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(GZ-3-2023)
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► Multi-Win-Situation:

 

Rentables Kommunalprojekt

Wie die Stadt Bad Kissingen stabile Abwassergebühren samt Energie-Autarkie und vollständiger Dekarbonisierung ihrer Kläranlage erreichen will

„Es ist eine Multi-Win-Situation“, sagt Thomas Hornung, der das Referat Tiefbau der Stadt Bad Kissingen leitet. „In kurzen Worten: unser Stadtrat hat einstimmig beschlossen bis zum Jahr 2026 unsere Kläranlage so umzugestalten, dass wir vollkommen CO2-neutral arbeiten können, von Fremdenergie weitgehend unabhängig werden und gleichzeitig eine Stabilisierung der Kosten für die kommenden 20 Jahre erreichen.“

Bad Kissingen geht damit ein Vorzeigeprojekt an, das sich als bahnbrechend für viele Kläranlagen in Deutschland erweisen könnte. Viele Anlagen haben aktuell erhöhten Sanierungsbedarf und überall schlagen die Energiepreise ein tiefes Loch in die Haushaltskassen. Wie sich die Energiepreise weiterhin entwickeln, ist völlig unvorhersehbar. Dies und die Vorbildfunktion der Stadt auf dem Weg des Klimaschutzes waren der Grund, weshalb Bad Kissingen eine ganz neue Ausrichtung ihres Kläranlagenbetriebs suchte. Drei mögliche Einsparungs-Bereiche hat das Referat Tiefbau herausgearbeitet.

Kluge Investitionen

Erstens will die Stadt nun die Wärme des Abwassers durch Wärmepumpen nutzen und mit einem Stromeinsatz von ca. 54.000 kWh pro Jahr einen vierfachen Output an Wärmeerzeugung von 215.000 kWh pro Jahr liefern. Dadurch spart die Kläranlage rund 364 Tonnen CO2 ein.

Zweitens baut die Stadt in der Kläranlage eine Photovoltaik-Anlage samt Batteriespeicher, die jährlich mindestens 620.000 kWh Strom erzeugt und auch dem Bedarf entsprechend speichern bzw. abgeben kann. Hier fallen weitere 160 Tonnen CO2-Emissionen ersatzlos weg.

Drittens ergibt sich die Möglichkeit, Primärenergie (Strom) einzusparen, indem vorhandene Prozesse systematisch angeglichen werden und der Bestand energiereduzierend saniert wird. Das geschieht über Dämmung des Faulbehälters und eine effizientere Maschinentechnik im Rechengebäude. So kommen diese Sanierungen zwar nur auf fünf bis zehn Prozent Energiegewinn – immerhin aber eine Reduktion der CO2-Emission von 17 Tonnen pro Jahr beim Faulbehälter und weitere 25 Tonnen CO2 -Einsparung für das Rechengebäude und die Antriebstechnik.

Zusammen mit einigen kleineren Sanierungsmaßnahmen summiert sich die CO2 -Einsparung auf insgesamt 550 Tonnen – und dabei sind die Gesamt-Treibhausgaswirkungen aus der Vorkette „Erdgasbereitstellung“ noch nicht einmal vollständig berücksichtigt. „Wir sind tatsächlich mit den geplanten Maßnahmen bei einer vollständigen Dekarbonisierung der Anlage angekommen“, sagt Thomas Hornung.

Was den Ingenieur besonders stolz macht: „Wir nutzen alle Ressourcen, die wir auf dem Gelände haben und natürlich alles, was der Kläranlage zugeführt wird. Wir stellen die benötigte Energie selber her, speichern sie optimal und nutzen sie, zu den Zeiten, in denen wir sie auch wirklich brauchen.“ Diese durchgängige Nützlichkeit ist der eigentliche Geniestreich der gesamten Planung.

Zur Verdeutlichung hier der bisherige Kreislauf und der geplante Endzustand.

Bestand

Betriebsmodell Bestand. Graphik: Thomas Hornung
Betriebsmodell Bestand. Graphik: Thomas Hornung

Bisher bezieht die Kläranlage aus dem öffentlichen Netz 165.000 Kubikmeter Erdgas (1.815 MWh) um das Blockheizkraftwerk (BHKW) mit Gaskessel zu betreiben. Die Faulbehälter mit Speicher der Kläranlage liefern zusätzlich 260.000 Kubikmeter Faulgas. Mit dieser Befüllung produziert das BHKW 1.145 MWh Wärme für die Klärprozesse und die Gebäudeheizung und zusätzlich 1.140 MWh Strom, der zusammen mit 213 MWh Strom aus dem Netz in die Anlage fließt (sh. Bild Betriebsmodell Bestand.)

Bei dieser Konstellation gibt es allerdings Überschussproduktion, die einerseits in einen Notkühler des BHKW fließen muss und andererseits im Stromkreislauf mit ca. 128 MWh in das öffentliche Netz zurückgespeist wird. Diese Überschüsse sollen durch die neue Anlage optimiert werden. Der Notkühler wird zukünftig nicht mehr nötig sein und die Einspeisung von Strom in das öffentliche Netz soll um ein Drittel erhöht werden. Außerdem soll der Bezug aus dem Gasnetz vollständig entfallen.

Zukunft

Betriebsmodell Zukunft. Graphik: Thomas Hornung
Betriebsmodell Zukunft. Graphik: Thomas Hornung

Damit das möglich ist, muss die Energieerzeugung und -speicherung aus erneuerbaren Quellen deutlich gesteigert werden. Das sieht dann folgendermaßen aus:

Die Kreisläufe werden dabei etwas komplizierter, jedoch viel effizienter und steuerbarer. Drei wesentliche Veränderungen sind zu beachten: Der Verzicht auf Erdgas wird auf der „Stromseite“ kompensiert, in dem die Photovoltaik jährlich 620 MWh Strom in den Kreislauf einbringt. Auf der „Wärmeseite“ wird mit der Restwärme des gereinigten Abwassers über die Wärmepumpe mit nur 54 MWh Strom die Prozess- und Gebäudewärme zur Verfügung gestellt. Durch die Energiespeicherung (Batterie und Faulgasbehälter) und die Entkopplung der Wärme- und Stromerzeugung (Photovoltaik, Wärmepumpe, Blockheizkraftwerk) kann die Energieerzeugung dem Energiebedarf sehr genau angepasst werden (sh. Bild Betriebsmodell Zukunft.).

Tatsächlich sinkt der Bezug von Strom aus dem öffentlichen Netz um ein Viertel, während gleichzeitig 33 Prozent mehr Strom als bisher dorthin eingespeist wird.

Die Jahresbilanzen sind eindeutig

  • Der Energiebedarf sinkt im Vergleich um über ein Drittel
  • Der CO2-Ausstoß wird sogar „negativ“, da zusätzlich zum Null-Emissionsbetrieb eine Verringerung des Strombezugs aus dem öffentlichen Netz erreicht wird
  • Die Kosten reduzieren sich um fast die Hälfte, während gleichzeitig die Einnahmen durch Stromnetzeinspeisung deutlich steigen

„Das `Perpetuum Mobile´ ist uns zwar nicht gelungen, aber wir sind sehr nahe dran“, meint Oberbürgermeister Dirk Vogel. „Und wir sind wirklich überzeugt von dieser Lösung, denn der laufende Betrieb der Klärprozesse wird während der Umbaumaßnahmen nicht gestört. Letztendlich führt der Umbau unserer Kläranlage nicht nur zu einer vollständigen Dekarbonisierung. Wir haben aufgrund des Verzichts auf Erdgas zusätzlich eine erhöhte Planungssicherheit bezüglich des Energiepreises für die kommenden 20 Jahre. Dies wiederum stabilisiert die Abwassergebühren, was allen Bürgern zugutekommt.“

Terminhinweis für den 15. März 2023 - GZ-Akademie: Rentabler Umbau von Kläranlagen - Ein Best-Practise-Beispiel

ggb

 

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