Angesichts des realen Krieges in der Ukraine, direkt vor der Haustür Mittel- und Westeuropas, und dessen Auswirkungen auf Wirtschaft und Energieversorgung überbieten sich Europa mit 2050, Deutschland mit 2045 und schließlich Bayern mit 2040 in ihren Zielen, Energieunabhängigkeit und Klimaneutralität bis zu diesen Jahren anzustreben. Allein wie das erreichbar sein soll, da gehen die Vorstellungen bisweilen ziemlich weit auseinander.
Nicht so in Bayern: Die Bayerische Energiewirtschaft bekennt sich im Schulterschluss mit der Bayerischen Staatsregierung ausdrücklich zu deren angestrebten Klimaschutzzielen.
Klimaneutralität möglichst ohne Beeinträchtigung
Im Rahmen eines virtuellen Pressegesprächs stellten deshalb der Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) sowie die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) erste Zwischenergebnisse der Studie „Bayernplan Energie 2040“ vor. Die Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) aus München hat im Rahmen der bis Ende 2022 laufenden Studie verschiedene Szenarien für die Energiezukunft Bayerns beleuchtet, um Klimaneutralität für Bayern bis 2040 herzustellen und ein belastbares Energiekonzept zu entwickeln, das Ökonomie und Ökologie gleichermaßen gerecht wird. Wichtig dabei: Es soll der Industriestandort Bayern nicht beeinträchtigt werden.
Ergänzend zu der Zukunftsstudie hat der VBEW Positionen zum Ausbau der erneuerbaren Energien in Bayern postuliert, wie der energiewirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Weg zur Klimaneutralität in Bayern beschritten werden soll.
Die FfE stellt in ihrer Zwischenbilanz zur Erreichung einer bayerischen Klimaneutralität bis 2040 fest, dass an drei Stellschrauben gedreht werden muss: die Elektrifizierung auf allen Ebenen vorantreiben, eine Wasserstoffwirtschaft zur Energieversorgung aufbauen und vor allem aber an einer wirkungsvollen Suffizienz arbeiten, also Ressourcen und Energie in ausgeprägter Form einsparen.
Die FfE geht davon aus, dass sich im Rahmen der verstärkten Elektrifizierung der Endenergieverbrauch in Bayern bis 2040 im Vergleich zu 2019 um etwa 40 Prozent verringern lässt.
Verkehr und Gebäude
Dabei tragen vor allem der Verkehr mit 53 Prozent und die Gebäude mit 44 Prozent den Löwenanteil, aber auch die Industrie steuert 27 Prozent bei. Maßgeblich für eine erfolgreiche Reduzierung des Endenergieverbrauchs in Bayern im Verkehrssektor sind Umstellung auf Elektromobilität, Effizienzsteigerungen bei den Fahrzeugen und deren Nutzung bzw. Anwendung und zur Nachhaltigkeitssteigerung Verkehrsverlagerungen (modal shift) in Richtung ÖPNV (öffentlicher Personennahverkehr) und Bahn. Offene Fragen: Woher kommt der benötigte klimaneutrale Strom und die notwendige Infrastruktur auf der Schiene.
Auch im Gebäudesektor setzt die FfE in ihrer Studie auf Elektrifizierung der Wärmebedarfsdeckung kombiniert mit einer unvermeidlichen energetischen Sanierung des Gebäudebestandes. Allerdings blieb die Frage außen vor, wie die Bereitschaft der Eigentümer zu mehr Energieeinsparung gesteigert werden könnte, denn das größte Einsparpotential in diesem Bereich liegt in der Raumwärme.
Auch die Industrie kann laut FfE einen wichtigen Beitrag zur Klimaneutralität leisten. So geht die FfE davon aus, dass der Stromanteil in der industriellen Produktion bis 2040 von 38(2019) auf 62 Prozent steigen wird. Die Treiber der Industrietransformation sind dabei mehr Effizienz, alternative Energieträger (Wasserstoff, Biomasse) und die schon erwähnte verstärkte Elektrifizierung. Strom, Biomasse und Wasserstoffe sind laut FfE die Energieträger der industriellen Zukunft.
Dabei zeichnet sich schon jetzt ab, dass die direkte Elektrifizierung in allen Bereichen – Verkehr, Industrie, Gebäude – unverzichtbar ist, um den Endenergieverbrauch nachhaltig zu senken.
178 Mrd. Kilowattstunden einsparen möglich
Wenn die Elektrifizierung wie angenommen umgesetzt würde, ließe sich der Endenergieverbrauch in Bayern von 2019 bis 2040 um rund 178 Milliarden Kilowattstunden senken – allerdings nur, wenn die Transformation ohne größere äußere Störungen vollzogen würde. Die „natürlichen“ Transformationsgeschwindigkeiten erreichen in den Studienszenarien das Limit des derzeit vorstellbar Machbaren.
Positionen des VBEW
Detlef Fischer, seit 19. Mai 2022 Hauptgeschäftsführer des VBEW, stellte im Rahmen des Pressegesprächs die VBEW – „Positionen zur Energieversorgung mit erneuerbaren Energien in Bayern“ vor. Sie sind ein dringender Handlungsappell an die politisch Verantwortlichen, wenn es denn mit der Klimaneutralität 2040 Wirklichkeit werden soll. Alle realitätsnahen Zukunftsszenarien deuten darauf hin, dass die Region künftig verstärkt die Städte und industriellen Zentren mit erneuerbaren Energien versorgen muss, um die Klimaziele der Bayerischen Staatsregierung zu erreichen. Klimaneutralität bedeutet faktisch, dass der Energiebedarf zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien gedeckt wird: Strom aus Sonne, Wind und Wasser, Wärmeenergie aus Biomasse, Geothermie und Umweltwärme. Das gilt in letzter Konsequenz auch für alle nach 2040 importierten Energieträger, denn Bayern wird auch nach 2040 weiterhin auf Energieimporte angewiesen sein.
Wasserkraft ist unverzichtbar
Bei einer Energieversorgung mit erneuerbaren Energien ist ein ausgewogener Mix unterschiedlicher Technologien der Schlüssel zum Erfolg. Die einzelnen erneuerbaren Energieträger dürfen dabei nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern sollten sich gegenseitig ergänzen. Mit den Stärken des einen Energieträgers lassen sich Schwächen des anderen ausgleichen. Nur in Kombination mit gut ausgebauten Netzen und Speichern (kurz-, mittel- und langfristig) wird daraus ein bedarfsorientiertes und sicheres Energieversorgungssystem.
Bayern ist bevorzugt durch sein Wasserkraftpotenzial. Die steigende Stromerzeugung aus der witterungs-, jahreszeit- und tageszeitabhängigen Photovoltaik und Windkraft erfordert den verstärkten Einsatz von Energietechniken, die sicherstellen, dass die benötigte Elektrizität weiterhin bedarfsgerecht zur Verfügung steht. Wasserkraft erfüllt in besonderer Weise diese grundlegende energiewirtschaftliche Anforderung. Sie hilft, durch Pumpspeicher- und Speicherkraftwerke den zunehmenden Regel- und Speicherbedarf bereitzustellen. Das ist das vornehmliche Zukunftspotential für die Nutzung der Wasserkraft durch neue Anlagen speziell im Voralpen- und Alpengebiet. Die Wasserkraft ist und bleibt ein unverzichtbarer Bestandteil des bayerischen erneuerbaren Energiemixes und hat darüber hinaus verschiedene Zusatznutzen wie z. B. die Reinhaltung der Flüsse von Wohlstandsmüll.
Fischer erteilte der auf Bundesebene geplanten Benachteiligung der Wasserkraft bei den Förderbedingungen über das EEG 2023 eine eindeutige Abfuhr und für die regenerative Versorgungssicherheit als absolut kontraproduktiv.
Laut VBEW wird die Sonnenenergie der neue Lastenesel der Energiewende. Zwar kann rein rechnerisch mit heimischer Sonnenenergie der komplette Endenergiebedarf in Bayern gedeckt werden, allerdings nur in Kombination mit einer Flexibilisierung des Stromverbrauchs und dem Einsatz von Speichern. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen Speichern, die den Spitzen- und Tagesbedarf (z. B. über Batterien) abdecken und Speichern, die den mittel- und langfristigen Bedarf (z. B. über Wasserkraft und Wasserstoff) bedienen.
10-H-Regel ist kontraproduktiv
Windkraft und Bayern ist laut Fischer ein schwieriges Verhältnis. Windkraft ist neben der Sonnenenergie die erneuerbare Energieform, die auch in Bayern noch großes Ausbaupotenzial aufweist und einen hohen Stromertrag bei vergleichsweise geringen Kosten und geringem Flächeneinsatz liefert. Der unzureichende Windkraftausbau durch die politisch forcierte Einführung der 10-H-Regelung aufgrund mangelnder Akzeptanz der Menschen vor Ort in Verbindung mit dem fehlenden Ausbau der Stromübertragungsnetze sind bereits ein gravierender Standortnachteil für Bayern.
Der VBEW stellt fest, dass die 10-H-Regel kontraproduktiv für die Umsetzung der Energiewende ist. Sie muss daher durch Regeln ersetzt werden, die den bedarfsgerechten Ausbau unter Stärkung der Akzeptanz ermöglichen. Keine Gemeinde darf sich dem Ausbau der Windkraft bei entsprechender Standorteignung verweigern können.
Energie aus Biomasse hat zwar einen großen Flächenbedarf bei hohen Kosten, ist aber wie die Wasserkraft zuverlässig verfügbar. Ausbaupotenzial ist wie bei der Wasserkraft ohne Nutzungskonflikte nur noch in einem sehr eingeschränkten Umfang vorhanden.
Geothermie und Umweltwärme (Wärmepumpen) sind laut VBEW wahre Schätze für die Gebäude-Wärmeversorgung mit erneuerbaren Energien, deren Potenziale bei weitem noch nicht ausgeschöpft sind. Wichtig wird vor allem der Wille sein, auch entsprechende Energieeinsparpotenziale im Gebäudesektor zu heben.
Als Fazit bleibt für Fischer die (nicht neue) Erkenntnis, dass die erneuerbaren Energien nur im Zusammenwirken stark und sicher sind. Bei einer Energieversorgung mit erneuerbaren Energien ist ein ausgewogener Mix unterschiedlicher Technologien der Schlüssel zum Erfolg. Die einzelnen erneuerbaren Energieträger dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Ein breiter Energieträgermix hilft auch bei den erneuerbaren Energien, die Versorgungssicherheit möglichst wirtschaftlich zu gewährleisten.
Ohne massiven Netzausbau ist alles nichts
Aber alles ist nichts ohne entsprechenden massiven und beschleunigten Netzausbau und die Schaffung von Speicherkapazitäten. Ein erheblicher Teil der aus erneuerbaren Ressourcen gewonnen Energien wird künftig aus der zeitlich sehr volatil zur Verfügung stehenden Windkraft- und Sonnenenergie anfallen. Der entscheidende Zeitraum für die möglichst bedarfsgerechte Versorgung sind die dunklen Monate im Winter (Stichwort: Kalte Dunkelflaute), in denen die Versorgungssicherheit ebenfalls gewährleistet sein muss. Der Ausgleich muss über Speicher (kurz-, mittel- und langfristig) erfolgen. Gerade die Wasserkraft bietet sich dafür im Voralpen- und Alpenbereich an, mit (Pump-) Speicherkraftwerken einen Beitrag zum Speichern von Strom auch für längere Zeiträume zu leisten.
Gamechanger Wasserstoff
Wasserstoff kann in einigen Jahren zum Gamechanger für die Energiewende werden und neue Möglichkeiten der Stromspeicherung bieten. Zum flächendeckenden Transport von Wasserstoff ist ein überregionales und regionales Netz aufzubauen und die vorhandenen Erdgasinfrastrukturen dafür bestmöglich zu nutzen. In welchem Umfang grüner Wasserstoff die erhoffte Schlüsselrolle für den Umbau der Energieversorgung einnehmen kann, wird auch davon abhängen, wie Umwandlungsverluste und damit Kosten für diesen Energieträger reduziert werden können und inwieweit die Akzeptanz für breite Anwendungszwecke dauerhaft gewährleistet werden kann.
Neben aller technischen Anstrengungen wird der Wille zum Energiesparen und zur rationelleren Energieanwendung entscheidend für den Erfolg des Klimaschutzes und der Energiewende sein. Von Seiten der Politik muss eine entsprechende gesellschaftliche Akzeptanz gefördert werden und die Voraussetzungen geschaffen werden, dass Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich schneller zum Ziel führen. Schließlich müssen künftig die erneuerbaren Energien in allen Verbrauchssektoren eingesetzt werden.
Bis eine 100 prozentige erneuerbare Energieversorgung über alle Sektoren erreicht sein wird, ist es aber noch ein weiter Weg. Da ist sich Fischer sicher. Die Dimension der dafür abzuarbeitenden Aufgaben wird der Politik und der Gesellschaft erst so langsam deutlich. Schließlich muss jede Region entsprechend ihrer spezifischen Möglichkeiten ihren Beitrag leisten und sich am Umbau der Energieversorgung in Bayern beteiligen. Die Bevölkerung in Stadt und Land sowie in Nord- und Südbayern muss dafür bestmöglich zusammenarbeiten. Die Politik auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene muss Lösungen für das daraus zwangsläufig entstehende Konfliktpotenzial erarbeiten. Es darf nicht sein, dass die einen die Vorteile einer nachhaltigen Energieversorgung wie selbstverständlich in Anspruch nehmen und die anderen nur die Lasten daraus zu tragen haben.
Angesichts der visionären Energieversorgungsszenarien und der Appelle an die Vernunft bleibt eine Frage unbeantwortet: Sind die daraus resultierenden Rechnungen mit oder ohne die Klima-, Natur- und Umweltschutzverbände und -gruppierungen gestellt.
Personelle Neuaufstellung im VBEW
Nur zusammen stark und sicher – das gilt auch für die personelle Aufstellung des VBEW. Die Energie- und Wasserwirtschaft in Bayern steht vor epochalen Aufgaben. Um den Mitgliedsunternehmen dabei weiterhin ein verlässlicher und kompetenter Ansprechpartner zu sein, hat sich die Geschäftsführung des VBEW neu aufgestellt.
Im Rahmen der außerordentlichen Mitgliederversammlung des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft e.V. – VBEW am 19. Mai 2022 wurde die Berufung von Herr Detlef Fischer, bisher Geschäftsführer des VBEW, zum Hauptgeschäftsführer und Mitglied des Vorstandes bestätigt. Herr Florian Mattner, bisher stellvertretender Geschäftsführer des VBEW, übernimmt künftig das Amt des Geschäftsführers.
JK
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