Fachthemazurück

(GZ-17-2007)
Fachthema
Versicherungskammer Bayern
 
Räum- und Streupflichten der Gemeinden
 

Der Winter steht vor der Tür und sobald der erste Schnee Gehwege und Straßen in Rutschbahnen verwandelt, werden Fragen zur Räum- und Streupflicht der Gemeinden wieder hochaktuell: Welche Pflichten sind einzuhalten, welche Maßnahmen zu ergreifen? Hierüber informiert in dieser Ausgabe der Bayerischen Gemeindezeitung die Versicherungskammer Bayern.


1.Rechtliche Grundlagen

Zunächst ist hier die allgemeine Verkehrssicherungspflicht als Ausfluss aus § 823 BGB zu nennen. Hiernach hat jeder, der Gefahrenquellen schafft oder unterhält, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zum Schutze Dritter zu treffen. Für den Winterdienst folgt dies bereits aus der sog. Verkehrseröffnung, also dem zur Verfügung Stellen öffentlicher Straßen und Wege für die Bürger. Weiter findet sich in Art. 51 Abs. 1 BayStr- WG eine spezialgesetzliche Grundlage, wonach die Gemeinden innerhalb geschlossener Ortslage zum Winterdienst verpflichtet sind. Da die Räum- und Streupflicht in Bayern den Kommunen vom Gesetzgeber als hoheitliche Aufgabe übertragen ist, ist deren Wahrnehmung auch Amtspflicht im Sinn des § 839 BGB.

Allgemeine Grundsätze

Es besteht keine uneingeschränkte Räum- und Streupflicht. Diese richtet zum einen nach der Art und Wichtigkeit des Verkehrs, zum anderen nach der Leistungsfähigkeit der Gemeinde. An kleine Kommunen können nicht dieselben Anforderungen gestellt werden, wie an eine Großstadt, die auch über einen größeren Räumdienst verfügt. Verlangt werden kann jedoch, dass kleine Kommunen z.B. durch personelle Umstrukturierungen die Voraussetzungen schaffen, in ihrem kleineren Gemeindegebiet der Winterdienstverpflichtung nachzukommen. Daneben ist auch die Eigenverantwortlichkeit jedes Verkehrsteilnehmers gefragt, sich gerade im Winter den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen.

Keine Rund-um-die-Uhr-Verpflichtung

In zeitlicher Hinsicht bestehen Grenzen für die Vornahme des Winterdienstes für die Kommunen dahingehend, als dass diese nicht verpflichtet sind, Räumund Streumaßnahmen rund um die Uhr durchzuführen. Grundsätzlich ist der Winterdienst so zu organisieren, dass mit Beginn des Hauptberufsverkehrs, in der Regel zwischen 7 Uhr und 8 Uhr morgens, Streumaßnahmen bereits getroffen sind. Sonn- und Feiertags muss erst um 8 Uhr morgens der Winterdienst ausgeführt sein, da an solchen Tagen erfahrungsgemäß der Tagesverkehr erst später einsetzt. Nachhaltige Wirksamkeit Die Ausführung von Winterdienstmaßnahmen muss sichergestellt sein bis 20 Uhr und damit auch über die Hauptzeit des abendlichen Hauptberufsverkehrs hinaus. Bis dahin müssen Winterdienstmaßnahmen z.B. nach wiederholtem Schneefall oder Temperaturabfall auch auf ihre nachhaltige Wirksamkeit hin kontrolliert oder ggf. auch wiederholt werden. Zur Durchführung eindeutig zweckloser Maßnahmen, z.B. während andauernden Schneefalls oder bei Eisregen, ist die Kommune nicht verpflichtet. Nach 20 Uhr besteht keine Räum- und Streuverpflichtung. Ausnahmen hiervon bestehen nur dann, wenn z.B. eine größere Veranstaltung nach 20 Uhr stattfindet und sich nach Beendigung der Veranstaltung viele Personen auf dem Nachhauseweg befinden. Eine Verpflichtung zur Durchführung vorbeugender Räum- und Streumaßnahmen besteht nicht. Vielmehr steht der Kommune ein angemessener Zeitraum zu, um das Auftreten von Glätte überhaupt festzustellen und Maßnahmen einleiten zu können.

In örtlicher Hinsicht bestehen gleichfalls Einschränkungen zugunsten der Kommunen, da nicht überall dort, wo es Straßen und Wege gibt, eine Pflicht zur Vornahme von Winterdienstmaßnahmen besteht.

2.Organisationspflichten

Bei den Organisationspflichten ist bereits an die frühzeitige Bereitstellung der erforderlichen Haushaltsmittel für Fahrzeuge, Gerätschaften und Streumaterial, ferner die Bereitstellung des zur Durchführung des Winterdienstes benötigten Personals zu denken. Die Einsatzfähigkeit der benötigten Geräte und Streufahrzeuge muss so frühzeitig geprüft werden, dass erforderliche Reparaturen oder Ersatzbeschaffungen rechtzeitig vor Beginn des Winters getätigt werden können.

Wichtigstes Element der Winterdienstorganisation ist die Aufstellung von Räum- und Streuplänen. Die Rechtsprechung verlangt von den Gemeinden zur Erfüllung ihrer Winterdienstpflichten die Schaffung einer Organisation, die die sichere Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben des Schneeräumens und Streuens gewährleistet. In größeren Gemeinden empfiehlt sich, das Gemeindegebiet in Streubezirke aufzuteilen und innerhalb des Streubezirks die Strecke der zuerst und der nachrangig zu befahrenden Straßen und Wege festzulegen. Wichtige und gefährliche Straßen, Fußgängerüberwege im Bereich von Schulen oder Krankenhäusern, Bushaltestellen etc. sind vor weniger wichtigen oder schwächer frequentierten Bereichen vorrangig zu bestreuen, andernfalls würde bereits hier im Schadenfall eine Haftung der Kommune aus Organisationsverschulden anzunehmen sein.

Streubuch

Zur Sicherstellung der gemeindlichen Organisation und zu Beweiszwecken sollte ein Streubuch geführt werden. In dieses ist die tatsächliche Durchführung der Winterdienstmaßnahme nach dem Streuplan für den jeweiligen Tag mit Zeitpunkt und Dauer einzutragen und mit der Unterschrift des ausführenden Mitarbeiters zu bestätigen. Das Streubuch dient nicht nur in einem möglichen Zivilprozess, in welchem ein Bürger Schadenersatz- oder Schmerzensgeldansprüche aufgrund einer behaupteten Verletzung der Winterdienstpflicht geltend macht, sondern auch im Rahmen möglicher Ermittlungen der Staatsanwaltschaft oder gar eines Strafprozesses z.B. wegen fahrlässiger Körperverletzung als Beweismittel.

In diesem Zusammenhang ist die Beobachtung erwähnenswert, dass Geschädigte zunehmend versuchen, durch Stellung eines Strafantrags der Durchsetzung von etwaigen Schadenersatzforderungen Nachdruck zu verleihen. Auch vor dem Hintergrund, dass Schadenersatzansprüche oft erst mit einiger zeitlicher Verzögerung geltend gemacht werden und damit das Streubuch im Prozessfall als Gedächtnisstütze dienen kann, ist es ratsam die Eintragungen gewissenhaft vorzunehmen.

Weiter gehört zur ordnungsgemäßen Organisation des Winterdienstes auch dessen Überwachung. So sollten z.B. zumindest stichprobenartig durch Mitarbeiter der Kommune Räum- und Streuberichte auf ihren Inhalt kontrolliert werden, die Einteilung in Streubezirke bzw. die Priorisierung von zu räumenden Straßen und Wegen auf ihre Aktualität hin (Straßenbaumaßnahmen; Umleitungen, etc.) überprüft werden.

3. Pflichten gegenüber dem Fahrverkehr

Die Anforderungen der Pflichten gegenüber dem Fahrverkehr richten sich danach, ob der betreffende Straßenteil sich innerhalb oder außerhalb der geschlossenen Ortslage befindet. Entscheidend ist hierbei das äußere Erscheinungsbild der Ortsbebauung, nicht das Ortsschild.

Innerorts besteht eine Räumund Streuverpflichtung nur an verkehrswichtigen und zugleich gefährlichen Straßenstellen. Allein das Vorliegen des Merkmals Verkehrswichtigkeit ohne dass daneben auch Gefährlichkeit (und umgekehrt) gegeben ist, reicht nicht aus, um für die Kommune eine Verpflichtung zur Durchführung von Winterdienstmaßnahmen zu begründen. Die Verkehrswichtigkeit einer Straße ergibt sich aus deren Bedeutung für die weitere Region, nicht aus deren Bedeutung für die nähere Umgebung. So besteht keine Räum- und Streupflicht für eine Straße zu einem Einödhof als einziger Anbindung zum Straßennetz, da auf die Region bezogen dieser Straße nur untergeordnete Bedeutung zukommt. Als verkehrswichtig beurteilt werden Ortsdurchfahrten von Bundes-, Landes- und Kreisstraßen, örtliche Hauptverkehrsstraßen (z.B. große Durchgangsstraßen) und bei kleineren Gemeinden örtliche Verkehrsmittelpunkte wie Ortskern, Marktplatz und Hauptkreuzungsstelle.

Als gefährlich werden Straßenstellen angesehen, die wegen ihrer eigentümlichen Anlage oder bestimmter Zustände, die nicht oder ohne weiteres erkennbar sind, die Möglichkeit eines Unfalls auch für den Fall nahe legen, dass der Verkehrsteilnehmer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet. Dies sind insbesondere Stellen, an denen Fahrzeuge erfahrungsgemäß bremsen, ausweichen oder sonst ihre Fahrtrichtung ändern müssen, so z.B. scharfe oder unübersichtliche Kurven, Fahrbahnverengungen, Gefällestrecken, Straßenkreuzungen und Einmündungen. Oft streuen die Kommunen im Interesse ihrer Bürger mehr als sie nach den dargelegten Erfordernissen müssten. Gerade angesichts der angespannten finanziellen Haushaltslage müssen solche Maßnahme der Kommunen als reiner Service für den Bürger eingestuft werden. Kommt es hierdurch zu einer Vernachlässigung anderer zu streuender Bereiche wird eine Haftung der Kommune aus Organisationsverschulden anzunehmen sein.

Besondere Gefährlichkeit

Außerorts besteht eine Verpflichtung zum Winterdienst nur an verkehrswichtigen und zugleich besonders gefährlichen Straßenstellen, wenn also ein besonders sorgfältiger Kraftfahrer die Gefahr nicht mehr meistern oder erkennen kann. Besondere Gefährlichkeit ist beispielsweise anzunehmen bei außergewöhnlichem Gefälle (mehr als 10 %), nicht erkennbaren Brücken oder Stellen, an denen sich Reifglätte bilden kann.

Bei Parkplätzen besteht grundsätzlich gegenüber dem Fahrverkehr keine Räum- und Streupflicht, außer es liegen die oben ausgeführten Kriterien der Verkehrswichtigkeit und Gefährlichkeit vor.

4. Pflichten gegenüber dem Fußgängerverkehr

Die Anforderungen der Pflichten gegenüber dem Fußgängerverkehr beurteilen sich danach, ob der betreffende Straßenteil sich innerhalb oder außerhalb der geschlossenen Ortslage befindet, wobei auch hier das äußere Erscheinungsbild der Ortsbebauung, nicht das Ortsschild, entscheidend ist.

Innerorts besteht eine uneingeschränkte Räum- und Streuverpflichtung für Gehwege und die nur für den Fußgängerverkehr bestimmten Teile öffentlicher Straßen- und Gehbahnen. Bezüglich Gehwegen und Gehbahnen ist eine Übertragung des Winterdienstes auf die Anlieger möglich. Hierauf wird nachfolgend noch eingegangen werden.

Belebte und unerläßliche Fußgängerüberwege

Eine Verpflichtung zum Winterdienst besteht weiterhin für belebte und unerläßliche Fußgängerüberwege. Es handelt sich hier um durch Ampelanlagen oder Zebrastreifen gesicherte Überwege sowie belebte Kreuzungen, die jedenfalls in der Hauptverkehrszeit ständig von einem großen Personenkreis benutzt werden müssen. In Fußgängerzonen und verkehrsberuhigten Bereichen muß ein angemessen breiter Streifen im Mittelbereich geräumt und gestreut sein, wobei ausreichend ist, wenn Geschäfte oder Parkplätze mit wenigen Schritten auch über nicht gesicherte Stellen erreicht werden können.

Gesteigerte Anforderungen

Bushaltestellen und sonstige öffentliche Einrichtungen, an denen regelmäßig oder zu bestimmten Zeiten ein starker Fußgängerverkehr herrscht, unterliegen gesteigerten Anforderungen. Hier sind bei entsprechender Witterung Kontrollen bzgl. der Nachhaltigkeit durchgeführter Winterdienstmaßnahmen bzw. wiederholtes Räumen und Streuen erforderlich. Auf Parkplätzen besteht nur dann eine Räum- und Streupflicht, wenn sie verkehrswichtig sind und Fußgänger die einzelnen Stellplätze nicht mit wenigen Schritten erreichen können. Es ist dann aber nicht die gesamte Parkfläche zu räumen und zu streuen, sondern nur ein Streifen, der das gefahrlose Verlassen des Parkplatzes wie das gefahrlose Erreichen des Fahrzeugs ermöglicht. Eine Pflicht zum Winterdienst auf bloßen Abkürzungen besteht nicht. Weiterhin besteht für die Kommune grundsätzlich keine Verpflichtung nach vereinzelten Glättestellen zu suchen.

Außerorts besteht keine Räum- und Streuverpflichtung gegenüber dem Fußgängerverkehr. Eine Ausnahme hiervon besteht lediglich bei einem besonderen Bedürfnis wie einem Verbindungsweg zwischen zwei nicht weit voneinander entfernten Ortsteilen oder besonderer Gefahr wie einer Gefällstrecke. Eine Abwälzung des Winterdienstes außerhalb geschlossener Ortslage auf die Anlieger ist nicht möglich.

5.Übertragung von Sicherungspflichten

Die Kommune kann die Verpflichtung zum Winterdienst auf Privatfirmen übertragen. Dies sollte durch schriftlichen Vertrag erfolgen und für den Unternehmer die Verpflichtung zum Führen eines Streubuches beinhalten. Weiter sollte sich die Kommune einen ausreichenden Haftpflichtversicherungsschutz vom Vertragspartner für die Ausübung der Winterdiensttätigkeit nachweisen lassen. Trotz Übertragung des Winterdienstes kann eine eigene Haftung der Kommune dann gegeben sein, wenn ein nicht mit ausreichendem Personal oder Sachmitteln ausgestattetes Unternehmen beauftragt wurde oder die Kommune nicht durch Vornahme stichprobenartiger Kontrollen überprüft, ob und wie das Unternehmen den Aufgaben nachkommt.

Übertragung auf Anlieger

Gemäß Art. 51 V BayStrWG ist eine Übertragung des Winterdienstes auf Anlieger durch Satzung möglich. Zu beachten ist, dass bei bewehrten Satzungen eine Übertragung nur für 20 Jahre möglich ist, danach fällt die Verpflichtung zum Winterdienst wieder an die Kommune zurück. Eine Abwälzung des Winterdienstes kann nur für Gehwege und Gehbahnen innerorts und nur auf den gesetzlich festgelegten Personenkreis - Grundstückseigentümer und sonstige dingliche Berechtigte wie z.B. Erbbauberechtigte erfolgen.

Ist die Gemeinde selbst Anlieger gilt die Übertragung auch für sie, wobei sich dann eine etwaige Haftung nicht nach § 839 BGB, sondern allein nach §823 BGB wie bei jedem anderen privaten Dritten beurteilt.

Überwachungs- und Kontrollpflicht bei der Kommune

Trotz Übertragung des Winterdienstes verbleibt nach der Rechtsprechung eine Überwachungs- und Kontrollpflicht bei der Kommune, welcher sie bei der Ausübung der ihr auch weiterhin anderweitig obliegenden Räum- und Streuverpflichtung nachkommen kann. Stellt die Kommune wiederholt Verstöße gegen die Übertragung auf die Anlieger fest hat sie dem notfalls mit der Verhängung von Bußgeldern entgegenzuwirken.

Bloße Unwissenheit

Da oft bloße Unwissenheit der Grund dafür ist, dass Winterdienstmaßnahmen nicht ausgeführt werden, hat sich als sinnvoll erwiesen, dass vor Beginn der Winterperiode die Anlieger durch öffentliche Bekanntmachungen auf die auf sie übertragene Räum- und Streupflicht für Gehwege und Gehbahnen hingewiesen werden.

RED

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