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(GZ-12-2018)
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► Fachtagung Ländliche Entwicklung in Günzburg:

 

Gemeinsam Werte schaffen

Um die Lebensqualität in den ländlichen Regionen weiter zu verbessern, hat Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber die Initiative „HeimatUnternehmen“ gestartet. „Vitale Dörfer brauchen Dorfläden, Bäcker, Metzger und Handwerker direkt vor Ort“, erklärte Kaniber bei einer Fachtagung für Ländliche Entwicklung in Günzburg. Denn zu einem attraktiven und lebendigen Standort gehöre auch ein ausreichendes Angebot an Waren und Dienstleistungen.

Ein wichtiger Baustein der Initiative ist die Förderung von Kleinstunternehmen der Grundversorgung mit bis zu 200.000 Euro. Damit sollen Betriebe bei Investitionen unterstützt und Neugründungen erleichtert werden. Zudem soll die Verwaltung für Ländliche Entwicklung innovativen Menschen helfen, ihre Ideen zu verwirklichen – durch Beratung, Vernetzung oder bei der Suche nach Gleichgesinnten und Investoren. „Wir wollen die Menschen von der Idee bis zur Umsetzungeng begleiten und unterstützen“, unterstrich die Ministerin.

Förderung der Dorferneuerung verbessern

Darüber hinaus will Kaniber die Förderung der Dorferneuerung verbessern, um die Innenentwicklung in den Ortskernen voranzubringen. Künftig erhalten Kommunen bis zu 80 Prozent Förderung, wenn sie leerstehende Gebäude modernisieren, instand setzen oder abbrechen, um die Grundstücke für eine Wiederbebauung bereitzustellen. Für finanzschwache und vom Bevölkerungsrückgang besonders stark betroffene Gemeinden sind sogar bis zu 90 Prozent Förderung möglich.

Bis 2030 sollen weitere 5.000 Gebäude dorfgerecht saniert, neu genutzt oder aufgewertet werden. Die Staatsregierung hat im Nachtragshaushalt hierfür zusätzlich 25 Millionen Euro und fünf Stellen bereitgestellt. Die Revitalisierung von Ortskernen ist schon seit vielen Jahren ein Schwerpunkt der Dorferneuerung. So konnten bereits in hunderten Dörfern Leerstände beseitigt, ortsbildprägende Gebäude saniert und innerörtliche Brachflächen neu genutzt werden.

Landentwicklung innovativ finanzieren – mit Genussinvest, einem Unternehmen aus Prien am Chiemsee, ist dies problemlos möglich, wie Xaver Diermayr, Stephan Illi und Petra Wähning berichteten. Genussinvest begleitet Landwirte und Lebensmittelhandwerker dabei, das Umfeld oder die Kunden an Investitionen zu beteiligen. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten, von der Vorfinanzierung bis zum klassischen Genussrecht.

Sinnvolle Investitionen 

Merkmal dieser Finanzierungsform ist die enge Beziehung zum Umfeld bzw. Investor. Dies stärkt die Betriebe. Gleichzeitig wissen die Verbraucher dass sie in sinnvolle Projekte investieren. Durch die Beteiligung vieler Menschen mit kleinen Beträgen werden zudem Investitionen ohne Banken möglich.

Die finanzielle Beteiligung bringt Bauern und handwerkliche Betriebe mit ihren Kunden zusammen. Dabei entsteht eine neue Art von Solidarität und gemeinschaftlicher Gestaltung.

Die Verzinsung und Tilgung in Naturalien spielt dabei eine besonders verbindende Rolle. Anleger erleben so direkt, was mit ihrem Geld ermöglicht wird und können die Früchte daraus ernten. Insofern ist die Finanzierungsform der Genussrechte mit Naturalienverzinsung nicht nur ein Finanzierungsinstrument, sondern ein Instrument zur Stärkung der Beziehung zwischen Betrieben und Anlegern.

Bürgergenossenschaften

Bürgergenossenschaften bewegen Heimat, wie Christian Skrodzki vom Kommunikationsbüro „inallermunde“ am Beispiel des Bürgerbahnhofs Leutkirch darstellte. Die Leutkircher Bürgerbahnhof eG ist weit über die Region hinaus zum Vorbild geworden. Mit einer genossenschaftlichen Finanzierung haben 600 Bürgerinnen und Bürger Anteile für über 1 Mio. Euro erworben und mit Unterstützung von Landesfördergeldern ein über Jahre leerstehendes Kulturdenkmal grundlegend instand gesetzt. Im Frühjahr 2012 konnte der Bürgerbahnhof feierlich eröffnet werden. Heute sind 700 Bürger und Unternehmen mit 1.111.000 Euro am Bürgerbahnhof beteiligt.

Durch das Engagement der Einwohner ist das über 125 Jahre alte Wahrzeichen der Stadt jetzt wieder ein Schmuckstück mit einem Restaurant und regionalen Unternehmen. Unter dem Dach informiert ein Besucherzentrum über das Thema „Nachhaltige Stadt“. Der ehemalige Bahnhof wird wieder nachhaltig genutzt, er ist zu einem lebendigen Mittelpunkt in Leutkirch geworden.

Die Leutkircher Bürgerbahnhof Genossenschaft ist der Besitzer des Bürgerbahnhofs und in diesem Sinne auch der Gesamtbetreiber. Die Vorstände und die Aufsichtsräte bringen sich ehrenamtlich ein. Generiert werden rund 120.000 Euro Mieteinnahmen pro Jahr. Davon werden alle Kosten getragen – und im Idealfall bleibt am Ende des Jahres ein kleiner Gewinn übrig, der dann an die Genossen ausgeschüttet wird. Das Projekt ist solide über 20 Jahre hinaus finanziert.

Gesundheits- und Pflegezentrum in der Ortsmitte 

Der demographische Wandel mit einer Zunahme alter Menschen, Bevölkerungsrückgang, veränderten Familienstrukturen und fehlenden Einrichtungen hat oftmals zur Folge, dass ältere und pflegebedürftige Menschen nicht zu Hause bleiben können. Mit diesen Herausforderungen kämpfen viele Gemeinden im ländlichen Raum, so auch der Markt Waldthurn. Dies wollten die Verantwortlichen in der Gemeinde nicht einfach hinnehmen – sie packten die Probleme an und sind neue Wege gegangen. Mit dem Gesundheits- und Pflegezentrum hat laut Besitzer Stefan Hammerl der Markt Waldthurn auch einen wichtigen Schritt für eine belebte, attraktive Ortsmitte unternommen.

Alternative zum Pflegeheim

Das Wohnangebot im Gesundheits- und Pflegezentrum Waldthurn ist mittlerweile eine echte Alternative zur Unterbringung in einem betreuten Wohnoder Pflegeheim. Die kleinen Einheiten und das vertraute, familiäre Umfeld ermöglichen es den älteren Mitbürgern, eine gewisse Selbstständigkeit sowie den Kontakt zu Freunden und zur Familie zu erhalten. Haus 1 umfasst den Therapie- und Ärztebereich, Haus 2 dient dem Gemeinschaftsleben und Wohnen. In Waldthurn ist das Alt werden in der Heimat bereits heute wieder normal.

Die Kurzvorstellung von fünf weiteren Projekten in einem „Marktplatz der Ideen“ bildete den Abschluss der Günzburger Fachtagung. Im Rahmen des „Integrierten Ländlichen Entwicklungskonzepts (ILEK)“ wurde 2014 das Entwicklungsforum Holzwinkel und Altenmünster e.V. im Augsburger Land gegründet. Sechs kooperierende Kommunen haben dabei den Wert der Kultur als Standortfaktor erkannt. Daher unterstützen sie die Initiative „Kultour-Sommer“ durch gezieltes und überregionales Marketing. Das Publikum kann sich an Kabarett, Konzerten, Kleinkunst und Kunstwerken erfreuen.

In Boos (Landkreis Unterallgäu) gingen aktive Bürger motiviert und engagiert die Energiewende an. Ausgangspunkt war die Initiative „100 weitgehend energieneutrale Gemeinden“. Die Gemeinde errichtete ein mit Hackschnitzel betriebenes Nahwärmenetz mit einer Netzlänge von 387 Metern, das acht öffentliche Einrichtungen versorgt. Jährlich wird der CO2-Ausstoß um 180 Tonnen gemindert.

In Tagmersheim (Landkreis Donau-Ries) wiederum war die Schließung der letzten Einkaufsmöglichkeit im Ort absehbar. Deshalb entwickelten die Gemeinde und engagierte Bürger ein Konzept für einen Dorfladen und gründeten eine Genossenschaft. Der Dorfladen stärkt die Gemeinschaft und fördert die Lebensqualität.

Wohnen wie Zuhause

Der Verein „Freunde neuer Wege zum Wohnen wie Zuhause“ will in Salgen (Unterallgäu) mit seinem Projekt „Ambulant betreute Wohngemeinschaft“ Demenzkranken ein neues Zuhause in der Heimat bieten. Dabei wird ein ehemaliges Gasthaus zum Pflegezentrum. Pflegebedürftige erhalten notwendige Unterstützung und ein Leerstand im Ort wird wiederbelebt.

Zur Wiederbelebung der Gaststätte gründeten engagierte Bürger in Unterliezheim (Landkreis Dillingen) schließlich den Klosterbräu e.V. In der Dorferneuerung wurde das denkmalgeschützte Gebäude erworben, saniert und an den Verein übergeben.

DK

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