(GZ-22-2022) |
► Straubing: |
Erfolgreiches Wasserkraft-Seminar von VWB und LVBW |
Innovative Anlagenkonzepte und Wissenswertes für den Anlagenbetrieb im Mittelpunkt |
Rund 80 Teilnehmer aus der Wasserkraftbranche, von Behörden und aus der Wissenschaft kamen zum dritten Wasserkraftseminar nach Straubing. Getagt wurde im neuen Gebäude für Forschung und Lehre des Straubinger Campus für Biotechnologie und Nachhaltigkeit der Technischen Universität München (TUMCS). Im Mittelpunkt standen Berichte aus der Praxis und aus der Forschung, die in Diskussionsrunden vertieft wurden. Eingeladen hatten die Vereinigung Wasserkraftwerke in Bayern (VWB) e.V. und der Landesverband Bayerischer Wasserkraftwerke (LVBW) eG.
In seiner Begrüßung dankte Fritz Schweiger, Vorsitzender der VWB, den Anlagenbetreibern sowie den der Wasserkraftnutzung verbundenen Stakeholdern für ihr großes Engagement in diesem Jahr, um im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 2023 sowie in weiteren einschlägigen, gesetzlichen Regelungen stabile Rahmenbedingungen für kleine Wasserkraftanlagen aufrechtzuerhalten. Es sei versucht worden, die kleine Wasserkraft innerhalb der Erneuerbaren Energien als zweitklassig einzustufen, kritisierte Schweiger. „Mit unseren intensiven Anstrengungen konnten wir die Benachteiligung der Wasserkraft verhindern“, betonte Schweiger, appellierte aber auch, nicht nachzulassen im Einsatz und in den Bemühungen für die kleine Wasserkraft.
Schachtkraftwerke in Großweil und Dietenheim
In dem ersten Themenblock drehte es sich um die Schachtkraftwerke in Großweil im Landkreis Garmisch-Partenkirchen und Dietenheim an der Iller. Der neue Kraftwerkstyp wurde nach einer Idee von Dipl.-Ing. (FH) Albert Sepp von diesem und Professor Peter Rutschmann am Lehrstuhl für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der TU München entwickelt. Für ein Schachtkraftwerk muss der Flusslauf nicht umgelenkt werden. Stattdessen wird vor dem bestehenden Wehr ein Schacht in das Flussbett eingebaut. In Großweil sind es zwei Schächte mit jeweils einer Turbine und einem Generator, die unter der Wasseroberfläche arbeiten und nicht sichtbar sind. Die besondere Anordnung der Rechengitter stellt technisch und fischbiologisch eine Innovation dar. Zudem wird der Rechen wegen der geringen, nur 2 cm großen Stababstände von Fischen kaum passiert. Zusätzlich wurden zu beiden Seiten Fischwanderhilfen gebaut. So ist die Anlage für Fische in beide Richtungen durchgängig.
Im Herbst 2020 und Frühling 2021 wurden in der Pilotanlage in Großweil von Prof. Jürgen Geist vom Lehrstuhl für aquatische Systembiologie der TU München Untersuchungen im Rahmen eines fischökologischen Monitorings durchgeführt. Deren Resultate liegen in einem seit kurzem veröffentlichten Schlussbericht vor. Prof. Peter Rutschmann berichtete, dass die öffentlich kommunizierten Resultate der Studie Geist eigentlich nur Turbinenmortalitäten beinhalteten und dass in diesem Fall korrekterweise von der Turbine in Großweil und nicht von einem Schachtkraftwerk gesprochen werden dürfe.
Ökologische Konzepte arbeiten damit, dass sie versuchen, Fische am Durchtritt durch die Turbine zu hindern, sei dies durch Feinrechen oder Bypass-Systeme. Die Versuche mit Zuchtfischen und deren Art der Zugabe in Großweil kann aus Sicht von Rutschmann keine realitätsnahen Resultate liefern.
Deshalb stellte Rutschmann die Resultate der an der Versuchsanstalt in Obernach am 35 kW Prototypen durchgeführten Versuche mit Wildfischen vor. Er führte aus, dass sowohl der Durchtritt von Fischen durch den Rechen, als auch die Schädigung der Fische an einer Turbine eine längenabhängige Wahrscheinlichkeit aufweist und die beiden Kurven gegenläufig sind. Aus diesen Kurven ergibt sich für die Anlage in Großweil (Stababstand 20 mm, Einlaufgeschwindigkeit 0,3 m/s) eine prognostizierte Mortalität von 2,3 Prozent für die Gesamtmenge der von oben nach unten wandernden Fische.
Um diesen Wert zum Abschluss doch noch mit den Untersuchungen von Prof. Geist vergleichen zu können, müsse die von Prof. Geist kommunizierte reine Turbinenmortalität auf die Anlagenmortalität umgerechnet und die an der Turbine vorbeiwandernden Fische berücksichtigt werden. Die Größenordnung von Fischen, die nicht durch die Turbine absteigen, liegt bei den Wildfischuntersuchungen von Prof. Geist (65 Prozent für oberflächen- und bodennahen Abstieg) sehr ähnlich wie in den Obernacher Untersuchungen (50 Prozent bzw. 75 Prozent für oberflächen- bzw. bodennahen Abstieg). Berücksichtigt man diesen Aspekt, der überhaupt erst das patentierte „Konzept Schachtkraftwerk“ von einer beliebigen Kaplanturbine unterscheidet, so resultiert rechnerisch eine identische Mortalität von 2,3 Prozent Schädigung in Bezug auf die Gesamtheit der abwandernden Fische.
Energiebilanz
Markus Poettinger, einer von drei Gesellschaftern des Schachtkraftwerks in Großweil, ging anschließend auf die Bauarbeiten und die Energiebilanz ein. Zehn Jahre haben sie auf die Genehmigung gewartet, dann verzögerten Klagen vom Fischereiverband und Naturschutzverband den Bau-start nochmals um ein Jahr. Zudem mussten sie eine große und eine kleine Fischaufstiegshilfe bauen. Mit den Ergebnissen ist er jetzt aber sehr zufrieden.
Das Schachtkraftwerk in Großweil läuft nun seit zweieinhalb Jahren. Die Jahreserzeugung liegt bei 2,3 Millionen Kilowattstunden. In der Spitze erreicht die Anlage 410 Kilowatt Leistung. „Wir sind glücklich, dass wir es gemacht haben“, resümierte Poettinger. „Das Konstrukt wird sicher noch an vielen Orten die Möglichkeit geben, Wasserkraft sinnvoll zu nutzen.“ Die aktuelle Energiekrise zeige auch die Notwendigkeit für stabil erzeugten, kostengünstigen Strom aus Wasserkraftanlagen.
Von einem zweiten Schachtkraftwerk berichtete Dr. Mathias Fontin. Sein Unternehmen hat im September 2020 begonnen, ein Schachtkraftwerk in Dietenheim an der Iller zu bauen. Im November 2021 ging es in Betrieb. Während des Baus hatten sie mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen. So gab es beispielsweise fünf Extrem-Hochwasser, welche die Baugrube überfluteten. In der Summe hat Fontin rund 2,7 Millionen Euro in das innovative Schachtkraftwerk investiert. Es gab keine Förderung und die Fischaufstiegsanlagen haben sie auf ihre Kosten gebaut. Das Wasserkraftwerk erreicht eine Leistung von 315 Kilowatt. „Nach den üblichen Kinderkrankheiten im Rahmen der Inbetriebnahme sind wir momentan sehr zufrieden“, sagte Fontin. „Wir würden es definitiv noch einmal machen.“ Sein Unternehmen hat noch drei weitere Schachtkraftwerke in Planung. Ein großes Potenzial sieht Fontin auch in anderen Ländern wie Österreich und Skandinavien.
Regionalstromtopf mit Direktvermarktung
Um die regionale Direktvermarktung von regenerativem Strom drehte es sich im Vortrag von Josef Pauli, Geschäftsführer Elektrizitäts-Versorgungs-Genossenschaft Perlesreut eG. Er stellte den Regionalstromtopf der EVG Perlesreut im Bayerischen Wald vor. „Wir wollten uns beim Stromeinkauf aus dem Risiko rausziehen und wir wollten für unsere Kunden einen verträglichen Strompreis schaffen“, erläuterte er die Motivation für das Direktvermarktungsmodell. Seit 2022 kauft der Energieversorger Strom nicht mehr an der Börse, sondern nur noch direkt von Anlagenbetreibern in der Region. Dabei unterscheidet die EVG zwischen Strom aus Bioenergie- und Wasserkraftanlagen, der stabil und planbar erzeugt werden kann, sowie volatil erzeugtem Strom aus Windenergie- und Photovoltaikanlagen, für die Lieferprognosen schwieriger zu erstellen seien.
Die einzige Voraussetzung, um Strom an die EVG Perlesreut zu liefern, ist die Viertel-Stunden-Messung. Dafür müssen eine Lastgangmessung (RLM) oder ein intelligentes Messsystem vorhanden sein. Über den Einbau von Messsystemen entscheidet der Netzbetreiber. Anlagenbetreiber liefern zu einem festen Strompreis, der für ein Jahr festgelegt wird. Für 2023 erhalten sie 16 Cent je Kilowattstunde. Die EVG Perlesreut verkauft den Strom dann für 17,5 Cent je Kilowattstunde an Lieferanten und Kunden. „Pauli lud die Anlagenbetreiber ein, ihren Wasserkraftstrom an die EVG zu liefern: „Wir nehmen jede Kilowattstunde und auch Strom von Anlagen, die die Möglichkeit des Eigenverbrauchs nutzen.“ Von mehreren Teilnehmern wurde dies begrüßt, da sie die Erfahrung gemacht haben, dass Direktvermarkter häufig erst Strom aus Anlagen über 100 Kilowatt Leistung abnehmen. „Unser Ziel ist zu 100 Prozent regenerativ und zu 100 Prozent regional zu jeder Viertelstunde“, betonte Pauli. Seines Wissens nach ist der Regionalstromtopf bisher einmalig in Bayern.
Viele Einflüsse auf Gewässer
Otto Mitterfelner, Vorstand des Landesverbandes Bayerischer Wasserkraftwerke (LVBW), ging in seinem Vortrag auf die diversen Faktoren ein, die Gewässer beeinträchtigen. Von Gegnern der kleinen Wasserkraft würden die Anlagen für den schlechten ökologischen Zustand von Gewässern und die mangelnde Durchgängigkeit verantwortlich gemacht, kritisierte er. Mitterfelner berichtete, dass es 1925 rund 12.000 Wasserkraftanlagen in Bayern gab, zu der Zeit habe es viele Fische und Fischarten gegeben, was für einen guten ökologischen Zustand spricht. Heute gibt es nur noch rund 4.200 Wasserkraftanlagen im Freistaat. Zahlreiche andere Einflüsse würden Gewässer beeinträchtigen, sagte Mitterfelner. Als Beispiele nannte er invasive Arten wie Aale, Regenbogenforellen und Fische, die aus privaten Aquarien in öffentliche Gewässer entsorgt werden, zum Beispiel Goldfische. Außerdem verunreinigten Medikamente aus Kläranlagen, Reinigungsmittel und Spülmaschinentabs sowie Reifenabrieb Gewässer.
Die kleinen Wasserkraftanlagen in Bayern erzeugen CO2-freien Strom und vermeiden klimaschädliche CO2-Emissionen. Darüber hinaus zeichnen sie sich durch die gesicherte Leistung, Bereitstellen von Momentanreserve, das Unterstützen der Netzstabilität und Spannungsqualität sowie teilweise durch Schwarzstartfähigkeit und Inselbetriebsfähigkeit aus.
Zertifizierung in der Nieder- und Mittelspannung
Um die Zertifizierung von Wasserkraftanlagen in der Nieder- und Mittelspannung drehte es sich anschließend in dem Vortrag von Dr. Peter Zimmermann, der das Wasserkraftwerk Heinzenmühle in Oberfranken betreibt. Die Anwendungsrichtlinie VDE-AR-N 4105 fordert für jede Erzeugungsanlage, für die kein Einheitenzertifikat vorliegt, die Zertifizierung durch eine akkreditierte Stelle. Die Norm wurde durch einen „VDE FNN Hinweis“ ergänzt, der für die Zertifizierung ein vereinfachtes Einzelnachweisverfahren beschreibt.
„Wenn man die Leistung um weniger als 10 Prozent verändert, keinen Neubau hat oder keinen Wechselrichter einbaut, braucht man keinen Nachweis im Niederspannungsnetz“, sagte Zimmermann. Bei der Zertifizierung von Anlagen im Mittelspannungsnetz bis 950 kW gibt es ebenfalls ein vereinfachtes Einzelnachweisverfahren durch die Änderung A1 der Anwendungsrichtlinie VDE-AR-N 4110. Die Anforderungen sind höher und die Messungen etwas aufwändiger. „Im Wesentlichen sind es aber die gleichen Kriterien.“
Florian Lugauer und Prof. Dr. Josef Kainz, der eine Professur für Energietechnik an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf am TUMCS hat, nahmen für die Hochschule an dem Wasserkraftseminar teil. Lugauer, wissenschaftlicher Mitarbeiter an dem Lehrstuhl, referierte über die Auswirkungen der aktuellen Entwicklungen am Energiemarkt auf Speichertechnologien am Beispiel eines Kleinstpumpspeichers.
Mehr Solarstrom durch Kleinstpumpspeicher
So präsentierte er zum einen seine Forschungsergebnisse, wie ein Kleinstpumpspeicher auf die Optimierung des Eigenverbrauchs von Solarstrom als eine mögliche Alternative zu Batteriespeichern wirkt, und bezog diese auf die aktuellen Energiepreise. Da Energiespeicherung immer verlustbehaftet ist, habe der Gesamtwirkungsgrad des Speichers einen hohen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit, vor allem bei hohen Spotmarktpreisen, so Lugauer.
Eine weitere Betriebsweise eines Kleinstpumpspeichers wäre, Energie zuzukaufen, wenn der Strompreis mittags niedrig ist, da viel Solarstrom im Netz ist. So könnte Energie eingekauft und gespeichert werden. Bei höheren Strompreisen, zum Beispiel am Morgen oder Abend, könnte er wieder verkauft werden. Dies seien zwei Szenarien, wo Kleinstpumpspeicher wirtschaftlich werden könnten, allerdings sei es aufgrund der langen Amortisationszeiten auch keine „super Wirtschaftlichkeit“, betonte Lugauer. Zudem gibt es nur wenige Standorte für diese Kombination, da zumindest ein Speicherbecken für das Pumpspeicherkraftwerk vorhanden sein müsste.
Regionales Notstromkonzept
Zum Abschluss stellte VWB-Vorsitzender Fritz Schweiger ein von seinem Unternehmen entwickeltes Notstromkonzept vor. Das E-Werk Schweiger in Schwaig/Oberding am Münchner Flughafen ist regionaler Energieversorger und Netzbetreiber zugleich. Der Strom stammt aus vier kleinen Wasserkraftanlagen, die der alteingesessene Familienbetrieb seit vielen Jahrzehnten betreibt.
Als ein Schneechaos im Münsterland Ende 2005 für tagelangen Stromausfall in 25 Gemeinden sorgte, wollte der damalige Bürgermeister der Gemeinde Oberding vorbeugen. Er bat den Energieversorger, ein Notfallprogramm für den Krisenfall zu entwickeln. Die Firma Schweiger entwarf ein Konzept, in dem die vier Wasserkraftanlagen vor Ort mit insgesamt 450 Kilowatt Leistung in die Notstromversorgung eingebunden wurden. Diese waren schon schwarzstart- und inselbetriebsfähig, um einen stets sicheren Betrieb der Schleusen und Rechenreinigung zu gewährleisten und die betriebsinterne Notstromversorgung zu sichern.
Die Gemeindeverwaltung teilte Schweiger mit, welche Einrichtungen zur kritischen Infrastruktur gehören, zum Beispiel Rathäuser, Arztpraxen und Apotheken. Daraufhin gestaltete das E-Werk Schweiger die Netztopologie in der Gemeinde Oberding und der Ortschaft Attaching so, dass die Wasserkraftanlagen die Notstromversorgung für die wichtigen Einrichtungen in relativ kurzer Zeit übernehmen können. Das Notstromkonzept bestand 2006 einen Praxistest mit einem lokalen Unternehmen und ist bis heute einsatzbereit.
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