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(GZ-17-2019)
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► Dorfladen:

 

Es geht um mehr als ums Spiel

LOTTO-Annahmestellen sind in kleinen Ortschaften oft der letzte Treffpunkt

 

Im Laden von Gertraud Schneider kann man nicht nur Leckerbissen einkaufen. Seit 26 Jahren fungiert der Lebensmittelmarkt auch als LOTTO-Annahmestelle. 65 Männer und Frauen, die meisten aus Deusdorf, einem 300-Seelen-Ortsteil der Gemeinde Lauter im oberfränkischen Landkreis Bamberg, geben jede Woche ihren Lottoschein bei Schneider ab. Manche am Mittwoch. Manche am Freitag. Manche am Samstag. Doch Schneiders Laden ist viel mehr als eine reine LOTTO-Annahmestelle.

Lebensmittelgeschäft und Bäckerei, Drogerie, Café, LOTTO- und Paket-Annahmestelle und Touristeninformation: Der Dorfladen in Aufseß ist eine zentrale Anlaufstelle im Ort. Bild: Urban
Lebensmittelgeschäft und Bäckerei, Drogerie, Café, LOTTO- und Paket-Annahmestelle und Touristeninformation: Der Dorfladen in Aufseß ist eine zentrale Anlaufstelle im Ort. Bild: Urban

Nicht nur, dass man hier gleichzeitig Kartoffeln, Karotten und Brot einkaufen kann. Bei Gertraud Schneider begegnet man sich. Nahezu alle Kunden, die einen Lottoschein abgeben, kennen die 61-Jährige persönlich: „Die meisten sind Stammkunden.“ Einige geben seit 26 Jahren jede Woche ihren Schein ab. Die Annahmestelle ist ein beliebter Treffpunkt in dem Dorf, das kein Café hat. „Manchmal werde ich sogar gefragt, ob ich mal einen Kaffee machen kann, dann mache ich das auch“, schmunzelt die Deusdorferin, die schon als Kind in dem 1957 gegründeten Geschäft mithalf.

Den meisten Spielern geht es materiell gut, sie hätten es im Grunde nicht nötig, eine große Summe zu gewinnen. Dennoch reizt das Spiel. „Viele sagen, sie würden gerne drei Millionen gewinnen“, erzählt Schneider. Eine Million würden sie für sich behalten. Außerdem soll jedes der Kinder eine Million bekommen. „Oft habe ich schon gehört, dass, sollte es eine vierte Million geben, ich die erhalten werde“, lacht Schneider. Sozusagen für ihre Funktion als Glücksfee.

Gertraud Schneider liebt ihren Job. Denn dadurch bekommt sie mit, was in ihrem Dorf passiert. Das Fest vom Wochenende wird in der Woche darauf im Laden erörtert. Wie hat das Essen geschmeckt? Kam die Musik gut an? Was war dieses Mal besser als in den Jahren zuvor? Auch über die örtliche Tagespolitik diskutieren die Lotto-Spieler und Lebensmitteleinkäufer. „Manchmal bekomme ich gesagt, dass ich dem Bürgermeister dieses oder jenes ausrichten soll, wenn ich ihn sehe“, erzählt Schneider. Natürlich sieht sie ihn. Denn auch er kauft bei ihr ein.

Herzstück des Dorfs

Viele Beispiele könnte Gertraud Schneider nennen, die zeigen, dass ihr Laden das Herzstück des Dorfs ist. „Die Leute kommen zu mir, wenn sie einen Schlüssel verloren haben oder jemandem eine Katze zulief“, berichtet sie. Betagte Deusdorfer, geben sie als Kontaktperson beim Hausnotruf an: „Denn ich bin ja immer da.“

Deswegen, sagt Schneider, kommt auch kein Urlaub infrage. Sie muss ja offen haben: „Mein letzter Urlaub liegt 30 Jahre zurück.“ Nur über einen oder zwei Feiertage kann sie wegfahren, um die Kinder zu besuchen. Ansonsten steht Schneider jeden Tag ab 6.10 Uhr auf der Matte. Der Laden schließt um 19 Uhr, die Lotto-Annahme endet um 18 Uhr. Kommt in letzter Minute noch ein Spieler angehastet und der Zeiger ist Sekunden über 18 Uhr hinausgerückt, dann kann ich auch nichts machen um 18 Uhr ist definitiv Schluss.

Weil sie die Menschen in der oberfränkischen Ortschaft sehr mag, hilft Gertraud Schneider auch jederzeit, wenn Probleme auftauchen. „Manche sagen, sie hätten einen Gewinn gemacht, doch der Computer sagt, das stimmt nicht“, erklärt sie. Dann setzt sie sich mit dem Kunden zusammen und sucht den Fehler. Ein Beispiel: Es stellt sich heraus, es wurde für Samstag gespielt und die Gewinnzahlen sind vom Mittwoch – der Computer hat immer recht.“

In Aufseß ist man zufrieden

Auch in Aufseß spielen die Menschen nicht deshalb, weil es am Geld hapert. In der oberfränkischen Gemeinde im Landkreis Bayreuth gibt es seit vielen Jahren eine in einen Dorfladen integrierte Lotto-Toto-Verkaufsstelle, die seit Anfang 2014 von Notburga Taschner betrieben wird.

„Die meisten, die zu mir kommen, um zu spielen, sind zufrieden mit dem, was sie haben und wie sie leben“, sagt die 61-Jährige. Unter ihren Kunden sind solche, die jede Woche Lotto spielen. Andere haben einen Fünf-Wochen-Schein: „Aber es gibt auch genug Laufkundschaft.“ Dazu gehören Wanderurlauber, die vom Brauereinweg der Gemeinde angezogen werden. Sollten sie gewinnen, würden sie Menschen in einer schwierigen Lage unterstützen, äußern viele. Natürlich auch die Kinder etwas abbekommen. „Aber keiner würde das Arbeiten aufhören“, so Taschner.

Dass jemand aus Aufseß schon eine Million gewonnen hätte, wäre ihr nicht bekannt. Taschner muss das zwar nicht mitbekommen, denn große Gewinne werden direkt über München geregelt. Wahrscheinlich würden ihr die Menschen das erzählen. Wie Taschner sowieso sehr oft Kummer und Sorgen anvertraut werden.

Die Aufseßer müssen darauf gefasst sein, dass es ihren geliebten Laden in einigen Jahren nicht mehr geben wird. Wann sie aufhört, weiß Taschner nicht: „Ich mache so lange weiter, solange es mir Spaß macht.“ Noch macht es ihr Spaß. Denn die Kunden und Lotto-Spieler sind ihr ans Herz gewachsen. Die möchte sie nicht im Stich lassen. Doch das täte sie, würde sie schließen. Denn eine Nachfolge ist nicht in Sicht.

Pat Christ

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