Sommerkolloquium der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum in Zusammenarbeit mit der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung in München.
Eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung berührt auch die Frage gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land. Neben „sorgenden Gemeinden“ und „Verantwortungsgemeinschaften“ ist hier eine räumlich abgestimmte Infrastrukturplanung gefordert. Ein Thema für Politik, Kommunen, Verwaltungen, Vereine, Verbände, Wohlfahrtsorganisationen und Unternehmen, das im Rahmen des Sommerkolloquiums der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum in Zusammenarbeit mit der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung in München intensiv beleuchtet wurde.
Laut Prof. Dr. Holger Magel, Präsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum und Mitglied der Enquete-Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Bayern“ hat diese vier Gerechtigkeitsdimensionen erarbeitet: Verteilungs-, Verfahrens-, Chancen und Generationengerechtigkeit. Es gehe nämlich nicht nur um die materielle Ausstattung, sondern auch um Entfaltungsmöglichkeiten.
„Gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Bayern werden wir nicht allein durch hochqualifizierte Bildungs- und durch Umsiedlung gewonnene Arbeitsplätze bekommen, sondern nur, wenn auch die sozialen Infrastrukturen stimmen. Ein moderner Rural Life Style braucht auch nachhaltige und gerechte Soziale Infrastrukturen“, machte Magel deutlich und fuhr fort: „Wenn diese Infrastrukturen stimmen, dann werden sie auch tragfähig sein, weil wir darauf setzen können, dass die Menschen nicht weiterhin in die zunehmend unattraktiven Ballungsräume ziehen und abwandern, sondern lieber im ländlichen Raum bleiben oder dorthin ziehen, wo sie eine höhere Lebensqualität genießen können.“
Gute Versorgung keine Frage des Wohnorts
Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser, Leiter der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung betonte: „Kindertagesstätten und Schulen, Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime, Beratungsstellen und Vereine – für all diese so wichtigen Einrichtungen braucht es gut erreichbare Räumlichkeiten, gut geschultes Personal, eine moderne Ausstattung und ausreichend Finanzmittel. Wie kann dies in der Fläche gewährleistet werden, also auch in den ländlichen, peripheren Räumen außerhalb von Ballungszentren und Verdichtungsräumen – schließlich sollte eine gute Versorgung keine Frage des Wohnorts werden dürfen.“
Basis ist die „Wir-Qualität“
Warum sind manche Gemeinden erfolgreicher und lebenswerter als andere? Die Kulturwissenschaftlerin Dr. Kriemhild Büchel-Kapeller vom Vorarlberger Büro für Zukunftsfragen unterstützt engagierte Menschen dabei, innovative Lösungen für aktuelle gesellschaftspolitische Herausforderungen zu entwickeln. Für sie liegt die Antwort auf der Hand: „Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft – das ist alles wichtig. Aber Strategien hat jeder, den Unterschied machen die Menschen. Die Basis ist das Sozialkapital.“ Gefordert ist mehr „WQ“, mehr „Wir-Qualität“.
Unter dem Begriff Sozialkapital versteht Büchel-Kapeller den sozialen Zusammenhalt innerhalb einer Gemeinschaft, also innerhalb der Familie und im Freundeskreis (Mikro-Ebene), aber auch die Beteiligung und das Engagement in Netzwerken und Vereinen (Meso-Ebene). Auf der Makro-Ebene zählt sie auch höhere Ideale und Zugehörigkeiten dazu.
Dass in der Qualität der sozialen Beziehungen der Schlüssel zu positiver Entwicklung und Lebensqualität liegt, zeigen mittlerweile auch auf internationaler Ebene mehrere empirische Studien. Büchel-Kapeller fasste die Ergebnisse wie folgt zusammen: Je ausgeprägter der Zusammenhalt, das Miteinander einer Gemeinschaft (z.B. Gemeinde, Region, Unternehmen, Verein) ist, umso gesünder und glücklicher sind die Menschen dort, umso mehr Erfolg haben die Betriebe, umso größer sind die Bildungschancen und umso geringer ist die Kriminalitätsrate. „Gerade in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung – in einer ‚Welt ohne Grenzen‘ – brauchen wir wohl mehr denn je ein gutes Miteinander, Empathie und ein Verantwortungsfühl gegenüber anderen“, so Büchel-Kapeller.
Dr. Klaus Schulenburg vom Bayerischen Landkreistag machte auf Beobachtungen von Betreuern in den Jugend- und Sozialhilfeeinrichtungen aufmerksam, wonach gesellschaftliche Entwicklungen, die früher eher von den Städten bekannt waren, jetzt auch in den ländlichen Raum überschwappen. Demnach gebe es auch auf dem Land immer mehr Familien, die nicht klarkommen, und inzwischen auch hier einen Bedarf für Streetworker. Erziehungsaufgaben würden zunehmend verlagert.
Dringend ergänzende Unterstützung benötigten aber auch die Schulen und Unternehmen, stellte Schulenburg klar – etwa in Form von Schulsozialarbeit oder bei der Integrationsarbeit. Diese Entwicklung lasse sich auch an den drastisch angestiegenen Ausgaben und Personalstellen für die Sozial- und Jugendhilfe in den Landratsämtern ablesen.
Die Kommunalpolitiker halten viele Fäden in der Hand
Wie Stefan Rößle, Landrat des Landkreises Donau-Ries und Vorsitzender der Kommunalpolitischen Vereinigung der CSU darlegte, hätten die kommunalen Aufgaben im Sozialbereich tatsächlich zugenommen – siehe Anspruch auf Ganztagesplätze für die Kinderbetreuung oder Integrationsarbeit. „Aber viele Dinge haben wir auch selbst in der Hand“, so der Landrat.
So seien durch ehrenamtliches Engagement in zehn Dörfern seines Landkreises Dorfläden eröffnet worden. Dies mache ihm Hoffnung. „Nach einem ähnlichen Prinzip versuchen wir jetzt die Freibäder weiter zu halten.“ Für Rößle ist es unbedingt erforderlich, den Gemeinden eine Plattform für den Austausch zu bieten: „Wenn sie beispielsweise Kultur- und Sozialangebote auf Landkreisebene koordinieren und gemeinsam bewerben, dann sieht man, dass auf dem Land durchaus viel los ist.“ Das Leben dort sei keine Last, sondern mache Lust auf mehr.
Mit Sorge betrachtet der CSU-Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath den Umstand, dass in den nächsten Jahren zahlreiche Ärzte ihre Praxis altersbedingt aufgeben werden. Ausreichende medizinische Versorgung überall im Land dauerhaft sicherzustellen, sei eines der drängendsten politischen Themen im Freistaat. Der gesundheits- und pflegepolitische Sprecher der CSU-Landtagsfraktion nannte konkrete Punkte, die nun umgesetzt werden sollen.
So benötige jede Medizinische Fakultät einen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin, der dem Beruf mehr Gewicht verleiht und über die Forschung wichtige Grundlagen vermittelt. Bisher gibt es an der LMU und an der TU München ein Institut bzw. einenLehrstuhl für Allgemeinmedizin. Weitere sollen folgen, z.B. an der Uni Augsburg. Zudem wird für Bayern eine Landarztquote eingeführt.
Quoten für Landärzte
Bis zu fünf Prozent aller Medizinstudienplätze sollen dabei für Studierende vorgehalten werden, die sich bereit erklären, später als Hausarzt in Regionen zu arbeiten, die ärztlich unterversorgt sind. Weitere Ansätze, die Absolventen dazu bringen, ihren Beruf auf dem Land auszuüben, sind etwa Praktika im ländlichen Raum bereits während der Ausbildung. Ebenso wichtig ist es, in der Ausbildung das für die Praxisführung notwendige betriebswirtschaftliche Knowhow zu vermitteln.
In Bayern gibt es neben dem Stipendiatenprogramm auch eine Niederlassungsförderung für Ärzte im ländlichen Raum. Die Zuwendung beträgt bis zu 60.000 Euro. Bei besonderer Bedeutung kann auch die Filialbildung gefördert werden (bis zu 15.000 Euro).
Massiver Fachkräftemangel
Gerade im Pflegebereich existiert ein massiver Fachkräftemangel – in den Ballungsräumen sogar noch extremer als auf dem Land. Verbesserungsmöglichkeiten sieht Seidenath nicht nur in der Errichtung weiterer Altenpflegeschulen. Auch die Pflegestützpunkte und Hebammen gelte es zu unterstützen, außerdem könnten die Bundesfreiwilligendienste ausgebaut werden. Vor allem aber bräuchte es für die Berufsgruppe eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen sowie mehr öffentliche Wertschätzung.
Nach Aussage von Georg Huber, Landrat des Landkreises Mühldorf am Inn, ist über die Hälfte der Ärzte in seinem Landkreis bereits über 60 Jahre alt. Gerade auf dem Land gebe es bisher Hausärzte als Einzelkämpfer. Die nachfolgende Generation aber erwarte sich eher ein Angestellten- oder Teilzeitverhältnis, unterstrich Huber. Daher seien überörtliche Gemeinschaftspraxen und Kooperationsformen wie Medizinische Versorgungszentren (MVZ) als gemeinnützige GmbH sinnvoll.
Die Gesundheitsregion sei ein guter Beitrag, weil es die Akteure in der Region zusammenbringt. Man wolle in den Dialog mit den Bürgermeistern treten und versuchen, solche MVZs zu etablieren, parallel dazu den ÖPNV ausbauen und außerdem die Apotheken erhalten. Dies sei aufgrund fehlender Fachkräfte umso notwendiger. Hinzu komme, dass sich immer weniger Ärzte für eine Niederlassung im ländlichen Raum begeistern können, erklärte der Landkreischef.
|