Fachthemazurück

(GZ-19-2019)
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Diskussion mit Architekten und Landschaftsplanern:

 

Ein Quadratmeter Qualität

Umweltminister Thorsten Glauber im Münchner Presseclub

 

Neben Flächenfraß und Zersiedelung stellt der Klimawandel Architekten und Stadtplaner vor die Herausforderung: wie wandeln sie Städte zu Frischluftspendern und welche politische Unterstützung brauchen die Kommunen? Über Sozial- und Wirtschaftsstrukturen und die Frage nach einer bewusst gestalteten Umwelt diskutierte im Münchner Presseclub Bayerns Umwelt- und Verbraucherschutzminister Thorsten Glauber mit Architekten und Landschaftsplanern.

„Stellen Sie sich vor, Sie entnehmen der Erde einen Quadratmeter und dann bebauen Sie ihn mit Qualität!“ Diese Aufforderung bekam Thorsten Glauber zu Beginn seines Architekturstudiums von seinem Professor. Inzwischen ist er Umwelt- und Verbraucherminister und es liegt mit in seiner Verantwortung, diesen einstigen Appell mit Leben zu füllen. „Ich halte es für enorm wichtig, dass Planer und Architekten nicht nur im Feuilleton erscheinen, sondern in der Tagespresse – weil wir Bestandteil einer Qualitätsgesellschaft sind.

Doch der Wettlauf der Kommunen untereinander um Flächen führt immer öfter zu seelenlose Landschaften und Ortseingänge und nicht zu Qualität“, bedauerte Glauber. Als Kabinettsmitglied wirbt er deshalb für das Thema Flächenverbrauch und Landesentwicklung im politischen Diskurs.

Anregungen, wie Städte und Dörfer „vom Seelenlosen zu mehr Qualität“ gelangen, bietet seiner Meinung nach das Buch „Kein schöner Land? Ein Diskurs zur Landesentwicklung“ zu dessen Autoren, Architekten und Stadtplaner gehören. Sie seien geradezu prädestiniert, die Landesplanung und Raumentwicklung mitzugestalten.

Denn was diesen noch immer fehlt, gehört in der Architektur und im Städtebau seit Jahrzehnten zur Planungskultur: klare Regeln für den Bestandsschutz, gestalterische und ökologische Evaluationen, Bürgerbeteiligung und der Trend zu mehr Dichte anstelle eines größeren Flächenverbrauchs. „Dabei muss sich die Politik am Bestand orientieren und Flächen von innen heraus neu entwickeln ohne sich hinter baurechtlichen Vorgaben zu verstecken“, appellierte Glauber.

Die Kommunalparlamente müsse man dabei an die Hand nehmen und motivieren. Dazu zählte der Verbraucherminister die 60 bis 90 Prozent hohen Förderquoten für die Sanierung der Ortskerne. Hinzu kommen Entsiegelungsprämien für den Rückbau von Brachflächen, übergroßen Verkehrsflächen oder mindergenutzten Gebäuden.

„Kein schöner Land?“

Die Bayerische Landesentwicklung ist schon länger auf der Tagesordnung des Bundes Deutscher Architekten BDA Bayern. Es ist der Initiative der Architekten Michael Leidl und Dr. Jörg Heiler zu verdanken, dass mit dem Symposium „Kein schöner Land?“ bereits im Mai 2018 Experten zusammen kamen, um auch politisch – zum Beispiel mit der Einflussnahme auf das Landesentwicklungsprogramm LEP – aktiv zu werden.

Ein Jahr später, Anfang Juni 2019, ist daraufhin die Buchpublikation „Kein schöner Land? Ein Diskurs zur Landesentwicklung“ erschienen. Sie dokumentiert das gleichnamige Symposium, das der BDA Landesverband Bayern in Kooperation mit der Bundesstiftung Baukultur und dem BDA Kreisverband Regensburg-Niederbayern-Oberpfalz 2018 in Landshut veranstaltete. Denn gebaute Realität und idealisierte Bildlandschaften bewegen sich zusehends auseinander.

Für eine attraktive Entwicklungsperspektive müssen sich verantwortungsbewusste Akteure daher vor allem mit der Frage der Qualitäten der schon entstandenen und weiter entstehenden Räume in Städten, Dörfern und Kulturlandschaften auseinandersetzen. So werden beispielsweise in der Landeshauptstadt München keine Einfamilienhaussiedlungen mehr gebaut, denn dort ist der Boden teurer – aber ist er auch wirklich wertvoller als in der Region?

Gerade dieser Hitzesommer lässt Städter spüren, was der Klimawandel für das Leben und Wohnen in der Stadt bedeutet. In Kahl am Main wurden 40,4 Grad registriert, an 15 Orten fielen Rekordmarken - nach vorläufigen Messungen des Deutschen Wetterdienstes war es in Bayern so heiß wie nie seit Beginn der Aufzeichnungen.

Hilfe gegen Hitze: Fassadengrün

Die Anzahl der Hitzetage – in diesem Sommer waren es 30 – wird sich voraussichtlich in den kommenden 25 Jahren verdoppeln. Städte wie München brauchen also Konzepte wie Begrünung, doch Lösungen wie diese, können sich horizontal kaum noch ausbreiten. Und so wächst Stadtgrün mehr und mehr auch in die Höhe:

Berankte Fassaden, gewaltige Elemente mit hängenden Gärten, mobile und platzsparende Mooswände. Vertikale Begrünung ist dabei keine Notlösung, sondern könnte die Lösung aus den Nöten der Städte sein. Denn Pflanzen geben bei der Fotosynthese Feuchtigkeit ab und kühlen sich sowie die Umgebung. Zugleich spenden sie Schatten. Eine bewachsene Fassade kann bis zu zehn Grad kühler sein als eine nicht bewachsene. Zudem reinigen Pflanzen die Luft und sie dämmen Verkehrslärm. Ein Nachteil ist jedoch der zusätzliche Aufwand, denn Fassadengrün muss gepflegt werden.

Um solche Initiativen zu fördern, existiert in München bereits seit 1977 ein Programm. Zuschüsse gibt es beispielsweise für „eine Neugestaltung von Innenhöfen und Vorgärten, für die Begrünung von Dächern und Fassaden, die Entsiegelung von Flächen sowie für eine naturnahe Begrünung von Firmengeländen“. Der Umfang des Förderprogramms nimmt laut Baureferat zu. Im Jahr 2017 lag die Fördersumme deutlich über 100.000 Euro. Zwei Jahre zuvor waren es nur knapp 40.000 Euro.

Keine Funktionstrennung

In der Diskussion deutete Landschaftsarchitekt Prof. Dr. Sören Schöbel beim Thema Stadtentwicklung auf die Bedeutung hin, neue Bauwerke in bestehende Strukturen einzufügen, so dass keine Retortenstädte entstehen. Fotograf und Urbanist Markus Lanz lenkte den Blick auf Räume, die sich aus ihrem Alltagsgebrauch ergeben und immer wieder bestätigt werden. Als Beispiel nannte er die Familie, die am Sonntagabend ins Fastfoodrestaurant an der Tankstelle einkehrt. Für ihn sei dies ein Hinweis darauf, dass auch solche Räume in der Peripherie Potential haben und es an der Gesellschaft läge, sie aufzugreifen und zu gestalten. Wichtig sei dabei der Austausch mit den Landräten, aber auch mit der kommunalen Ebene.

Architekt Jakob Oberpriller drängte bereits auf dem Symposium im vergangenen Jahr auf eine Reform des Flächennutzungsplans, um gemischte Nutzungen zukünftig zu ermöglichen. Für ihn liegt das Kernproblem in der Funktionstrennung von Stadt und ländlichem Raum. „Nachdem in den Dörfern immer mehr Gastronomen keine Zukunft mehr für ihre Betriebe sehen, sind es jetzt die Landwirte.

So bleibt Dörfern als einzige Funktion das Wohnen“, bedauerte er. Als mögliche Lösung schlug er vor, die Landwirtschaft zu privilegieren, beispielsweise indem landwirtschaftliche Betriebe in einer Art Gewerbegebiet zusammengefasst werden.

Der Flächenverbrauch in Bayern soll bis spätestens 2030 auf fünf Hektar pro Tag reduziert werden. Das sieht ein Maßnahmenkatalog vor, den die Landesregierung aus CSU und Freien Wählern (FW) Ende Juli 2019 beschlossen hat und den sie im Landesplanungsgesetz verankern will.

„Die Verbindlichkeit halte ich für wichtig, dabei darf aber nicht nur Siedlungs- und Verkehrsfläche betrachtet werden, sondern 100 Prozent der Landschaften. Auf freien, unbebauten Flächen müssen wir zum Beispiel den Einsatz von Glyphosat diskutieren“, sagte Architekt Jörg Heiler.

Abschließend ging Glauber auf das Thema Straßenplanung ein. „Hier sind wir im Zuge des Flächenverbrauches mehr denn je auch auf Bundesebene gefordert neue Denkansätze anzustoßen“, sagte er. „Statt Jahrzehnte um eine Bundesstraße zu ringen, die nie gebaut wird, sollten wir über ortsnahe Lösungen auf Bestandsstraßen nachdenken“, schlug Glauber vor.

Eine Anlaufstelle für Interessierte zum Thema Begrünungsmaßnahmen bietet zudem das „Begrünungsbüro“ des Vereins Green City. Eigentümer erfahren dort z.B., wie sie ihre Immobilien naturnäher gestalten können und welche technischen Möglichkeiten es auf Dächern oder an Fassaden gibt.

Anja Schuchardt

GemeindeZeitung

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