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(GZ-15/16-2024 - 1. August)
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► Extremwettersituationen:

 

Lehre und Hausaufgaben für das nächste Hochwasser

 

„Katastrophen kennt allein der Mensch, … die Natur kennt keine Katastrophen“, schrieb der schweizerische Schriftsteller Max Frisch in seiner Erzählung „Der Mensch erscheint im Holozän“ über einen Rentner, der nach einem Unwetter in einem Tessiner Bergdorf von der Außenwelt abgeschnitten wird. Nach dem sechsten Bericht des Weltklimarates (IPCC) wird die Anzahl an Extremwetterereignissen zukünftig weiter zunehmen. Es braucht dringend ein Umdenken beim Thema Hochwasser- und Starkregenvorsorge.

Städte und Kommunen müssen sich immer häufiger auf Extremwettersituationen einstellen. Der Katastrophenschutz obliegt in Deutschland nicht dem Bund, sondern den Gemeinden, Landkreisen und kreisfreien Städte. Sie sind die so genannten unteren Katastrophenschutzbehörden. Städte und Gemeinden sind Schlüsselakteure, weil sie bereits heute durch eine hochwasserangepasste Steuerung der Flächennutzung und der Infrastruktur- und Siedlungsentwicklung die notwendigen Rückhalteräume für das Wasser vergrößern.

Echtzeit-Prognose

Die Länder können lediglich nach Art. 35 GG zusätzliche Unterstützung von Bundeswehr, Polizei oder THW zusätzliche Hilfe anfordern. Beim Katastrophenschutz muss also Solidarität und Subsidiarität in Einklang gebracht werden, zumal Hochwasser selten an der Landesgrenze wieder versickert. Daher braucht es in Zukunft eine länderübergreifende Koordinierung in Flusseinzugsgebieten unter Einbeziehung der betroffenen Städte und Kommunen. So wäre ein gemeinsames Hochwasserschutzkonzept und die Erstellung einer interaktiven Hochwasser- und Starkregengefahrenkarte sinnvoll, die helfen könnte, grundstücksgenau die Fließwege des Wassers bei Hochwasser zu simulieren. Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und das Geoforschungsforschungszentrum Potsdam (GFZ) entwickeln gerade eine genauere und schnellere Hochwasservorhersage, um Überflutungsflächen besser vorherzusagen. Dieser digitale Helfer soll nicht nur in einer Echtzeit-Prognose die Regenmenge abschätzen, sondern auch die Ausbreitung des Wassers simulieren. Neben der Wetterlage fließen Bodenfeuchte, das Terrain und Dichte der Bebauung in die Simulation ein. Das digitale Frühwarnsystem wird nun im Sommer 2024 an den kleinen Flüssen Murr und Fils (Baden-Württemberg) – ein Zu- und Nebenfluss des Neckars – in Echtzeit getestet. Beide Flüsse traten ebenfalls Anfang Juni beim Hochwasser in Süddeutschland über die Ufer.

Die Hausaufgaben für den Bevölkerungs- und Katastrophenschutz sind vielfältig. So braucht es Schulungen von Mitarbeitern in Kommunen und Einsatzkräften in Meteorologie und Hydrologie, um die Hochwasservorhersagen in Zukunft noch besser für den eigenen Landkreis interpretieren zu können. Viele Verantwortliche hätten Probleme Pegelstände und Regenmassen korrekt einzuschätzen. Zu diesem Ergebnis kam der Versicherer Zurich in seiner Post-Event-Review-Capability (PERC)-Ereignisanalyse des Ahrntal-Hochwassers bereits im Jahr 2022.

Ruf nach zukunftsgerichteter Finanzierung

Aus den Erfahrungen des Hochwassers im Juni 2024 sollten alle politischen Ebenen nun die richtigen Lehren ziehen und gemeinsam mehr Tempo beim dezentralen Hochwasserschutz machen. Gerda Hasselfeldt, Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes, fordert in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen Zeitung im Juni 2024: „Es braucht eine Zeitenwende, insbesondere, was die nachhaltige und zukunftsgerichtete Finanzierung des Bevölkerungsschutzes angeht.“

Professionelle und ehrenamtliche Einsatzkräfte benötigen die beste Ausstattung und Infrastruktur. Bund und Länder müssen die Mittel für den Hochwasser- und Katastrophenschutz ausbauen und zwar dauerhaft und nicht, wie in den Vorjahren, zumeist über Sonderprogramme. Denn die Anforderungen steigen aufgrund des Klimawandels, dem knappe Haushaltskassen egal sind.

140 Millionen mehr

Mitte Juli wurde vom Bundeskabinett der Haushalt 2025 auf den Weg gebracht. Demnach sind für den Bevölkerungs- und Katastrophenschutz insgesamt 140 Millionen Euro mehr als 2024 eingeplant. Aktuell sieht die Realität bei den ehrenamtlichen Helfern vor Ort folgendermaßen aus: Dem THW werden seit Jahren zwar neue Fahrzeuge zugesagt. Nur in der Praxis fehlen diese. Der neue Entwurf lässt zumindest hoffen, dass sich dies ändert. Alleine für das THW mit seinen 668 Ortsverbänden sind über 88.000 Ehrenamtliche tätig. Für den Erwerb von Fahrzeugen, Technologie und Geräten sind Soll-Ausgaben für das Jahr 2025 in Höhe von 416, 9 Millionen Euro eingeplant. Damit ist die Höhe der Ausgaben vergleichbar mit den Jahren 2023 (428, 7 Mio. Euro) und 2024 (401,6 Mio. Euro). Nicht mehr zur Verfügung stehen dem THW und der DLRG Finanzmittel aus dem EU-Modul 17 – Flood Rescue using boats, die zur Bergungs- und Rettungseinsätzen bei Überschwemmungen im Ausland eingesetzt wurden – in Höhe von 425.000 Euro.

Kritiker fordern seit längerem, dass die bayerische Landespolitik mehr Prävention und proaktives Handeln beim Katastrophen- und Bevölkerungsschutz an den Tag legen soll als abwartendes Reagieren unter dem Motto: Es wird schon nichts passieren.

Wassersicherheit 2025

In Bayern ist seit 2022 die Gesamtstrategie „Wassersicherheit 2025“ des Bayerischen Staatsministerium für Umwelt in Kraft, in dem auch der Hochwasserschutz thematisiert wird. Das Ziel ist die Reduktion der Risiken durch Hochwasser- und Starkregenereignisse. Bestandteile dieser Strategie sind technische Maßnahmen wie etwa der Ausbau der Hochwasserschutzanlagen, die Anpassung der Hochwassergefahrenkarten sowie der Hochwasser-Check für Kommunen. Den Kommunen sollen weitere Handlungsspielräume für einen flächendeckenden Schutz vor 100-jährlichen Hochwassern eröffnet werden. Hierfür sollen bis jetzt geltende Rahmenbedingungen geprüft und notwendige Gesetzesänderungen in Angriff genommen werden.

Beim Hochwasserrisikomanagement gibt es im Freistaat verschiedene Akteure: Städte und Gemeinde planen und verwirklichen Hochwasserschutzkonzepte. Sie berücksichtigen den Hochwasserschutz bei der kommunalen Bauleitplanung (Freihalten von Überschwemmungsgebieten) und sorgen mit den Feuerwehren für die Gefahrenabwehr. Bei größeren Gewässern setzt die Wasserwirtschaftsverwaltung – sie gibt auch Hochwassermeldungen heraus – in Abstimmung mit den Kommunen und Gemeinden Hochwasserschutzkonzepte um. Nach den Hochwasserereignissen im Juni 2024 verlangt der Bayerische Gemeindetag jedoch eine neue Strategie von Seiten des Freistaates. Denn derzeit tragen vor allem die Gemeinden den Löwenanteil. Hier bräuchte es eine Vereinbarung der Mitfinanzierung von Schutzmaßnahmen durch den Freistaat.

Neben der Schaffung von Rückhalteräume ist auch ein konsequenter Ausbau des technischen Hochwasserschutzes wie Deiche, Spundwände, mobile Hochwasserschutzmaßnahmen und steuerbare Polder für die Regionen unbedingt notwendig. Der Wasserrückhalt an Flüssen muss durch steuerbare Flutpolder, die anlassbezogen geöffnet werden können, um Hochwasserspitzen zu kappen, ausgebaut werden. Neben der Reaktivierung von Auen – wichtigster Rückhalteraum von Wasser – sind Polder, so die einhellige Meinung der Wissenschaftler, die effektivste Maßnahme. Diese und weitere Lösungen stehen im Positionspapier „Schutz vor Hochwasser“ des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB) aus dem Juli 2023.

HQ 100 keine verlässliche Größe

Doch bei Hochwasserpolder und planfestgestellten Hochwasserrückhalte-Becken stehen Parteipolitik, der Föderalismus oder die Bürokratie im Freistaat, die bei Wassermassen entlasten könnten, immer wieder im Weg. In Bayern kann von der Planung bis zum Bau von Rückhaltebecken schon einmal 20 Jahre vergehen. Daher müsste die Voraussetzung geschaffen werden, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Aufgrund komplexer Genehmigungs- und auch Klageverfahren gegen Bauvorhaben sind bauliche Maßnahmen in überschwemmungsgefährdeten Gebieten nur schwer umzusetzen. So wäre zu überlegen, ob Maßnahmen, die dem Klimaschutz oder dem Wiederaufbau nach Naturkatastrophen dienen, von der naturschutzrechtlichen Ausgleichsregelung freigestellt werden. Des Weiteren könnte das Klageverfahren gegen Infrastrukturvorhaben auf eine gerichtliche Instanz beschränkt werden.

Auch sollte die Bayerische Landesregierung bei dem dezentralen Hochwasserschutz nachbessern und ihren Maßstab von Hochwasserrückhaltebecken überarbeiten. Bis jetzt gilt der statistische Wert für ein hundertjährliches Hochwasser, in der Fachsprache HQ 100 genannt. Doch aufgrund des Klimawandels stellt HQ 100 zur Bemessung von Hochwasserrückhaltebecken keine verlässliche Größe mehr dar.

Ein Problem für den Hochwasserschutz ist der kontinuierliche Anstieg der Bodenversiegelung des Freistaates. Mit Beton, Asphalt oder Pflastersteinen luftdicht überdeckter Flächen, können die Böden kein Regenwasser mehr aufnehmen oder speichern. Nach einer Studie der Julius-Maximilians-Universität (Würzburg) aus dem Jahr 2023 sind fast die Hälfte (47,2 Prozent) der bayerischen Landesfläche mit Straßen, Häusern und Industrieanlagen versiegelt. Der Wegfall der Flächen ist nicht nur für die Landwirtschaft existenzbedrohend, sondern die Versiegelung bringt eine Reihe an Umweltproblemen mit sich. Im Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freien Wähler für die Legislatur 2023 bis 2028 steht, dass bis 2030 nur noch ein Flächenverbrauch von 5 Hektar pro Tag angestrebt wird. Von dieser bereits im Vertrag der ersten Koalition (2018) zwischen CSU / FW festgelegten Zielmarke hinsichtlich einer deutlichen und dauerhaften Flächen-Neuinanspruchnahme ist der Freistaat aktuell – laut Bayerischen Landesamt für Statistik lag der Flächenverbrauch (2022) bei 12,2 Hektar oder 17 Fußballfeldern – weit entfernt.

Auch sollte die Landespolitik gemeinsam mit Sozialverbänden im Sinne einer inklusiven Katastrophenversorgung Schutzkonzepte für Menschen mit Handicap oder ältere Menschen erarbeiten. Solche Rettungspläne gibt es noch nicht, um Altenheime oder Wohnheime von Menschen mit Handicap schneller zu räumen – so fehlt es schlicht an Personal, um eine Evakuierung der Bewohner gewährleisten zu können.

Denn das Hochwasser hat mal wieder gezeigt: Kluge auf Papier niedergeschriebene Pläne, die in irgendwelchen Aktenordnern der Behörden abgeheftet sind, nutzen niemandem, wenn die Wassermassen kommen. Es braucht also mehr politischen Hochdruck, um beim nächsten meteorologischen Tiefdruck besser vorbereitet zu sein.

Patrik Hof

 

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