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(GZ-15/16-2022)
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Herausforderungen der Energiewende - ein Beispiel für niederschwellige Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern

Christian Horzetzky, TenneT TSO GmbH

Die niederländische Tennet TSO ist einer der vier Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) in Deutschland und betreibt ein grenzüberschreitendes niederländisch-deutsches Hoch- und Höchstspannungsnetz (110.000 in NL, 220.000 und 380.000 Volt in D) von Offshore-Netzanschlüssen in der Nordsee bis nach Bayern.

Die drei Schlüsselaufgaben sind Übertragungsdienstleistungen, also der Betrieb und die Wartung ihrer Hoch- und Höchstspannungsnetze sowie deren bedarfsgerechter Ausbau. Hinzu kommen sogenannte Systemdienstleistungen zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Stromangebot und -nachfrage z.B. durch Regelenergie, um Prognoseabweichungen auszugleichen bzw. das Einspeisemanagement, um Netzengpässe zu verhindern. Dies alles dient einem sicheren Stromsystem und der eines gesetzeskonformen, reibungslos funktionierenden, liquiden und stabilen Umsetzung des europäischen Strommarkts.

Mit dem Fortschritt bei der Energiewende sind auch die Herausforderungen an die Netzbetreiber kontinuierlich gestiegen. Waren die Übertragungsnetze bis zum Hochlauf der Energiewende vor allem als Verbindungen zwischen den großen Kraftwerken ausgebaut (Stichwort Verbundnetz), hat sich das stark verändert. Die Anforderungen an das Stromnetz steigen in den kommenden Jahren kontinuierlich weiter an, denn stark schwankende Stromeinspeisung von Sonne und Wind sowie deren absehbar starker Leistungszubau und die breite räumliche Verteilung der Einspeisepunkte und auch die Herausforderungen im Zuge der Dekarbonisierung erzwingen eine umfangreiche Anpassung der bestehenden Netzinfrastruktur.

Immer häufiger müssen große Mengen überschüssigen volatilen Windstroms von Norden in den verbrauchsintensiven Süden transportiert werden. Dazu fehlen aber nach wie vor entsprechend leistungsfähige Gleichstrom-Netzverbindungen. Das führt dazu, dass immer häufiger in das Netz eingegriffen werden muss, um Überschüsse abzuregeln. Das führt zu steigenden Kosten für die Stromkunden.

Und das geht gehörig ins Geld bzw. greift tief in die Portemonnaies der Stromkunden. Die Kosten für wesentliche Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit in Deutschland sind in den vergangenen zehn Jahren von knapp 180 Millionen Euro auf über 2,2 Milliarden Euro angewachsen, finanziert über die Netzentgelte – Tendenz steigend. Gab es 2003 nur an zwei Tagen jeweils einen Eingriff, so sind es jetzt durchschnittlich sechs Maßnahmen pro Tag. Die Gefahr von Spannungsproblemen im Netz und damit bei der Versorgungssicherheit wächst deutlich weiter an. Vor allem der Netzausbau verläuft wesentlich langsamer als der Zubau von Erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne, der angesichts der aktuellen geopolitischen Verwerfungen und der sich abzeichnenden Energiekrise beschleunigt werden soll. Daraus ergeben sich zusätzliche Herausforderungen.

Eines der wichtigsten zu lösenden Kernprobleme in der bundesdeutschen Energiewendepolitik ist: Wie schnell lässt sich der mehr als dringend erforderliche Netzausbau beschleunigen, damit die in den windreichen norddeutschen See- und Landregionen erzeugten Strommengen in die verbrauchsintensiven Industrieregionen im Süden der Republik transportiert werden können. Und da erreicht auch TenneT, wie jedes mit Infrastrukturprojekten befasste Unternehmen in Deutschland, sehr schnell die ausgeklügelte, sehr deutsche Genehmigungsbürokratie und Umweltgesetzgebung mit zahllosen Möglichkeiten, durch Einspruchsverfahren jeden Zeitplan auszuhebeln.

An der korrekten Bedarfsberechnung seitens der Übertragungsnetzbetreiber und der Bundesnetzagentur liegt es sicher nicht. Um die Entwicklung des Strombedarfs und seiner Deckung möglichst realitätsnah vorherzusehen, fordert der Gesetzgeber alle zwei Jahre eine Überprüfung des Netzentwicklungsplans (NEP). In dem dafür ablaufenden Prozess werden in öffentlichen Konsultationsprozessen von Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) und Bundesnetzagentur (BNetzA) Bedarfs- und Ausbauszenarien erörtert. Für den NEP23, der bis 2045 prognostiziert, erarbeitet der ÜNB auf Erfahrungen, Studien und Abfragen bei Ländern und anderen Netzbertreibern basierend mögliche Strombedarfs-Szenarien, z. B. den Zubau von Wärmepumpen oder Elektrolyseuren zur Wasserstoffgewinnung, um zu untersuchen, welche Engpässe dann im Stromnetz entstehen und mit welchen Maßnahmen diese am besten behoben werden können. Die BNetzA prüft dann und muss schließlich ihre Bestätigigung erteilen. Die bestätigten Maßnahmen finden dann Eingang in den Bundesbedarfsplan, den der Bundesgesetzgeber beschließt.

Eine der Zielgrößen unter Berücksichtigung des Ampel-Koalitionsvertrags ist z.B. bis 2030 die angestrebte Kapazität von Elektrolyseuren zur Herstellung grünen Wasserstoffs auf 10.000 Megawatt zu verdoppeln. Eine andere Zielgröße ist die Erlangung der Klimaneutralität in Deutschland bis 2045 (sog. Klimaschutzgesetz). Auch wurden die Ampelziele auf 200.000 Megawatt Solarstrom, für Offshore-Windkraft auf 30.000 Megawatt (2030), 40.000 Megawatt (2035) und 70.000 Megawatt (2045) sowie die Bereitstellung von zwei Prozent der deutschen Landesflächen für Windräder an Land (gegebenenfalls auch durch gesetzlichen Zwang) angehoben.

Der Netzentwicklungsplan umfasst sowohl Netzneubau vor allem bei der Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ) als auch Netzverstärkung und -erweiterung bestehender Drehstrom-Höchstspannungsleitungen.

Um die großen Herausforderungen, vor denen Energieinfrastrukturunternehmen wie TenneT stehen, zu meistern, setzen sie im herkömmlichen Netz z. B. auf Optimierungen von Leistungssteuerung und technische Aufrüstung (Stichwort: Hochtemperatur-Freileitungen) oder Aufbau von Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ).

Zusätzlich soll im Rahmen von Pilotprojekten zukünftiges Innovationspotenzial gehoben werden und über Digitalisierung eine intelligente Betriebsführung weiteren Einzug erhalten. Z. B. soll durch Zugriffs- und Steuerungsmöglichkeiten bei Solaranlagen und Solarspeichern oder Wärmepumpen Leistung für das sogenannte Engpassmanagement bereitgestellt werden können. Privatkunden sollen über ihre Elektroautos, Hausbatterie-Speichersysteme oder Solarmodule aktiv flexible Kapazitäten zur Stabilisierung des Stromnetzes anbieten können und damit finanziell von der Energiewende profitieren. Diese sog. Crowd Balancing-Plattform nutzt die Blockchain-Technologie. Auch sollen Netzbooster, d. h. große Batteriespeicher im Norden und Süden des Netzes, extrem schnell hohe Leistung zur Stabilisierung und Netzstützung abgeben können und umgekehrt auch große Mengen überschüssigen Stroms aufnehmen/speichern können.

Und schließlich ist angestrebt, die Netzsysteme z. B. von Strom- und Gasnetzen, perspektivisch in Richtung Wasserstoffnetze zu integrieren. Dabei ist von grundlegender Wichtigkeit für die ÜNB-Planungen, wo künftig die energieintensiven Elektrolyseure gebaut und an das Stromnetz angebunden werden sollen. Üblicherweise sollten sie dort stehen, wo der Überschussstrom entsteht.

Das alles kann nur zeitnah funktionieren, wenn die Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich beschleunigt werden. Dazu bedarf es unter anderem einer Standardisierung der Verfahren, der Sicherstellung genügend qualifizierten Personals und der Möglichkeit paralleler Bearbeitung in den Genehmigungsbehörden, laufende Einbeziehung der Fachbehörden und rechtliche Anpassungen beim Materiellen Recht (z. B. TA Lärm, u.a. WAFB – WitterungsAbhängiger-FreileitungsBetrieb) und beim Verfahrensrecht (Übernahme PlanSiG (Planungssicherstellungsgesetz) in die Regelungen des EnWG (Energiewirtschaftsgesetz), NABEG (Netzausbaubeschleunigungsgesetz) und VwVfG (Verwaltungsverfahrensgesetz).

Auch sollte die Einsatzmöglichkeit von Projektmanagern zur Unterstützung der Behörden bei der Erarbeitung von Unterlagen (gute Erfahrung damit in Niedersachsen) flächendeckend erlaubt werden.

Schließlich wäre es eine große Erleichterung, wenn schon vor Vorliegen des Planfeststellungbeschlusses ein vorzeitiger Baubeginn (§44c EnWG) ermöglicht würde, um z. B. wegen des Vogelschutzes vor dem 28. Februar Rodungen vorzunehmen. Hier hat das kürzlich verabschiedete Osterpaket der Bundesregierung einige wichtige Verbesserungen gebracht.

Letztendlich ist vor allem die Politik gefordert, die geeigneten Schritte zeitnah umzusetzen, und auch die Mandatsträger aller politischer Ebenen, den Diskussionsprozess vor Ort konstruktiv zu begleiten, damit die Energiewende tatsächlich ein Erfolg wird.

www.tennet.eu/de

JK 

 

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