Fachthemazurück

(GZ-3-2025 - 30. Januar)
gz fachthema

► Hohe Kosten für das Abwassermonitoring auf Viren stoßen zum Teil auf Kritik:

 

Auch RSV soll erfasst werden

 

Längst ist Corona keine kaum einschätzbare Gefahr mehr. Doch wer weiß, was noch geschieht. Wir müssen, heißt es, darauf eingestellt sein, dass eine neue Pandemie kommt. Wir müssen vorbeugen. Das geschieht zunehmend über das Abwasser. Dort befindet sich, wenngleich in geringen Mengen, genetische Information von Krankheitserregern. Über Abwassermonitoring in bayerischen Kläranlagen werden Infektionslasten qualitativ erfasst.

Es steht außer Frage, dass man eine Situation nur dann richtig einschätzen kann, wenn man Daten hat. Bei der Datenerhebung wiederum gilt es, auf ein adäquates Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen zu achten. Das Abwassermonitoring auf Erreger verschlingt Millionen. Und damit Geld, das zum Beispiel im Gesundheitssystem fehlt. Verwunderlich ist aber auch, sagt der Münchner Immunologe Peter Schleicher, dass einerseits so viel Geld dafür ausgegeben wird, Erreger zu identifizieren. Andererseits flössen kaum Mittel in die Aufklärung darüber, was jeder zur Stärkung seines Immunsystems tun kann.

Die sei aber wichtig, da es kein direktes Therapeutikum gegen Viren gebe: „Nur ein intaktes Immunsystem kann Bakterien, Viren und Pilze kontrollieren.“ Gestärkt werden könne das Immunsystem zum Beispiel dadurch, dass darauf geachtet wird, möglichst wenig Schwermetalle und Hormone zu sich zu nehmen sowie Alkohol und Nikotin zu reduzieren. Weiter gebe es Medikamente wie Ivermectin, die das Eindringen des Virus in die Zelle verhindern. Der Münchner Arzt würde sich wünschen, dass die Politik mehr Geld in die Hand nimmt, um dieses Wissen zu verbreiten. Statt derart stark auf Abwassermonitoring zu setzen.

Bay-VOC nennt sich das Projekt, durch das der Freistaat Abwassermonitoring unter andrem auf Fragmente von SARS-CoV-2-Varianten sowie Influenza A- und B-Viren fördert. In Bay-VOC fließen Gelder aus Bayern sowie vom Bund. Letzterer lässt SARS-CoV-2, Influenza- und Polioerreger im Abwasser durch das bis Ende 2025 laufende Projekt AMELAG (Abwassermonitoring für die epidemiologische Lagebewertung) überwachen. Ziel ist es, SARS-CoV-2 in bis zu 175 Kläranlagen aufzuspüren. Außerdem soll die Überwachung sukzessive auf andere Erreger ausgeweitet werden.

Nicht direkt vergleichbar

Die beteiligten Kläranlagen lassen ihr Abwasser zweimal wöchentlich molekular untersuchen. Das Ganze ist kompliziert. Da jedes Abwasser anders ist, lassen sich die Viruslasten absolut nicht vergleichen. Für jeden Standort werden deshalb „relative Genkopien“ errechnet. Im Januar 2024 lag dieser Wert im Münchner Abwasser bei 70. Im April sank er gegen Null. Mit fast 87 erreichte er am 9. Oktober einen Spitzenwert.

Auch in Erlangen werden Erreger im Abwasser aufgespürt. Laut Jörg Holzapfel vom städtischen Entwässerungsbetrieb begann das Monitoring auf SARS-CoV-2 am 5. Dezember 2022. Auch hier gab es im Oktober 2024 einen Peak mit einem Wert von über 70. Die jüngste Einzelmessung lag bei unter zehn.

Am 27. November 2023 begannen die Messungen auf Influenza. „Es wird eine automatisierte 24-Stunden-Mischprobe vom Gesamtzulauf entnommen“, erklärt Jörg Holzapfel. Rund eineinhalb Stunden Arbeitsaufwand falle für das Monitoring an: „Die Kosten werden vergütet.“ Analysiert würden die Proben beim Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Dort wird die Erbinformation der Erreger extrahiert. Mittels Polymerase-Kettenreaktion werden die Virusgenfragmente quantitativ erfasst.
Nicht alle machen mit

Nicht jede Kommune, die das gerne möchte, ist ins Monitoring einbezogen. Günzburg zum Beispiel nicht. „Wir hätte ein Monitoring für uns gut gefunden, da damit frühzeitig die Ausbreitung von Erregern erkannt werden hätte können“, sagt Roland Baumgärtner von den Stadtwerken. Er vermutet, Günzburg wurde nicht einbezogen, weil die Kommune zu klein ist: „Bei uns sind nur rund 25.000 Einwohner angeschlossen.“ Den Mehraufwand hätte er nicht gescheut: „Abwasserproben werden sowieso regelmäßig gezogen.“ Auch in Würzburg, teilt Peter Stadtmüller vom Entwässerungsbetrieb mit, gibt es noch kein Abwassermonitoring auf Erreger.

Im Gegensatz zu Roland Baumgärtner ist Veronika Völker vom Amperverband in Olching froh, dass sie kein Monitoring auf Viren machen muss. Sie fragt sich, ob die enormen Kosten in einem guten Verhältnis zum Output stehen. Nach dem, was sie in Erfahrung gebracht hat, kostet eine einzige Analyse zwischen 150 und 250 Euro.

Und was bedeutet es eigentlich und was wird es womöglich künftig bedeuten, wenn irgendwo eine hohe Virenlast oder ein besonderer Erreger entdeckt wird? In München zum Beispiel wurden unlängst als weitgehend ausgerottet erklärten Erreger von Kinderlähmung nachgewiesen. Zu vermuten steht, dass die von Polio-Schluckimpfungen im Ausland kommen. Das Robert-Koch-Institut (RKI) nahm die Entdeckung dennoch ernst. Durch die weiträumig zirkulierenden Viren, wurde verkündet, könnten Erkrankungen nicht ausgeschlossen werden.

An 30 Standorten

Aktuell werden in Bayern Daten von 30 Standorten genutzt. Überwacht wird das Abwasser in Altötting, Berchtesgaden, Bad Reichenhall, Piding, Teisendorf, Freilassing, Ebersberg, Grafing, Glonn, Freising, Ingolstadt, München, Starnberg, Passau, Straubing, Regensburg, Weiden, Bayreuth, Erlangen und Nürnberg. Außerdem sind Hof, Aschaffenburg, Schweinfurt, Augsburg, Stadtbergen, Königsbrunn, Schwabmünchen, Zusmarshausen, Kempten und Neu-Ulm einbezogen. Mehr als zwei Millionen Euro fließen seitens des Freistaats in das Projekt. Damit sind etwa ein Viertel der Gesamtkosten gedeckt. Den Rest schießt der Bund zu.

Wobei damit noch längst nicht alle Kosten gedeckt sind. Ganz unterschiedliche Akteure mit jeweils reichlich Manpower machen beim Monitoring mit. Dazu gehören das Bundesgesundheits- und das Bundesumweltministerium. Aber auch der Sanitätsdienst der Bundeswehr ist integriert. Neben Kläranlagenbetreibern beteiligen sich außerdem die Gesundheits- und Abwasserbehörden von 16 Bundesländern, Labore, Logistikunternehmen, Forschungseinrichtungen und Universitäten.

Experten im Umweltbundesamt entwickeln fortlaufend weitere Methoden zum Nachweis von Infektionserregern. So befinden sich Verfahren zur Identifizierung für respiratorische und gastrointestinale Erreger in der Pipeline. Künftig soll auch das  Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) im Abwasser nachgewiesen werden können.

Bald Routine?

Möglicherweise könnte in naher Zukunft ein mehrstufiger Screening-Prozess Routine werden. Ziel ist es, unterschiedliche Überwachungssysteme zusammenzuführen, um die jeweils aktuelle Lage epidemiologisch bewerten zu können. Je nach Resultat sollen „Maßnahmen für den Gesundheitsschutz“ abgeleitet werden.

Abwassermonitoring an sich ist nichts Neues. In den 1940er Jahren wurden erstmals Viren im Abwasser nachgewiesen. Seit den 1990er Jahren gehört der Nachweis von Chemikalien- und Schadstoffeinträgen zur Routine in Kläranlagen. Vor rund 25 Jahren begann das Screening auf illegale Drogen.

Die Aussagekraft ist laut dem Virologe Oliver Keppler, Vorstand des Münchner Max von Pettenkofer Instituts, das Laboruntersuchungen zu Infektionskrankheiten durchführt, zu relativieren. Auch wenn viele Virenfragmente im Abwasser gefunden werden, heiße das nicht, dass viele Menschen schwer krank wären. Man könne auch nicht rückschließen, wie viele Menschen mit dem jeweiligen Virus infiziert sind. Unbekannt sei weiter, wo sich Virenträger befinden und von wo aus also die Infektion übertragen werden kann.

Tausende neuer Viren

Am Berliner Max Delbrück Center treibt die Arbeitsgruppe „RNA-Biologie und posttranskriptionale Regulation“ von Markus Landthaler das Abwassermonitoring voran. Über 17 Monate hinweg wurde das Berliner Abwasser auf die Ausbreitung von Krankheitserregern hin untersucht. Dabei wurden Tausende neuer Viren entdeckt.

EU-weit soll das Abwasser stärker überwacht werden. Jeder Mitgliedstaat muss bis Herbst 2027 ein nationales Abwasserüberwachungssystem eingerichtet haben. Zweimal im Monat soll damit das Abwasser von Großstädten ab 150.000 Einwohnern auf SARS-CoV-2 analysiert werden. Die Ergebnisse sind an eine europäische Austauschplattform zu übermitteln.

Die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) begrüßt dies. Das wird verständlich, hält man sich vor Augen, dass es sich um eine Interessensvereinigung der Wasserwirtschaft handelt. Sie setzt sich nach eigenen Angaben aktuell für rund 14.000 Mitglieder aus den Bereichen Wasserwirtschaft und Abfallwirtschaft ein. Die Mitglieder aus dem Bereich „Wasserwirtschaft“ könnten von einem staatlich subventionierte Abwassermonitoring durchaus profitieren.

„Die meisten Menschen lassen sich erst nach dem Auftreten von Symptomen auf SARS-CoV-2 testen“, wird dazu in den 2023 veröffentlichten Leitlinien zur Entwicklung und Durchführung eines Abwasserüberwachungsprogramms für SARS-CoV-2 ausgeführt. Nachdem jedoch das Virus ausgeschieden werde, bevor erste Symptome auftreten, könne durch das Monitoring wertvolle Zeit gewonnen werden. Der DWA geht von einem Zeitvorsprung von bis zu sieben Tagen im Vergleich zu Daten aus klinischen Tests aus.

Schnellere Evaluation

„Dieser Zeitgewinn ist im Falle eines ansteigenden Trends von großem Nutzen, um die Bevölkerung aufzuklären, die Testkapazitäten zu erhöhen und die Krankenhäuser vorzubereiten oder weitergehende Maßnahmen zu ergreifen“, heißt es in den Leitlinien. Durch „gute Kommunikation“ könne die Bevölkerung früh für eine höhere Testfrequenz, Kontaktbeschränkungen und Hygienestrategien sensibilisiert werden. Das Überwachungssystem biete außerdem die Möglichkeit, zeitnah den Effekt von Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheitsausbreitung zu evaluieren.

Da sich auch ein absinkender Trend frühzeitiger abbilden lasse, könnten Lockerungen unmittelbarer erfolgen. „Das SARS-CoV-2-Abwassermonitoring eignet sich daher nicht nur als Frühwarn- sondern auch als Entwarnsystem“, führt der DWA ins Feld. Der Zeitvorsprung des Monitorings hängt dem DWA-Report zufolge allerdings von bestimmten Faktoren ab. So kommt es darauf an, um welche SARS-CoV-2-Variante es sich handelt. Auch braucht es natürlich ausreichend Laborkapazitäten, um die vielen Proben zu analysieren.

„Das Abwassermonitoring kann einen wichtigen Beitrag zu einem effizienten Pandemiemanagement leisten, die Gesundheitsseite unterstützen und zum Gesamtbild der pandemischen Lage beitragen“, so das Fazit der Abwasserexperten. Allerdings sollten die Abwasserdaten nicht isoliert, sondern im Kontext mit anderen Daten betrachtet werden. Nach wie vor werde es klinische Test brauchen. Nach wie vor müsse die Belegung der Intensivbetten betrachtet werden. Nach wie vor sei es wichtig, die Impfquote im Blick zu haben.

Zudem müsse die Virusmenge über einer bestimmten Nachweisgrenze liegen, damit das Ganze funktioniert. Auch die hängt von der jeweiligen SARS-CoV-2-Variante ab. Ein negatives Ergebnis im Abwassertest bedeutet nicht zwangsläufig, dass niemand infiziert ist. Ein positives Ergebnis auf der anderen Seite bedeutet auch nicht, dass jemand krank ist. Pat Christ

 

 

Dieser Artikel hat Ihnen weitergeholfen?

Bedenken Sie nur, welche Informationsfülle ein Abo der Bayerischen GemeindeZeitung Ihnen liefern würde!
Hier geht’s zum Abo!

 

GemeindeZeitung

Fachthema

AppStore

TwitterfacebookinstagramYouTube

Google Play

© Bayerische GemeindeZeitung