Illusion, ein Energiewendemärchen mit Betonung auf Märchen.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das Projekt „Klimaneutrales Bayern 2040“ alternativlos ist. Der besonders auch in Bayern spürbare Klimawandel ist schon heute unübersehbar.

GZ: Wie wollen Sie die Bevölkerung von dem Projektziel überzeugen?

Fischer: Für die Menschen in Bayern wird das herausfordernder als die Corona-Pandemie; da bestand ja die berechtigte Hoffnung, dass sie auch mal wieder vorbeigehen wird.

Klimaneutrales, richtig nachhaltiges Wirtschaften wird uns auf Dauer extrem beschäftigen. Wir müssen unbedingt und zeitnah lernen, unsere nicht nachwachsenden Ressourcen bestmöglich im Kreislauf zu fahren. Wie eine hemmungslos konsumorientierte Gesellschaft mit den unausweichlich kommenden Veränderungen klarkommen wird, müssen wir abwarten. Die derzeit laufenden emotionalen Diskussionen zur Wärmewende verheißen da nichts Gutes.

Je länger wir mit der unweigerlich notwendigen Transformation warten, desto schwieriger wird es für die heutige Gesellschaft und die uns nachfolgenden Generationen. Wir müssten schon im Vorschulalter beginnen, mit einem Fach „Transformation“ über die Wege und Ziele der Klimaneutralität zu lehren. Denn schon ein altes deutsches Sprichwort bringt es auf den Punkt: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr. Und dann haben wir ganz schlechte Karten, klimaneutral zu werden.

GZ: Was erwarten Sie von der Bundespolitik?

Fischer: Die Fokussierung der amtierenden Bundesregierung auf die Klimapolitik wird von weiten Teilen der Energiewirtschaft im Grundsatz unterstützt. Auch wir wollen eine klimaneutrale Energieversorgung erreichen.

Paragraphen-Tsunami

Aber: Die Bundespolitik überschüttet unseren Wirtschaftszweig derzeit mit einem Paragraphen-Tsunami. Wir sind durch die wechselnden, teilweise widersprüchlichen administrativen Anforderungen zur Energiewende im Dauerkrisenmodus. Es muss ein zielführenderer Weg zum gewünschten nachhaltigen Wirtschaften gefunden werden, ohne dass für jede Detailregelung der politische Zank in Bundestag und Bundesrat befeuert wird, um dann nach kurzer Zeit wieder eine Rolle rückwärts hinzulegen.

Wir benötigen weniger und nicht mehr Paragraphen. Wo sind praktikable Vorschläge? Warum lässt man zum Beispiel nicht einfach mal den CO2-Preis richtig wirken? Von unseren Top-Volkswirtschaftlern wird permanent nur rumgemotzt, statt konstruktive Vorschläge zu machen. Wir brauchen ein System, welches von sich heraus zu Nachhaltigkeit führt. Das haben die Bundesregierung und leider auch viele Lobbyisten noch nicht mal ansatzweise begriffen.

GZ: Was erwarten Sie von der Landespolitik?

Fischer: Bayern hat seine CO2-arme Pole-Position unter den Bundesländern in der Stromversorgung mit dem Ausstieg aus der Kernkraft weitestgehend verloren. Der Wegfall der russischen Erdgaslieferungen tat ein Übriges. Die vielen Photovoltaik-Anlagen sind zwar irgendwie putzig, helfen uns im Winter, wenn es darauf ankommt, aber überhaupt nicht weiter. Aus diesem Grund wäre die Staatsregierung gut beraten bestmöglich und konstruktiv in Berlin mitzugestalten, auch wenn das gegen das „Mia san Mia-Gefühl“ geht.

Vielmehr müssten die eigenen Anstrengungen für eine stabile Energieversorgung spürbar erhöht werden. Gefühlt läuft das schon seit dem 24.02.2022 besser. Schließlich wird jetzt jede neue Windkraftanlage und jede neue Umspannanlage von mindestens einem Minister oder dem Ministerpräsidenten persönlich eingeweiht. Auch der Spatenstichspaten ist allzeit bereit immer im Kofferraum. Die Staatsregierung ist bei gleichem Personal wie ausgewechselt. Plötzlich sind sogar Stromtrassen und Pumpspeicherkraftwerke sexy, und man kann gar nicht genug davon bekommen.

GZ: Was erwarten Sie von der Kommunalpolitik?

Fischer: Jeder politisch Verantwortliche muss der Bevölkerung klarmachen, dass eine Windkraftanlage, eine Photovoltaikanlage, eine Strom- oder Wasserstoffleitung, ein Speicher, ein Umspannwerk, ein Elektrolyseur tatsächlich ein Segen für die Kommune ist. Mit dem Ausbau der Energieinfrastruktur wird ein Beitrag zur Sicherung der Energieversorgung vor Ort und für die ganze Region und damit auch für die benachbarte Großstadt geleistet. Was nützt der Gemeinde der nächste Supermarkt, das nächste Gewerbegebiet, wenn für den Betrieb die Energie fehlt. Die Politiktreibenden in den Großstädten sollten Demut und Dankbarkeit den Kommunalpolitikern auf dem Lande zollen, wenn diese sich standfest für die Energiewende einsetzen.

Die Kommunalpolitik muss die Personen vor Ort stärken, die sich für die Transformation einsetzen. Denn mit der bisherigen Strategie „Wir nehmen Jeden mit“ wird man nicht ans Ziel kommen; so traurig es ist, aber nicht jeder will mitgenommen werden.

GZ: Was passiert mit Gemeinden, die sich der Energiewende verweigern?

Fischer: Die Energie kommt zukünftig vor allem aus der Region. Das ist das Kernelement einer dezentralen Energieversorgung, nach der alle gerufen haben. Jetzt ist sie da! Jede Gemeinde muss mitmachen und ihre eigenen Potentiale heben. Wer nicht mitmacht, stellt die kommunale Familie vor die Zerreißprobe. Den hoffentlich sehr wenigen Gemeinden, die sich der Energiewende verweigern wollen, wird man daher voraussichtlich die kommunale Planungshoheit nehmen müssen. Schließlich wird zukünftig vor allem das Land die Stadt mit Energie versorgen. Was das real bedeutet, ist noch nicht bei allen politisch Verantwortlichen angekommen.

Stilllegung von Erdgasnetzen

GZ: Was passiert mit den Erdgasnetzen?

Fischer: Klar ist, dass Erdgas bis 2040 aus der Energieversorgung in Bayern ausscheiden muss. So will es schon das Bayerische Klimaschutzgesetz. Klar ist auch, dass wir im Bereich der Gaswirtschaft dann vor allem auf Wasserstoff setzen. Im Idealfall werden aus den Erdgasnetzen also Wasserstoff- oder zum Teil auch Biomethannetze.

Ob aber jeder Erdgashausanschluss in einem klimaneutralen Bayern weiterhin benötigt wird, ist fraglich.

Es wird also vermutlich zu Stilllegungen von Erdgasnetzen kommen. Dadurch entsteht für unsere Volkswirtschaft zweifelsfrei ein Schaden. Aber das ist ja nichts Neues. Wir haben es in Bayern auch geschafft, fünf voll funktionsfähige Kernkraftwerke vorzeitig aus dem Leistungsbetrieb (Wiederbeschaffungswert mindestens 25 Milliarden Euro) zu nehmen.

Andererseits entschädigen wir jeden Tag Photovoltaik- und Windkraftanlagen für nicht erzeugten Strom und bezahlen andernorts unter anderem für das Hochfahren konventioneller Kraftwerke, damit das Netz stabil bleibt. Lange nachdenken darf man über einen solchen Irrsinn natürlich nicht.

Kernfusion ist keine Option

GZ: Sehen Sie nach dem Komplettausstieg aus der Kernenergie realistische Chancen für die Kernfusion?

Fischer: Die Kernfusion ist bis 2040 sicher keine ernstzunehmende Option. Bis dahin wollen wir ja in Bayern schon klimaneutral sein. Wer die Kernfusion ins Spiel bringt, gaukelt der Bevölkerung den nächsten Heilsbringer vor, den es zumindest für die Lösung unserer aktuellen Probleme schlicht nicht gibt.

Umso mehr bedauere ich, dass wir viel zu früh aus der Kernkraft ausgestiegen sind. Leider wurde vor allem mit Hilfe der Medien die CO2-freie Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und der Kernkraft zugunsten einer wählerstimmenorientierten und ideologiegetriebenen Politik gegeneinander ausgespielt. Spätestens nach Fukushima 2011 sind so auch die konservativen Parteien auf diesen Zug aufgesprungen.

Kurz vor dem endgültigen Kernkraft-Aus ist die Wählerstimmung wieder gekippt und viele Leute meinten nun, die Kernkraft solle weiterbetrieben werden. Unsere Politik tickt so simpel, dass man vor ihr Angst bekommen muss. Sie ist parteiübergreifend einfach nicht in der Lage (oder willens), die epochalen Herausforderungen unserer Zeit der Bevölkerung zu vermitteln. Gesellschaft und Politik scheitern am Willen, die Mühsal der komplexen Problemlösungen auf sich zu nehmen. Energiewirtschaft ist nicht wechselhafter Mainstream, sondern bedeutet Generationenpolitik. Das passt aber nicht in unsere schnelllebige Zeit.

GZ: Was machen Sie privat für die Energiewende?

Fischer: Unsere Familie versucht einen einigermaßen klimaschonenden Lebensstil an den Tag zu legen.

Zu Hause betreiben wir maximal mögliche Solarstromanlagen. Und wir fahren mit dem „schwarzgebrannten“ Strom aus der eigenen Photovoltaik-Anlage elektrisch.

Wir versuchen so klimaneutral wie möglich den Alltag zu bewältigen und gegen den Frust anzukämpfen, von Teilen der Gesellschaft ob dieser Bemühungen ausgelacht zu werden. Zu viele Menschen machen einfach so weiter, als ob es den Klimawandel nicht gibt und denken sich „Nach mir die Sintflut“.

GZ: Das klingt, als hätten Sie nicht mehr viele Freunde?

Fischer: So ist es. Ein wesentlicher Teil unserer Gesellschaft verweigert sich der tausendmal wissenschaftlich belegten Wahrheit, dass es eine katastrophale Klimaveränderung gibt. Er flüchtet sich lieber in Scheinwelten, Selbstüberhöhung sowie Doppelmoral und hat daher natürlich mit mir ein extremes Problem. Mit der Definition von weltverbessernden Zielen sind wir wirklich einsame Spitze; um die Umsetzung sollen sich dann gerne andere irgendwann kümmern.

Bestenfalls lässt sich das auf die nächste Generation verschieben, und wir machen weiter Party, stellen hier und da zur Beruhigung ein Windrad und/oder ein paar PV-Module auf. Diese Strategie ist leichter zu ertragen und lässt sich von der Politik sowie einer wachstumsorientieren Wirtschaft auch viel besser der Bevölkerung vermitteln.

JK

 

Gute Vorbilder finden Nachahmer: Detlef Fischer geht mit gutem Beispiel voran. Bild: D. Fischer
Gute Vorbilder finden Nachahmer: Detlef Fischer geht mit gutem Beispiel voran. Bild: D. Fischer

 

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