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(GZ-24-2024 - 19. Dezember)
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► Vollumfängliche Teilhabe:

 

Digital ja, aber nicht nur

Nach wie vor bieten Kommunen in Bayern fast alle Dienstleistungen auch analog an

 

Es ist einfach und es ist bequem, eine Webadresse aufzurufen und sich hier zu informieren, hier einzukaufen, hier Bankgeschäfte zu erledigen. Auch Verwaltungen nutzen das Internet zunehmend. Das erleichtert das Leben vieler Bürger. Doch es droht auch die Gefahr, dass Menschen, die mit den digitalen Abläufen nicht mehr Schritt halten, abgehängt und diskriminiert werden. „Ich sehe das an meinem 84-jährigen Vater”, warnt André Goldfuß-Wolf, technischer Geschäftsführer der Stadtwerke Weißenburg.

André Goldfuß-Wolf ist überzeugt, dass sich Kommunen dringend mit dem Problem befassen müssen, dass ältere Menschen, kognitiv bedingt, „aus den digitalen Anwendungen rausgedrängt“ werden. In einer zunehmend digital geprägten Welt würden immer mehr Senioren faktisch der Zugang zu vielen Abläufen des täglichen Lebens verwehrt oder zumindest unnötig verkompliziert. „Das ist ungerecht!”, so der Weißenburger. In der „Hybris der universellen Digitalisierung“ dürfe man das Anrecht auf ein selbstbestimmtes Leben und auf einen diskriminierungsfreien Zugang für körperlich oder kognitiv eingeschränkte Menschen nicht aus den Augen verlieren.

Bereits vor vier Jahren sah das die damalige Familienministerin Franziska Giffey allerdings schon ein bisschen anders. Ihr Fokus lag auf der digitalen Bildung von Senioren. „Die Digitalisierung birgt gerade auch für ältere Menschen ein riesiges Potenzial, das wir noch viel stärker ausschöpfen müssen“, erklärte sie, als sie den achten Altersbericht „Ältere Menschen und Digitalisierung“ vorstellte. Nun macht es sicherlich Sinn, auch ältere Bürger digital zu bilden. Gleichzeitig müsse es aber auch ein bedingungsloses „Recht auf ein analoges Leben ohne strukturelle Nachteile“ geben, fordert der Verein „Digitalcourage“.

In der Musik zeigt der Weg von der Schallplatte über die Compact Disc bis hin zu heutigen Streaming-Diensten wie Spotify, dass die technische Entwicklung nicht aufzuhalten ist. Nur noch Liebhaber sammeln heute Platten. Kein Jugendlicher sitzt mehr mit dem Walkman im Bus. Auch in anderen Feldern wird das Analoge zunehmend vom Digitalen aufgefressen. „In einer kommunalen Verwaltung können die analogen Angebote jedoch nicht von heute auf morgen zurückgefahren werden“, beruhigt Magdalena Stimpfle von der Pressestelle der Stadt Nördlingen. Dort gibt es seit etwa zehn Jahren ein Bürgerserviceportal, über das Leistungen der Verwaltung digital verfügbar sind.

Bloß mit Unterschrift

Dass es vor allem in der älteren Bevölkerung ein Defizit an digitalen Kompetenzen gibt, ist der Nördlinger Stadtverwaltung bewusst. Dies werde bei der kommunalen Strategie berücksichtigt, versichert Stimpfle. Alle Dienste, die digital verfügbar sind und auch einen Nutzen versprechen, würden ins Bürger-Serviceportal eingebunden. „Wir folgen hier weniger politischen Schlagworten wie ‘Digital-Only’ oder ‘Digital-First’.” Beides habe in Nördlingen keine Priorität, da alle Services auch analog angeboten würden. Für viele wichtige Leistungen gebe es auch noch keine digitale Alternative. Etwa, weil es von Gesetzes wegen eigenhändige Unterschriften oder das persönliche Erscheinen braucht.

Welch ein beklemmendes Gefühl das ist, ohne digitale Kompetenzen dem Computer „ausgeliefert” zu sein, kann sich jeder, der kein „digital native” ist, unschwer vorstellen. Doch offensichtlich wird das Analoge auch von Bürgern, die versiert mit dem Internet umgehen können, weiterhin oft vorgezogen. Zumal, wenn es um Behördenangelegenheiten geht. In Nördlingen jedenfalls werden die digitalen Angebote aktuell nur zu 10 bis 20 Prozent genutzt. Viele Bürger, heißt es von der Pressestelle, suchten den persönlichen Kontakt. Vor allem dann, wenn die Anliegen etwas komplexer sind.

Auch in Nürnberg wird kein Bürger, der sich digital nicht zu helfen weiß, im Regen stehen gelassen, versichert der städtische IT-Referent Thorsten Brehm: „Wir handeln im Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern ‚digilog‘, wie unser Oberbürgermeister gerne sagt, genauer gesagt: Digital first, but not only.“ Dies bedeute zunächst, dass alle Online-Angebote möglichst nutzerfreundlich umgesetzt würden:

„Zudem wird es immer auch Mischangebote und analoge Leistungen geben.“ Um Offlinern eine Möglichkeit zur Terminvereinbarung jenseits des klassischen Telefons zu geben, soll demnächst ein telefonisches Angebot mittels Voicebots eingeführt werden.

Unmöglicher Rückzug

Vollumfängliche Teilhabe an kommunalen Bürgerangeboten müsse gewährleistet sein, betont Brehm. Gerade bei den klassischen Behördenangelegenheiten sei ein Rückzug ins rein Digitale rechtlich auch gar nicht möglich. Ein analoges Angebot sei zwingend vorzuhalten: „Und diesem Auftrag kommen wir nach.“

In der Stadt Aschaffenburg ist der Weg hin zu einer immer digitaleren Bürgerkommunikation sehr einfallsreich angelegt. „Wir haben zum Beispiel analoge Sprechstunden und Beratungsangebote im Digitalladen, um sich vor Ort unterstützen zu lassen“, so Pressesprecherin Carla Diehl. Durch eine Multikanal-Kommunikationsstrategie werde den Bürgern die Digitalisierung erklärt: „Und zwar in Form von Social-Media-Kanälen, Blogbeiträgen, Printmedien wie Flyer und einer Zeitung, die an alle Haushalte verteilt wird, sowie eines regelmäßig erscheinenden Newsletters.“ Pressemitteilungen würden mit Hilfe von KI in Leichte Sprache übersetzt.

Regensburg formuliert Manko

Auch wenn sich die Digitalisierung ebenso wenig wie die Industrialisierung aufhalten lässt: Sie muss geregelt werden. Darauf verweist die Stadt Regensburg, denn sie sieht hier ein großes Manko. „Eine Rechtsgrundlage gibt es allgemein nur in wenigen Fällen“, so Pressesprecherin Juliane von Roenne-Styra. So existiere die Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung von Daten nach dem Einkommenssteuergesetz bei bestimmten Veranlagungsfällen an die Finanzbehörden. „Für den kommunalen Bereich sind uns keine solchen Rechtsgrundlagen bekannt“, sagt sie. Die Stadt Regensburg bietet bisher alle hoheitlichen Dienstleistungen prinzipiell auch analog an.

Die Bürger von Gauting schätzen es, dass sie nicht mehr jedes Anliegen vor Ort auf dem Rathaus regeln müssen, sagt Charlotte Jans, Pressesprecherin der Gemeinde. Für sein digitales Engagement sei Gauting als „Digitales Amt“ ausgezeichnet worden. Viele Dienstleistungen wie Terminvereinbarungen oder Anträge seien online über das Bürgerservice-Portal verfügbar: „Dabei verfolgen wir jedoch keinen reinen ‚digital first‘-Ansatz, sondern einen hybriden Weg.“ Großen Wert werde auf eine intuitive Gestaltung der digitalen Angebote gelegt: „Unsere App ist beispielsweise durch eine Kacheloptik mit eingängigen Piktogrammen übersichtlich und einfach strukturiert.”

Die Gemeinde will weiterhin ein offenes Ohr für alle Bürger haben, auch für jene, die sich aus Gründen des Alters, der Gesundheit oder aufgrund eines bewussten Entschlusses gegen das Digitale entschieden. „Während der Öffnungszeiten versuchen wir immer, ausreichend Kapazitäten für den Präsenzservice im Rathaus zur Verfügung zu stellen”, so Jans. Es sei weiterhin möglich, Termine telefonisch zu vereinbaren: „Die meisten Termine werden jedoch über unser Online-Portal gebucht.” Ins Einwohnermeldeamt könne man während der Öffnungszeiten unangemeldet kommen: „Dann muss man aber mit Wartezeiten rechnen.

Beispiel Ingolstadt

Noch kommt es also überall in Bayern zur Überschneidung von analogen und digitalen Angeboten. Allerdings mit unterschiedlicher Ausprägung. Ingolstadt zum Beispiel kann sich für den Gedanken „digital first“ durchaus erwärmen. „Das bedeutet, dass der digitale Weg derjenige ist, der dem suchenden Bürger zuerst angeboten wird“, so Pressesprecherin Sabine Gooss. Sucht jemand einen Antrag auf der Website der Stadt, für den es ein Onlineverfahren gibt, finde er einen Link zu einem online absendbaren Antrag: „Statt eines Dokuments zum Ausdrucken.“ Die Stadt begrüßt es ausdrücklich, wenn Bürger „ohne eigene Präferenz“ den digitalen Weg wählen.

Aber natürlich wird auch an die gedacht, die sich bisher vergeblich um digitale Kompetenz bemüht haben. Oder die das gar nicht erst tun wollen. „Vor-Ort-Termine sind nach wie vor möglich und werden auch in Zukunft möglich sein“, versichert die Pressestelle. Es werde auch immer Angelegenheiten geben, in denen der direkte Austausch und die persönliche Beratung unerlässlich bleiben: „Digitalisierung bei einfacheren Vorgängen kann helfen, für solche Fälle Kapazitäten freizuhaben.“ Doch auch, wenn ein komplexer Erstantrag persönlich gestellt wird, könne der simplere jährliche Weiterbewilligungsantrag direkt in der Beratung vorgestellt werden.

Immer weniger Kontakt

Dass man ganz schön ins Schleudern kommen kann, wenn man digital nicht fit ist, das erfährt Michaela Monno-Linde, Fachberaterin für pflegende Angehörige bei der Caritas im Landkreis Main-Spessart immer wieder. Die zunehmende Digitalisierung hat für sie allerdings noch mal eine ganz andere Komponente: Sie ist nach ihrer Überzeugung nicht gut für das soziale Zusammenleben. „Gerade für ältere Menschen ist der persönliche Kontakt beim Einkaufen, bei Bankgeschäften und auch bei Behördenangelegenheiten wichtig”, sagt sie.

So gut es für die alleinerziehende Teilzeitbeschäftigte mit zwei Kindern sein mag, dass sie ihre wenige Zeit nicht auch noch dafür verwenden muss, aufs Rathaus zu gehen: Für einen großen Teil der Bürger bringt die Digitalisierung Nachteile mit sich. Sie gehe mit einem Wegfall persönlicher Ansprache einher, unterstreicht Monno-Linde. Das sei nicht zuletzt im ländlichen Raum gar nicht gut: „Denn hier gibt es oft keine Gaststätte, kein Wirtshaus mehr, in dem sich Menschen treffen könnten.” Gleichzeitig verliere der Kirchenbesuch und das Treffen von Gemeindemitgliedern an Bedeutung: „Vereine klagen über Mitgliederschwund oder müssen komplett aufgeben.“

Pat Christ

 

 

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