Fachthemazurück

(GZ-9-2020)
gz fachthema

► GVB-Präsident Dr. Jürgen Gros:

 

Genossenschaften halten Stellung

 

Die Wirtschaft leidet massiv unter der Corona-Pandemie – auch die bayerischen Genossenschaften. Was benötigen sie jetzt, um einigermaßen heil aus der Krise zu kommen? Im Interview mit Gerald Schneider, Redaktion „Profil“, erläutert GVB-Präsident Dr. Jürgen Gros, warum Interessenvertretung im Moment wichtiger denn je ist und warum es so schnell wie möglich ein einheitliches Szenario für den Ausstieg aus dem Stillstand braucht.

Herr Gros, was bedeutet die Corona-Krise für den GVB als Verband?

Dr. Gros: Krisen sind Bewährungsproben. Für uns alle, für Unternehmen und natürlich auch für Verbände. Wir haben uns im GVB, so gut es eben ging, ab Anfang März intern auf die aktuelle Situation vorbereitet. Oberstes Ziel war es, die Arbeitsfähigkeit für unsere Mitglieder zu erhalten. Dank des hohen Einsatzes aller im Verband ist uns das auch sehr ordentlich gelungen. Es ist dann doch immer wieder erstaunlich, was alles geht und was auf einmal möglich wird. Auch Dinge, die ansonsten als völlig ausgeschlossen gelten. Alle haben das ganz toll gemacht.

Das ist dann auch so ein Moment, dass ich mit großem Respekt sage: Hey, klasse, ganz herzlichen Dank an alle! Denn der Verband läuft, jeder weiß, was er zu tun hat. Und entscheidend: Der Vorstand, die Führungskräfte und ein Kernteam aus Mitarbeitern sind in der Türkenstraße präsent. Wir sind für unsere Mitglieder und ihre Anliegen erreichbar. Wir sind in der Lage, mit Politik, Aufsicht, Bundesverbänden, Kammern, Förderbanken zu kommunizieren und dort die Interessen unserer Mitglieder zu platzieren.

Und wie ist die Lage bei den 1.212 Mitgliedsgenossenschaften?

Gros: So unterschiedlich, wie es auch die 1.212 Mitglieder sind. Klar, die Kreditgenossenschaften stehen als Banken im Moment besonders im Fokus von Politik und Öffentlichkeit. Sie gehören zu den Sektoren, die von Schließungen ausgenommen sind. Auf den Mitarbeitern dort lastet enormer Druck. Sie sind nicht nur die Seelsorger für Tausende von Kunden, sondern sorgen auch dafür, dass die Versorgung mit Krediten und Finanzdienstleistungen nicht zusammenbricht. Und sie sind intensiv gefordert als Lotsen für ihre Kunden, wenn es darum geht, sich im Dschungel der staatlichen Förderleistungen zurechtzufinden.

Deshalb möchte ich auch allen 31.000 Mitarbeitern der Volksbanken und Raiffeisenbanken Danke sagen, dass sie die Stellung halten. Bei allen Fokussierungen auf Belastungen und Leid in Krankenhäusern sollten die Leistungen außerhalb des Gesundheitsbereichs nicht vergessen werden. Denn ohne sie würde in Deutschland längst Chaos herrschen.

Stellung halten aber nicht nur die Beschäftigten in den Banken, sondern auch die Mitarbeiter der gewerblichen und ländlichen Genossenschaften. Sie stehen ebenfalls ihre Frau und ihren Mann, oft unter Bewältigung großer Unwägbarkeiten. Die Nöte vieler Betriebe in diesem Bereich erlebe ich zum Teil sehr direkt mit. Hier wird heute schon spürbar, was unserer Wirtschaft noch bevor steht, wenn der aktuelle Zustand länger anhält.

Was meinen Sie damit?

Gros: Genossenschaften sind in über 35 Branchen tief in der bayerischen Wirtschaft verwurzelt. Da fühlen sie den Pulsschlag der Ökonomie sehr genau. So wurde uns schon ganz frühzeitig signalisiert, was auf Handwerk und Lebensmittelbranche zurollt. Ein Beispiel: Bei den Bäckern ist der Umsatz um 50 Prozent eingebrochen. Es baut sich eine Kaskade von Zahlungsaufschüben und -ausfällen auf, der sehr schnell eine Kaskade von Lieferausfällen mit wichtigen Vorprodukten für die Backwaren folgen kann. In politischen Gesprächen habe ich bereits in der ersten Woche der Ausgangsbeschränkungen vor den Folgewirkungen gewarnt.

Gibt es weitere Beispiele?

Gros: Nehmen Sie den Milchsektor. Der Exporteinbruch nach China zeigt jetzt volle Wirkung. Dasselbe gilt für Italien, das als Absatzmarkt für Bayern traditionell von besonderer Bedeutung ist. Ein Drittel der gesamten bayerischen Exportmilchmenge fließt normalerweise dorthin. Da geht nur gerade gar nichts mehr. Das trifft die genossenschaftliche Milch mit Wucht. Und da viele unserer Mitglieder zum Beispiel „Cash and Carry“-Märkte mit auf Großverbraucher ausgerichteten Gebindegrößen beliefert haben, ist auch der Absatzkanal verstopft. Denn in den Großmärkten fehlen als Kunden die derzeit meist geschlossenen Hotels und die Gastronomie.

Wenn die Molkereien aber nicht mehr die bisherigen Mengen verarbeiten und absetzen können, dann zeitigt das sofort zwei neue Herausforderungen. Den Molkereien fehlen Einnahmen und sie sind plötzlich mit Überkapazitäten an Milch konfrontiert. Damit landet das Thema ganz schnell in der Landwirtschaft. Mit allen Auswirkungen auf die dort ohnehin schon kritische Stimmungslage. Auch das ist in der Politik adressiert.

Was folgt daraus?

Gros: Entscheidend ist, dass die Molkereien am Laufen gehalten werden. Ein Stillstand wäre fatal und würde sich zum Beispiel auf die Produktion von Magermilchpulver auswirken. Hier sind genossenschaftliche Molkereien stark vertreten. Magermilchpulver ist unentbehrlich zur Produktion von Babynahrung. Daher gilt es, für hinreichende Liquidität der Betriebe zu sorgen und sie um jeden Preis offen zu halten. Sie sind systemrelevant. 

In Ihren Ausführungen klingt es an, der Verband ist mehr denn je in der Interessenvertretung gefordert.

Gros: Ja – und das auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Wir adressieren an Politik und Aufsicht, arbeiten eng mit den Kammern, insbesondere der IHK für München und Oberbayern, zusammen, stimmen uns mit BVR, DRV und DGRV ab und versuchen über die Öffentlichkeit zu wirken. Wir nehmen die Themen der Mitglieder auf, fassen sie zusammen und entwickeln daraus politische Vorschläge.

Vieles dreht sich dabei natürlich um den Zugang zu Liquidität und Kapital. Insofern bündelt sich vieles, was alle Mitgliedsgenossenschaften angeht, in der Interessenvertretung für die Kreditgenossenschaften. Hierbei koordinieren wir uns mit dem Bayerischen Bankenverband sowie dem Sparkassenverband Bayern. Gemeinsam haben wir in den unterschiedlichen Phasen der Krise verschiedene Papiere erarbeitet. So zuletzt das Papier zu „Sofort-Maßnahmen zur Beschleunigung der Kreditvergabe“. Darum hatte der Ministerpräsident für die Kabinettssitzung mit Olaf Scholz am 31. März gebeten.

Der GVB hat sich schon zu Beginn der Corona-Krise in die politischen Debatten eingebracht. Wo können Sie denn Erfolge vorweisen?

Gros: Das stimmt, der GVB hat sich frühzeitig zu Wort gemeldet. Wir haben als einer der ersten temporäre Änderungen der Insolvenzordnung gefordert. Das wurde realisiert. Wir haben mit großem Nachdruck darauf verwiesen, dass es notwendig werden könnte, Vertreter- und Generalversammlungen digital abzuhalten – auch wenn das die jeweilige Satzung so nicht vorsieht. Aber außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche und pragmatische Lösungen. Der Gesetzgeber hat die Voraussetzungen nun geschaffen.

Ein weiterer Punkt, den wir frühzeitig erfolgreich eingefordert haben: Die Banken dürfen vorübergehend bestimmte Kapital- und Liquiditätspuffer unterschreiten. Um die Anforderungen an den SREP-Aufschlag zu erfüllen, dürfen Banken künftig nicht nur hartes Kernkapital, sondern vorübergehend auch zusätzliches Kernkapital oder Ergänzungskapital verwenden.

Die nationalen Aufsichtsbehörden haben zudem beschlossen, den antizyklischen Kapitalpuffer in Deutschland nun doch nicht scharf zu schalten. Das gibt den Banken mehr Spielräume, um nun dringend benötigte Kredite vor allem an kleine und mittlere Unternehmen auszureichen. Bei all diesen Themen war es wichtig, dass sämtliche genossenschaftlichen Verbände an einem Strang gezogen haben und auch weiterhin ziehen. Es bleibt nämlich immer noch einiges zu tun.

Dabei sind doch wesentliche Gesetzes- und Hilfspakete beschlossen. Wo sehen Sie denn weitere Handlungsfelder für die Interessenvertretung des GVB?

Gros: Es ist gerade viel Dynamik in der Entwicklung, auch in der Politik. Wir bleiben da natürlich dran. Gesetze und Hilfspakete müssen sich jetzt in der Praxis bewähren. Dort, wo es dann klemmt, muss nachgeschärft werden. Da gibt es sehr wohl noch einiges an Handlungsbedarf. Dazu nehmen wir die operativen Fragestellungen und Hinweise unserer Mitglieder auf. Wir bringen sie bei der Bankenaufsicht ein, mit der GVB-Vorstandsmitglied Alexander Büchel in ständigem Austausch steht.

Unser Agrarexperte steht in engem Kontakt mit dem Landwirtschaftsministerium. Ich halte Verbindung zum Wirtschafts- und Finanzminister und dem Ministerpräsidenten. Wir stehen zudem in permanentem Kontakt mit den zuständigen Beamten in Finanz-, Wirtschaftsministerium und Staatskanzlei. Außerdem geben wir die vielfältigen Hinweise aus den Kreditgenossenschaften weiter, die zeigen, dass auch bei den Angeboten der Förderbanken noch längst nicht alles Gold ist, was glänzt.

Sie sprechen es an. Die Zahl der Kreditanfragen hat aufgrund der Corona-Krise erheblich zugenommen. Die Hausbanken sind erster Ansprechpartner, wenn Firmenkunden die Angebote von KfW und LfA Förderbank Bayern annehmen wollen. Wie lautet Ihre Bestandsaufnahme?

Gros: Die Zahl der Kreditanfragen an die Volksbanken und Raiffeisenbanken ist deutlich gestiegen. Jetzt sind in erster Linie zwei Dinge nötig: Die Politik muss ihren Ankündigungen auch Taten folgen lassen. Das bedeutet, dass KfW und LfA Förderbank Bayern nun die Mittel schnell und unbürokratisch zur Verfügung stellen. Es bleiben aber noch Stolpersteine, die aus dem Weg geräumt werden müssen:

Die Förderbanken übernehmen je nach Programm 80 oder 90 Prozent der Kreditrisiken. Das wird nicht in allen Fällen reichen. Deshalb halte ich es auch weiterhin für angemessen, dass wir eine Diskussion darüber führen, inwieweit der Staat über seine Förderbanken hier zu 100 Prozent ins Obligo geht.

Schließlich waren es die staatlichen Stellen, die auch den Lockdown weiter Teile der Wirtschaft veranlasst haben. Dass eine hundertprozentige Haftungsübernahme möglich ist, wenn der politische Wille dazu vorhanden ist, zeigt zum Beispiel die Schweiz. Dort wurde die Haftungsübernahme auf bis zu 100 Prozent angehoben. Es geht also auch um Gleichbehandlung und darum, nach einem Überwinden der Krise wieder mit gleichen Startbedingungen loslegen zu können, ohne Wettbewerbsnachteile.

Bedeutet das, dass die Banken bei der Kreditvergabe zögern?

Gros: Die Volksbanken und Raiffeisenbanken zögern jedenfalls nicht. Sie sind wesentlicher Teil der Krisenlösung. Sie haben die eigene Kreditvergabe hochgefahren, um die Wirtschaft zu stützen. Die Kreditgenossenschaften sind keine reinen Durchlauferhitzer für die Programme der staatlichen Förderbanken. In den vergangenen Tagen haben sie knapp 60 Prozent der neu ausgereichten Kredite auf die eigene Bilanz genommen. Weitere 15 Prozent wurden in Zusammenarbeit mit der LfA Förderbank Bayern, 22 Prozent in Kooperation mit der KfW realisiert.

Das zeigt: Die staatlichen Programme sind wertvoll. Noch wichtiger aber bleiben die Fähigkeit der Volksbanken und Raiffeisenbanken zur Kreditvergabe aus eigener Kraft und die schnelle Auszahlung an die Unternehmen. Das betone ich auch deshalb, weil es mir im medialen und politischen Hype um die Förderbanken aktuell deutlich zu kurz kommt. Schön wäre, wenn man auch politisch zur Kenntnis nehmen würde, welche Risiken die Volksbanken und Raiffeisenbanken jetzt schultern.

Die Staatshaushalte haben ebenfalls riesige Kreditprogramme zu schultern. Wie beurteilen Sie die Debatte um die Corona-Bonds?

Gros: Dazu habe ich eine klare Meinung. Wenn jetzt auf europäischer Ebene Corona-Bonds kommen, dann ist das der Eintritt in die dauerhafte Sozialisierung der Staatsschulden. Die Gemeinschaftshaftung wäre Realität – dauerhaft, nicht nur für die Zeit der Pandemie. Ich bin eindeutig dafür, die Instrumentarien zu nutzen, die bereits zur Verfügung stehen, wie zum Beispiel den Euro-Rettungsschirm ESM.

Es muss außerdem endlich mal damit Schluss sein, jeden Anlass politisch herzunehmen, um die europäische Vergemeinschaftung nationaler Schulden zu fordern. Es wird allmählich unglaubwürdig, wenn immer dieselben Akteure mit den alten Forderungen auftauchen. Bislang hießen sie Euro-Bonds, jetzt heißen sie Corona-Bonds und beim nächsten Mal Irgendwas-Bonds. Das Konzept wird auch durch ständiges Wiederholen und Umbenennung nicht besser.

Bleiben wir auf der europäischen Ebene. Was halten Sie von der Empfehlung der EZB an die Banken, bis mindestens Oktober 2020 keine Dividenden zu zahlen? Die BaFin hat sich dem mittlerweile angeschlossen.

Gros: Hier ist Differenzierung notwendig. Ungleiches kann man nicht gleich behandeln. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken hatten unter den gegebenen Rahmenbedingungen noch ein gutes Jahr 2019. Warum sollen sie davon nicht etwas an ihre Mitglieder und Eigentümer zurückgeben dürfen – ob nun als Dividende oder in anderer Form.

In unserer Gruppe haben wir keine Eigenkapitalprobleme. Im Gegenteil, aktuell sind wir gut ausgestattet. In unserer Gruppe führen auch die jetzt gewährten temporären Eigenkapitalerleichterungen und getroffenen aufsichtsrechtlichen Maßnahmen nicht dazu, dass wir plötzlich dividendenfähig sind. Die genossenschaftliche Bankengruppe war das grundsätzlich vorher auch schon. Wenn es in der Bankenlandschaft Institute gibt, bei denen das anders ist, dann müssen EZB und BaFin das dort ansprechen.

Eine Frage zum Schluss: Sie haben eine Exitstrategie gefordert, um aus dem Corona-Stillstand wieder herauszukommen. Warum?

Gros: Fabriken und die allermeisten Geschäfte haben geschlossen, Gaststätten, Hotels und Handwerksbetriebe wissen nicht, wie es weitergeht, Lieferketten drohen dauerhaft zu reißen. So eine Situation kann eine Volkswirtschaft nicht beliebig lange durchhalten. Wir haben erlebt, wie schnell es gegangen ist, eine laufende Wirtschaft nahezu zum Erliegen zu bringen.

Die Politik hat den Wirtschaftsmotor ausgeschaltet, jetzt muss sie zeigen, dass sie auch weiß, wie man die Maschine wieder in Gang bringt. Es braucht nun ein einheitliches Szenario für Deutschland, wie und vor allem wann die Wirtschaft wieder ins Laufen gebracht werden soll. Unternehmen, Handwerker, alle die dafür sorgen, dass Wirtschaft funktioniert, benötigen dringend eine Perspektive, um liquiditätsmäßig und geschäftspolitisch planen zu können.

Nötig sind zwischen Ländern und Bund verzahnte Task-Force-Einheiten, die sich strukturiert und abgestimmt mit den relevanten Fragestellungen beschäftigten, um bundeseinheitliche Lösungen zu erarbeiten. Es wird ein Leben nach der Krise geben. Das künftig zu organisieren, damit sollte man jetzt beginnen. Auch das gehört zum Krisenmanagement.

Herr Dr. Gros, vielen Dank für das Interview!

 

 

GemeindeZeitung

Fachthema

AppStore

TwitterfacebookinstagramYouTube

Google Play

© Bayerische GemeindeZeitung