Aus den Kommunenzurück

(GZ-24-2021)
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► EU-Hinweisgeberrichtlinie:

 

Weil Unrecht benannt werden muss

Deutschland hätte EU-Hinweisgeberrichtlinie bis 17. Dezember umsetzen sollen

Viele Menschen trauen sich nicht, einen Missstand anzuprangern. Doch in einer Demokratie ist es wichtig, dass ans Licht kommt, was falsch läuft. Deshalb trat vor zwei Jahren die „EU-Hinweisgeberrichtlinie“ in Kraft. Sie sieht die Pflicht zur Einrichtung interner Meldekanäle für Whistleblower vor. Bis 17. Dezember 2021 muss sie in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Hierzulande geschieht dies voraussichtlich nicht. Einige Kommunen allerdings verfügen jetzt schon über verschiedene Meldesysteme.

Whistleblower in spe haben oft Angst, künftig auf einer schwarzen Liste zu stehen, genötigt, eingeschüchtert oder gemobbt zu werden. Manche trauen sich zwar dennoch, bekanntzugeben, was sie an Fragwürdigem entdeckt haben. Viele jedoch schweigen lieber. In der Landeshauptstadt München soll Unrecht angstfrei benannt werden dürfen.

„Betroffene, die sich beschweren, weil sie sich sexuell belästigt oder diskriminiert fühlen, sind durch das Maßregelungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes geschützt“, sagt Tobias Stephan, Abteilungsleiter im Münchner Personal- und Organisationsreferat. Sie dürften also nicht bestraft werden, weil sie sich beschweren.

Auch mit Blick auf das Thema „Korruption“ ist es für eine Gesellschaft notwendig, dass gute Meldesysteme existieren. Schöpft ein Mitarbeiter der Landeshauptstadt München Verdacht, dass irgendwo in der Verwaltung bestochen wird, kann er sich an die Antikorruptionsstelle wenden.

„Aktuell können hier Hinweise per E-Mail, Post, nach persönlicher Vorsprache und per Telefon gegeben werden“, so Stephan. Dies sei auch anonym möglich. Daneben existiert in München eine Zentrale Beschwerdestelle für sexuelle Belästigung und häusliche Gewalt sowie eine Zentrale Beschwerdestelle nach dem Gleichbehandlungsgesetz.

Korruption und Klientelpolitik für bestimmte gesellschaftliche Gruppen müssen in einer Demokratie tabu sein. Weil die Anfälligkeit für unkorrektes Verhalten jedoch nicht eben gering ist, braucht es entsprechende Meldesysteme. Vor allem kleinere Kommunen haben so etwas allerdings oft noch nicht.

Die Stadt Kulmbach zum Beispiel befasste sich laut ihrem Pressesprecher Jonas Gleich noch nicht mit der EU- Hinweisgeberrichtlinie, weil diese noch nicht in nationales Recht umgesetzt wurde. Seit Dezember 2020 liegt lediglich ein Entwurf des Bundesjustizministeriums zur Umsetzung vor. Eine Ressortabstimmung fand jedoch noch nicht statt.

„Wahrung der Aufpasserrolle“

Meldesysteme signalisieren, dass Hinweisgeber ein offenes Ohr finden. Allein dieses psychologische Signal ist wichtig. Auch in Neu-Ulm soll es bald eine institutionalisierte Möglichkeit geben, Missstände angstfrei zu benennen. „Wir arbeiten daran, dies in Kürze anbieten zu können“, versichert Pressesprecherin Sandra Lützel.

Man kann sich natürlich auch an eine Journalistin respektive einen Journalisten wenden, hat man den Verdacht, dass in einer kommunalen Verwaltung etwas schiefläuft.

„Wenn gegen die von ihnen gemeldeten Missstände nichts unternommen wird und ihnen keine andere Wahl bleibt, als an die Öffentlichkeit zu gehen, können sich Hinweisgeber an Journalisten wenden“, heißt es denn auch seitens der EU-Kommission. Ein wirksamer Schutz von Hinweisgebern sei ein wichtiges Mittel „zur Wahrung der Aufpasserrolle, die der investigative Journalismus in demokratischen Gesellschaften innehat“.

Noch existiert keine Patentlösung im Umgang mit Hinweisgebern – vor allem mit Blick auf die Möglichkeit, dass hinter Whistleblowing theoretisch auch Denunziation stecken kann. Wichtig ist in jedem Fall eine gründliche Aufklärung der Vorgänge, so Andreas Franke von der Stadt Nürnberg. Dies diene nicht nur der Aufdeckung von Fehlern und Verstößen: „Sondern gegebenenfalls auch dem Schutz von Betroffenen, die Ziel der Anschuldigungen sind.“

Ist es eigentlich reiner Idealismus oder ausgeprägte Wahrheitsliebe, warum jemand den Schritt wagt, zu melden, was ihm nicht korrekt erscheint? In Nürnberg gibt es dazu keine Einschätzungen.

Franke: „Das wäre letztlich auch unerheblich, da die Motivation zunächst keine Rolle spielt.“ Innerhalb der Nürnberger Stadtverwaltung gibt es inzwischen verschiedene Strukturen, an die sich Mitarbeiter vertraulich oder anonym wenden können, um Verstöße oder Unregelmäßigkeiten zu melden. Die Personalvertretung ist in diesen Fällen ansprechbar, außerdem die Anti-Diskriminierungsstelle, das Personalamt sowie der Korruptionsbeauftragte.

Nicht illoyal

Whistleblowing hat weder etwas mit Querulantentum noch mit Illoyalität zu tun. In Nürnberg weiß man das. Und ermutigt die Beschäftigten, Verstöße zu melden – auch an Stadträte, an Referenten oder den Oberbürgermeister. Laut Franke gehen an die verschiedenen Stellen und Personen tatsächlich auch „zahlreiche Beschwerden und Hinweise in Form von Aufsichts- oder Dienstaufsichtsbeschwerden oder schlicht als Schilderungen“ ein.

Mit Meldesystemen wird eine Hemmschwelle durchbrochen, das Melden von Missständen wird salonfähig gemacht. Die EU-Hinweisgeberrichtlinie sieht dabei explizit Meldesysteme für Verstöße gegen das Unionsrecht vor. „Das Spektrum reicht vom Wettbewerbsrecht über den Verbraucherschutz, die Lebensmittelsicherheit und den Umweltschutz bis hin zur Korruption“, so Franke. Im Koalitionsvertrag sei angekündigt worden, dies auch auf Verstöße gegen nationales Recht auszuweiten.

Ruhe ist in einer Demokratie eben nicht die erste Bürgerpflicht. Aus diesem Grund würde sich auch die grüne Landtagsabgeordnete Kerstin Celina einen besseren Schutz von Hinweisgebern wünschen. Das Thema bewegt sie aktuell vor allem mit Blick auf die Vorgänge um das Seniorenzentrum Gleusdorf, einer Pflegeeinrichtung im Landkreis Haßberge, die 2017 und erneut vor einigen Wochen wegen massiver Mängel in die Schlagzeilen geriet. „Wir brauchen eine deutlich stärkere Kultur des Hinschauens, und dafür müssen Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber geschützt werden“, unterstreicht sie.

In Bezug auf Pflegeheime ist es oft einem Glücksfall zu verdanken, wenn Missstände rechtzeitig ans Tageslicht kommen. Denn die Angst, einen Hinweis zu geben, ist gerade hier groß, weiß Kerstin Celina.

„Viele in der Pflege oder in Pflegeheimen beschäftigte Menschen fühlen sich nicht sicher im Umgang mit Behörden“, so die Landtagsabgeordnete. Trotz Pflegekräftemangel hätten sie Angst, ihre Stelle zu verlieren: „Weil gerade diese Stelle in der Nähe ihres Wohnorts liegt, weil sie ihre Kolleginnen mögen oder Angst vor einem Wechsel haben.“ Sich an das Beschwerdemanagement des Trägers zu wenden, sei für sie darum keine Option.

Pat Christ

 

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