In den vier Bundesländern Bayern, Berlin, Niedersachsen und Thüringen wurden 34 qualitative Interviews mit Initiativen, Trägern und Fördermittelgebern geführt, die durch eine bundesweite Online-Befragung unter 556 Organisationen ergänzt wurde. Die Erhebung fand 2017 im Zeitraum von drei Monaten statt.
Bei vielen Initiativen kommt das Geld nicht an
Wie aus der Untersuchung hervorgeht, kommt das Geld bei vielen Initiativen nicht an, obwohl kurzfristig viel Geld durch staatliche Förderprogramme von der EU, Bund, Ländern, Kommunen oder auch durch private Spenden der Gesellschaft für die Flüchtlingshilfe freigesetzt wurde. 37 Prozent der untersuchten Initiativen nehmen überhaupt keine Fördermittel in Anspruch, obwohl knapp 90 Prozent angeben, Finanzmittel zu benötigen.
Laut Studie kommen die öffentlichen Mittel vor allem bei den schon etablierten Trägern, also bestehenden Vereinen und Verbänden an. Träger wie Wohlfahrtsverbände finanzieren sich zu 61,4 Prozent aus öffentlichen Mitteln. Diese oft größeren Organisationen haben Erfahrung im Beantragen und Einwerben von solchen Geldern. Initiativen, Vereine und kirchliche Organisationen bestreiten dagegen den allergrößten Teil ihrer finanziellen Mittel aus privaten Spenden. Bei den Initiativen ist der Anteil an Privatspenden an ihren gesamten Einnahmen mit 57,1 Prozent am höchsten. Obwohl die Spendenbereitschaft weiterhin hoch ist, rechnen viele Initiativen damit, dass diese in Zukunft sinken und damit die Finanzierung ihrer Ausgaben erschweren wird. Der größte Anteil der Mittel wird für den Bereich der „Praktischen Hilfe“ (17,3 %) aufgewendet, darauf folgen Mittel für „Unterricht“ (16,7 %) und „gemeinschaftliche Aktivitäten“ (16,2 %).
Schwierige Bedingungen
Dass sie Bedingungen für die Antragstellung nicht erfüllen (58 %) und folglich keine Aussicht auf Erfolg sehen (46 %) ist aus Sicht der Initiativen ein wesentlicher Grund. So geben die Behörden etwa vor, dass Projekte zum Förderzeitpunkt noch nicht begonnen haben. Wiederkehrende Ausgaben werden nur selten gefördert, oder der Staat fordert von den Initiativen eine Vereinsform, die den Engagierten oft nicht als sinnvoll erscheint. Knapp 38 Prozent gaben an, unabhängig bleiben zu wollen. Ein Motiv dafür ist oft, dass Engagierte befürchten, als Lückenfüller für eigentlich staatliche Aufgaben instrumentalisiert zu werden. Als weitere Herausforderungen bei der Antragstellung nannten die Befragten den zu hohen zeitlichen Aufwand (70 %) sowie fehlenden Zugang zu Informationen (48 %).
Mangelhafte öffentliche Strukturen
Die Fördermittel werden der Untersuchung zufolge oft nicht an die Freiwilligen vor Ort weitergeleitet und konnten so auch nicht an ihren tatsächlichen Bedarfen ausgerichtet werden. Die Organisationen, bei denen das Geld tatsächlich ankam, waren zum Teil überfordert, weil die Mittel bis Ende des Jahres gar nicht schnell genug ausgegeben werden konnten. Zugleich herrschte Planungsunsicherheit, da die Finanzierung meist nur für das aktuelle Haushaltsjahr gesichert war. Förderungen sind und waren nur selten in eine langfristige Förderstrategie eingebettet. Mit Blick auf die Grenze zwischen freiwilligem Engagement und Hauptamt müssen oft Hürden überwunden werden. Viele Freiwillige empfanden Handlungsdruck angesichts mangelhafter staatlicher Strukturen und des akuten Bedarfs von Seiten der Geflüchteten. Damit diese nicht endlos auf bestimmte Leistungen warten müssen, organisieren freiwillige Helfer Übergangslösungen.
Manche Organisationen wünschen sich bezahltes Personal. Im Bereich der freiwilligen Flüchtlingshilfe sind in den vergangenen Jahren einige Kombinationen von freiwilligem Engagement und Hauptamt entstanden. Die Studie hat drei Modelle identifiziert: ein hauptamtlicher Rahmen mit intensiver Betreuung der freiwillig Engagierten, die Schaffung geringfügig entlohnter Stellen, die von den freiwillig Engagierten selbst besetzt und ausgestaltet werden sowie die Koordination als Serviceangebot an das ansonsten unabhängige Engagement.
Bürgergesellschaftliches Potenzial
Aus den Ergebnissen der Untersuchung lassen sich folgende Empfehlungen und Lösungsansätze ableiten: Geldgeber sollten stärker die Bedarfe der Organisationen identifizieren, bevor aufwändige Förderprogramme entwickelt werden. Die Engagierten schätzen es sehr, wenn Geldgeber dazu persönlich mit ihnen in Kontakt treten. Die Förderung des Engagements für Geflüchtete sollte nicht isoliert von anderen Formen des zivilgesellschaftlichen Engagements vor Ort betrachtet werden.
Die Freiwilligen benötigen verbesserte und systematischere Informationsangebote über Fördermittel. Kommunale Koordinationsstellen, Freiwilligenagenturen oder eigens zu diesem Zweck eingerichtete Servicestellen sollten in der Beantragung von Fördergeldern geschult werden und den Freiwilligen konkrete Unterstützung bei der Antragstellung bieten. Speziell unterstützt werden sollten Geflüchteten-Selbstorganisationen, die aufgrund der Sprache vor zusätzlichen Barrieren stehen.
Insbesondere die kleineren, informellen Initiativen benötigen Gelder für ihre alltägliche Arbeit. Die Verwaltungen sollten die unbürokratische Kostenerstattung ermöglichen und die Bündelung von Spendengeldern beispielsweise über Bürgerstiftungen erleichtern. Geldgeber können die Zivilgesellschaft selbst entscheiden lassen, welche Organisation/welches Projekt eine Förderung bekommen soll, z. B. indem sie die Nachbarschaft über Projekte im Stadtteil informieren und über die Geldvergabe abstimmen lassen.
Etwa die Hälfte derjenigen, die Fördermittel beantragt haben, nahm den Prozess als schwierig bzw. sehr schwierig wahr. Viele haben hierdurch die Antragstellung sogar abgebrochen. Die Verfahren sollten daher deutlich vereinfacht werden. Ein großer Teil der neu gegründeten Initiativen möchte unabhängig bleiben. Die Geldgeber sollten formale Auflagen von Fördereinrichtungen von der nötigen Vereinsform bis zum umfangreichen Berichtswesen und damit verbundene Einschränkungen überarbeiten und vereinfachen, um auch kleine Initiativen mit geringen Kapazitäten zu erreichen. Viele Förderrichtlinien sehen vor, dass Mittel ausschließlich für noch nicht begonnene Projekte vergeben werden. Damit werden all jene ausgeschlossen, die angesichts der Dringlichkeit der Problemlage spontan eingesprungen sind und kreativ neue Lösungen ausprobiert haben. Förderungsrichtlinien sollten dies berücksichtigen und nicht nur neue Aktivitäten, sondern auch bereits laufende fördern.
Bisher spielen Freiwilligenagenturen eine marginale Rolle in der Organisation der Freiwilligenarbeit mit Geflüchteten. Die lokalen Freiwilligenagenturen stellen aber als lokale Infrastruktureinrichtungen potenziell interessierten Bürger Informations-, Beratungs-, Vermittlungs- und Qualifizierungsangebote zur Verfügung. Um diese Strukturen zu stabilisieren wäre es sinnvoll, Freiwilligenagenturen mit einer besseren Grundfinanzierung auszustatten. Wenn sich die lokalen Initiativen und Vereine vernetzen und als gemeinsamer Akteur gegenüber öffentlichen und privaten Förderern auftreten, können sie ihren Forderungen nach finanzieller und ideeller Unterstützung besser Nachdruck verleihen.
In der Finanzierung durch Privatspenden steckt bürgergesellschaftliches Potenzial: Spender, die keine Zeit haben, selbst aktiv zu werden, können über niedrigschwellige Angebote stärker in das Engagement und ein zivilgesellschaftliches Netzwerk eingebunden werden. Die Geldgeber agieren dann gemeinsam mit den freiwillig Engagierten, Hauptamtlichen und den Geflüchteten selbst als bürgergesellschaftliche Akteure.
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