(GZ-13-2023 - 6. Juli) |
► Inklusion: |
Ohne die MIG? Unvorstellbar! |
Würzburger Inklusionsbetrieb erledigt Aufträge für den Landkreis Main-Spessart |
Bis sitzt, was zu wissen und zu können ist, dauert manchmal eine ganze Weile. Aber das ist okay. „Bei uns arbeiten Menschen mit anerkannter Lernbehinderung“, sagt Stefan Schön, der im Würzburger Inklusionsbetrieb MIG die Abteilung „Grüne Dienstleistungen“ leitet. Die MIG ist einer von 13 Inklusionsbetrieben in Unterfranken.
Dass die Arbeitsleistung plötzlich einbricht, weil es zu seelischen Turbulenzen kam, ist eine potentielle Gefahr bei Menschen mit kognitiver Einschränkung. „Das kann zum Beispiel passieren, weil sich irgendetwas im Lebensumfeld ändert“, erläutert Schön, in dessen Abteilung 70 Männer und Frauen mit Lernbehinderung tätig sind. Anleiter in Inklusionsbetrieben müssen eine Ahnung haben, was die Diagnose „Lernbehinderung“ bedeutet, um Krisen verstehen und Mitarbeiter in Krisen auffangen zu können.
Da hat vielleicht jemand schon seit Tagen dunkle Ringe unter den Augen, weil er vor kurzem von daheim ausgezogen ist. „Plötzlich alleine zu wohnen, kann für einen Menschen mit Lernbehinderung einen gravierenden Einschnitt bedeuten“, so Schön. Sich selbst zu disziplinieren, fällt schwer, und so wird, zumindest anfangs, nicht selten die ganze Nacht am Computer gezockt. Obwohl man weiß, dass man am nächsten Tag fit sein sollte: „Bei unseren Beschäftigten kann es sein, dass sie dann unausgeschlafen oder unpünktlich kommen.“ Woanders wäre Ärger programmiert. Im Inklusionsbetrieb bewältigt man solche Probleme verständnisvoll.
Weil ein regulärer Betrieb nicht mal eben kurz die Produktion stoppen kann, weil es mehreren Beschäftigten gerade nicht gut geht, ist es auf dem ersten Arbeitsmarkt schwierig, allzu viele Menschen mit Leistungsdefiziten zu integrieren. „Inklusionsbetriebe bieten eine Alternative zur freien Wirtschaft“, sagt Susanne Niederhammer von der „Modell Integrationsgesellschaft mbH“, wie das Tochterunternehmen der Mainfränkischen Werkstätten ausgeschrieben heißt. Gleichzeitig stellen Inklusionsunternehmen nach ihren Worten aber auch eine Alternative zur Werkstätte dar: „Damit verwirklichen wir das Wunsch- und Wahlrecht im Arbeitsleben.“
Gärtner, Forstwirte und Winzer dringend gesucht
Unter dem Stichwort „Inklusion“ wird seit genau 15 Jahren versucht, Schritt für Schritt eine völlige Gleichberechtigung von Menschen mit und ohne Behinderung zu realisieren. Ein weiter Weg, teilweise mit Rückschritten. Inklusionsbetrieben zum Beispiel macht laut Schön ein massiver Fachkräftemangel zu schaffen: „An unserem Standort in Lohr müssen wir dringend zwei Facharbeiterstellen besetzen.“ Seit fünf Jahren schon sucht das „grüne“ MIG-Team nach Gärtnern aller Fachrichtungen, Forstwirten oder Winzern. Sollte sich nicht bald jemand finden, muss der Lohrer Standort möglicherweise verkleinert werden. Die entsprechenden Jobs würden dann verlagert.
Was ein Inklusionsbetrieb ganz genau ist, lässt sich laut Niederhammer nicht schnell erklären. „Bei uns kann man sehr viel erleben, was in einem eng getakteten Wirtschaftsunternehmen nicht möglich ist“, erklärt sie. Wer sich als Facharbeiter darauf einlässt, in der MIG mit behinderten Menschen zu arbeiten, beginne außerdem bald, noch etwas anderes zu schätzen: „Nämlich, dass wir einen völlig anderen Umgang mit Fehlern haben.“ Anleiter in einem Inklusionsunternehmen zu sein, ist nicht unbedingt ein lukrativer Job. Doch Geld sei ja nicht alles: „Wir bieten spannende, sehr eigenverantwortliche Arbeitsplätze.“ Dass dem so ist, bestätigt Anleiter Lukas Breitenbach.
Lange, berichtet er, sei er als Garten- und Landschaftsbauer in der freien Wirtschaft tätig gewesen: „Da hat man sich manchmal kaputt gebuckelt.“ Auf die Stelle bei der MIG sei er zufällig angesprochen worden. Und habe erst mal geschluckt: „Ich war damals nicht sicher, ob ich mit Menschen mit Behinderung arbeiten kann.“ Heute schmunzelt Breitenbach über seine Bedenken: „Meine Mitarbeiter mit Lernbehinderung sind für mich ganz normale Kollegen, die einfach nur ein wenig mehr Unterstützung brauchen.“ 2017 stieg Breitenbach bei der MIG ein. Derzeit ist er Anleiter des Teams am Standort Lohr. Hier sind zehn Menschen mit Lernbehinderung beschäftigt. Viele Aufträge werden für den Landkreis Main-Spessart erledigt.
Gerade ist Breitenbach mit Sebastian Rack und Andreas Sobola dabei, die Grünflächen eines vom Marktheidenfelder Gymnasium genutzten Sportplatzes zu pflegen. „Wir haben heute schon die Wiese gemäht, Hecken geschnitten und Unkraut auf dem Platz entfernt“, erzählt der Anleiter. Solche Arbeiten machen dem 26-jährigen Rack aus Weyersfeld bei Gemünden großen Spaß. Schon in der Förderschule habe er Sport über alles geliebt, erzählt er: „Ich bewege mich sehr gern.“ Das gilt auch für seinen Kollegen Sobola. Der 38-Jährige ist bereits seit 15 Jahren im Inklusionsbetrieb MIG tätig.
Sobola könnte sich ein Leben ohne die MIG nicht mehr vorstellen. Arbeitslos zu Hause auf der Couch zu hocken und den ganzen Tag fern zu sehen, wäre überhaupt nichts für ihn. Sobola packt gern an. Und er freut sich jeden Tag darauf, seine Kollegen zu treffen. Mit Rack ist er inzwischen befreundet: „Wir treffen uns auch privat.“ Zum Kaffeetrinken. Oder zum Ausgehen.
Pat Christ
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