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(GZ-1/2-2021)
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► Stellungnahme des WWF zum GZ-Sonderdruck „Passion für Wasserkraft“:

 

Lebendige Bäche und Flüsse

 

Der Sonderdruck der Bayerischen GemeindeZeitung „Passion für Wasserkraft“ vom 5.11.2020 stieß nicht auf einhellige Zustimmung. Sigrun Lange und Stefan Ossyssek von WWF Deutschland baten darum, die Positionen ihres Verbandes in der GZ darstellen zu können. Dieser Bitte kommen wir hiermit nach. Aus ihrer Sicht bringt die Förderung der (Klein-)Wasserkraft nicht den erhofften Durchbruch für die Energiewende.

Ein naturnaher Abschnitt der Ilz im Bayerischen Wald. Bild: Sigrun Lange
Ein naturnaher Abschnitt der Ilz im Bayerischen Wald. Bild: Sigrun Lange

„2020 war ein sehr warmes und trockenes Jahr – nach 2018 das zweitwärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Manche mag das „Traumwetter“ erfreuen, andere beklagen die absterbenden Wälder, die Ernteausfälle und die geringen Wasserstände der Bäche und Flüsse. Klar ist: Die Energiewende muss vorangetrieben werden, um die globale Klimaerwärmung zu begrenzen.

Laut Bundesnetzagentur ist 2020 der Anteil der erneuerbaren Energien in Deutschland auf knapp 50 % gestiegen. Bis 2030 sollen es 65 % werden. Wie ist dieses Ziel zu erreichen? Während die Bundesregierung die Wind- und Sonnenenergie massiv ausbauen will, hält Bayern an der 10H-Regelung für Windkraftanlagen fest und setzt u.a. auf den Ausbau und die Förderung der kleinen Wasserkraft.

150 Wehre wurden hinsichtlich einer möglichen energetischen Nachrüstung untersucht, 108 davon mit einer theoretischen Leistung kleiner 100 kW. Gemäß der aktuellen EEG-Novelle soll der Strom aus kleinen Wasserkraftanlagen (Leistung < 500 KW) künftig mit 3 Cent pro Kilowattstunde zusätzlich vergütet werden, um das Überleben unrentabler Anlagen zu sichern. Dies kommt Bayern zugute, denn im Freistaat werden bundesweit die meisten Wasserkraftanlagen betrieben.

Doch die über 4.000 Kleinanlagen (Leistung < 1 MW) produzieren lediglich 1,3 % des bayerischen Stroms (Stand: 2018). Damit können pro Jahr knapp 300.000 Haushalte versorgt werden, weniger als zwei Drittel aller Haushalte der Oberpfalz (Verbrauch eines Durchschnittshaushalts: 3.200 kWh).

Der „Klima-Report Bayern“ prognostiziert aufgrund künftig häufigerer Extremwetter- und Niedrigwasserphasen einen Rückgang der Erträge aus Wasserkraft. Zudem haben sich nach einer Studie der TU München die Hoffnungen auf „fischfreundliche“ Wasserkraftanlagen weitgehend zerschlagen. Ein Vergleich zwischen konventionellen und innovativen Anlagen zeigt, dass Rechen insbesondere kleine Fische (< 15 cm) nicht vor der Turbinenpassage bewahren und Fische auch bei innovativen Anlagen in beträchtlichem Umfang zu Tode kommen können.

Das Bayerische Landesamt für Umwelt rät daher vom Neubau von Wasserkraftanlagen an frei fließenden Flussabschnitten ab und empfiehlt, bestehende Querbauwerke vorzugsweise rückzubauen, statt mit einer Wasserkraftnutzung nachzurüsten. Denn nicht nur Turbinen sind problematisch; die Stauhaltung an Wehren verändert die Gewässerlebensräume massiv:

Die Fließgeschwindigkeit verringert sich, oberhalb der Wehre erwärmt sich das Wasser, verschlammt und reichert sich mit Nährstoffen an. Unterhalb fehlt der Kies, und damit die Laichplätze für Fische.

Keine Zukunftstechnologie

Durch eine enge Abfolge von Stauwehren verwandeln sich Flüsse in Seenketten. Fließgewässerarten verschwinden, Allerweltsarten wandern ein. Und in den Restwasserstrecken fehlt Wasser und Dynamik.

Dem Statusbericht der Europäischen Umweltagentur zufolge ist die Wasserkraftnutzung für fast die Hälfte (46 %) der durch den Energiesektor bedingten Beeinträchtigungen von europarechtlich geschützten Habitaten, Vogelarten und Nichtvogelarten verantwortlich. Eine Zukunftstechnologie für die Energiewende sieht anders aus.

Dennoch sind Wasserkraftanlagen und Wehre nur ein Problem unserer Flüsse. Einengung, Begradigungen, Uferverbau sowie Einträge von Feinsedimenten verändern die Ökosysteme. Zudem blockieren insgesamt knapp 57.000 Querbauwerke die bayerischen Flüsse, darunter unzählige Abstürze, Verrohrungen und Sohlschwellen.

Nach Berechnungen des WWF Deutschland trifft ein Fisch alle 500 Meter auf eine Barriere, wovon 95 % kleiner als zwei Meter sind, und nur 11 % uneingeschränkt von Fischen passiert werden können. „Small is not beautiful“, urteilen auch die Forschenden hinter einer kürzlich veröffentlichten „Nature“-Studie. Sie fordern, die negativen Auswirkungen kleiner Barrieren stärker zu berücksichtigen und unnötige zurückzubauen.

Denn: Unsere Flüsse müssen wieder durchwanderbar werden, damit Fische und andere Gewässerlebewesen Laichplätze erreichen, sich vor Fressfeinden schützen, und bei Hochwasser in Seitenbäche bzw. bei Wassererwärmung in höhere Flussabschnitte fliehen können.

Nur knapp ein Fünftel der bayerischen Gewässer ist nach den aktuellsten Bewertungen in einem „guten ökologischen Zustand“. Dies muss sich bis 2027 ändern, dazu verpflichtet uns die Europäische Wasserrahmenrichtlinie. Doch auch wenn schon jetzt absehbar ist, dass die Ziele verfehlt werden: Lassen Sie uns mit vereinten Kräften darauf hinarbeiten, lebendige und frei fließende Flüsse zurückzugewinnen, und die Energiewende mit geeigneten Mitteln voranzutreiben.“

Sigrun Lange
Stefan Ossyssek
WWF Deutschland

 

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