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(GZ-5-2019)
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► So meistern Kommunen die Herausforderungen der Zukunft:

 

Gestalter vor Ort

 

Digitale Infrastruktur, Integration, Klima- und Umweltschutz: In Zeiten des rapiden gesellschaftlichen Wandels und der Globalisierung werden Kommunen zu kreativen Gestaltern der Zukunft. Wie können sie urbane Räume und Dörfer lebenswert machen, neue Bürger integrieren und nicht zuletzt die Bevölkerung zur Mitarbeit motivieren? Über Antworten auf diese Fragen haben Kommunalpolitiker und Wissenschaftler auf der Tagung „Kommunen – Die verkannten Zukunftsgestalter“ disktutiert. Die Veranstaltung war der Auftakt zu einer Projektreihe der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, in der die zentrale Rolle der Kommunen für die Zukunftsgestaltung verdeutlicht wird.

Die Tatsache, dass im Bierzelt gern über Kommunalpolitik geredet wird, war die Geburtshelferin für diese Tagung. Auf dem Oktoberfest beklagte Erlangens Alt-Oberbürgermeister Siegfried Balleis gegenüber Akademie-Direktorin Ursula Münch, dass es zu wenige hochwertige wissenschafliche Analysen zur Kommunalpolitik gebe. Gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (blz) wollen sie das ändern. „Die Kommune ist deshalb so wichtig, weil ihre Entscheidungen die Bürger am unmittelbarsten treffen“, sagte Rupert Grübl, bei seinem ersten Auftritt als blz-Leiter in Tutzing.

Kommunen als „kleine Machtzentren“

Die Tagung ist der erste Schritt, weitere Veranstaltungen sowie eine Publikation sollen folgen. Martin Burgi, Professor für Öffentliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität München, betonte die Stellung der Gemeinden und Landkreise als „kleine Machtzentren“ zur Entlastung von Land und Bund, Vernetzung der Gesellschaft und dem „Aufbau der Demokratie von unten“. Die kommunale Selbstverwaltung sei ein Exportschlager, der zum Beispiel von Frankreich übernommen wurde, und seit 2009 sogar durch die EU-Verträge geschützt ist.

„Ein Riesenreich wie China ist nicht dauerhaft zentral regierbar. Ich sehe eher eine Globalisierung der kommunalen Idee“, erklärte er. Gefährdet werde diese aber durch Überregulierung durch Bund und Land, beispielsweie durch finanzielle Zuwendungen und die damit verbundene Kontrolle. Paradoxerweise könne auch Bürgerbeteiligung Kommunen schwächen – nämlich dann, wenn sich Bürger aus der Vielzahl von politischen Angeboten nicht die Kommunalpolitik, sondern beispielsweise zivilgesellschaftliche Organisationen aussuchen.

Politischen Nachwuchs früh einbinden

Wie Stadt- und Gemeinderäte Bürger zur Mitarbeit motivieren können, war auch Thema einer Podiumsdiskussion. Bianka Poschenrieder, Zweite Bürgermeisterin von Zorneding, empfiehlt ihren Kolleginnen und Kollegen, dort zu werben, wo Menschen sich bereits engagieren – also in Vereinen und Bürgerinitiativen. „Ich erzähle von unseren Erfolgen als Gemeinderat und biete Interessenten Hilfe und Fortbildungen an“, sagt sie. Der Münchner Landrat Christoph Göbel sieht in Jugendparlamenten eine Chance für mehr politischen Nachwuchs: „Junge Leute müssen ja nicht gleich Bürgermeister werden, aber man sollte sie früh einbinden.“

Genau diesen Weg schlug Julia Hacker ein, die für den Jugendrat Lauf mitdiskutierte. „Viele Kommunen nehmen Jugendliche nicht ernst. Unser Jugendrat hat ein eigenes Budget und ein Antragsrecht im Stadtrat. Damit konnten wir bereits einen Bikepark, Busverbindungen und Laternen für einen sicheren Heimweg schaffen“, erzählt sie. Diese Erfolge helfen wiederum, neue Mitglieder für das Gremium zu finden.

Herausforderung Wahlbeteiligung

Bestehen bleibt jedoch das Problem der niedrigen Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen. In Bayern lag sie 2014 bei 55 Prozent. Angelika Vetter, Professorin am Institut für Sozialwissenschaften in Stuttgart, erklärt dieses Phänomen vor allem mit dem Wertewandel seit den 90er Jahren: „Früher ging man einfach zur Wahl. Heute wird diese Norm als weniger stark empfunden, vor allem von jungen Menschen.“ Außerdem sei das mediale Interesse an Kommunalpolitik geringer geworden, wodurch wiederum Bürger weniger mit lokalpolitischen Themen konfrontiert werden.

Gegen diesen Trend stellen sich Okan Bellikli und seine Klasse der Deutschen Journalistenschule. Für ihr Abschlussprojekt reisten die Nachwuchsjournalisten durch ganz Deutschland und besuchten Kommunalpolitiker in acht Bundesländern, in denen 2019 gewählt wird. Die Ergebnisse sind auf dem Instagram-Profil total_kommunal und auf einer Website zu lesen, sehen und hören.

Brennpunkte der Kommunalpolitik: „Ausbaden, was der Bund versäumt“

Über Brennpunkte der Kommunalpolitik sprachen die Vertreter der Spitzenverbände. Auch in dieser Runde spielte die Entfremdung zwischen Bürger und Kommunalpolitik eine Rolle. Christian Bernreiter, Landrat in Deggendorf und Präsident des Bayerischen Landkreistages, warnte vor Gebietsreformen wie in anderen Bundesländern. „Ich bin jeden Abend unterwegs, um unsere Politik zu erklären. Dieser Kontakt fällt weg, wenn wir wie in Nordrhein-Westfalen Kreise mit 500.000 Einwohnern bekommen“, argumentierte er. Rainer Schneider, Vize-Präsident des Bayerischen Bezirketages beklagte hingegen, dass die Regierungsbezirke im Gegensatz zu Landkreisen kaum wahrgenommen werden, obwohl sie wichtige Aufgaben wie medizinische Versorgung verantworten. Wie einige seiner Kollegen fordert er regelmäßige Schulbesuche von gewählten Vertretern, um früh den Kontakt zum Bürger herzustellen.

„Mich stört vor allem, dass die Kommunen ausbaden müssen, was die Bundespolitik in der Digitalisierung versäumt hat. Die Bürger regen sich bei uns auf, dass sie ins Rathaus kommen müssen, um einen neuen Pass zu beantragen. Dabei ist der Bund dafür verantwortlich“, sagt Thomas Jung, Oberbürgermeister von Fürth und Erster stellvertretender Vorsitzender des Bayerischen Städtetags. Ähnliches beobachtet der Abensberger Bürgermeister, Präsident des Bayerischen Gemeindetags und Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Uwe Brandl bei der Schaffung von Betreuungsplätzen für Grundschüler:

„Die Bundespolitik verschließt sich vor unserer Argumentation. Das ist kein faires Spiel.“ Dennoch hält er Kommunalpolitik für „die geilste Sache der Welt für Leute die Diskussionen lieben und keine Scheu haben, ab und zu mal eine kalte Dusche zu kassieren“. Diese Begeisterung hat ihn zu seinem ersten Kinderbuch „Die kleine Mäusegemeinde“ inspiriert, mit dem er Grundschülern die Kommunalpolitik näher bringen will – anhand von Mäusen, die sich auf dem Dachboden des Schulhauses organisieren – inklusive Bürgermeister und Kämmerer.

Heimat als Herausforderung einer globalisierten Welt

Mit den zukünftigen Herausforderungen der Kommunalpolitik befasste sich unter anderem Norbert Göttler, Bezirksheimatpfleger von Oberbayern, der sich mit dem Heimatbegriff beschäftigt. „Das Problem ist, dass jeder eine andere Vorstellung von Heimat hat“, erklärt er. Vor allem bei jungen Menschen sei Heimat weniger topographisch, sondern utopisch: Heimat als Netzwerke von Menschen, die nicht zwingend am gleichen Ort aufgewachsen sind. Politiker müssten deshalb einen inklusiven Heimatbegriff verteidigen. Dazu zählen Vielfalt statt Monokultur und nicht Ästhetik als Standortfaktor, um Menschen an einen Ort zu binden.

Stadt- und Dorfentwicklung durch Bauprojekte

Dem stimmt Norbert Gebbeken, Bauingenieur und Professor an der Universität der Bundeswehr München, zu. Eine attraktive Stadt der Zukunft müsse ökologisch, digital und terrorsicher sein, so seine These. Er empfiehlt Räume zur Begegnung zu schaffen, wie Parks oder offen gestaltete Busstationen, Urban Farming zu fördern und gleichzeitig Angsträume wie dunkle Unterführungen umzugestalten. Eines der aktuellsten Themen der zukünftigen Stadtentwicklung hatte Tagungsinitiator Siegfried Balleis selbst mitgebracht.

Der Erlanger Alt-Oberbürgermeister ist Sonderbeauftragter des Sofortprogramms „Saubere Luft 2017-2020“ der Bundesregierung. Die kurzfristige Verbesserung der Luftqualität in deutschen Städten hält er für ein „Schulbeispiel für Politikverschränkung“, denn der Bund stellte die Finanzierung zur Verfügung und die Kommunen sollten Projektideen liefern - eine Chance, die laut Balleis nur noch mehrfacher Aufforderung wahrgenommen wurde. Dennoch bewarben sich mehr als 60 Städte um Förderungen unter anderem zur Digitalisierung des Verkehrs, der urbanen Logistik und der Radverkehrsförderung. Unter dem Motto „Green City“ seien so viele kreative Masterpläne zur urbanen Mobilität gesammelt worden wie nie zuvor.

Jörg Bierwagen vom Ingenieurbüro Chistofori und Partner im fränkischen Roßtal hat sich intensiv mit der Entwicklung ländlicher Kommunen beschäftigt. Als größte Probleme sieht er neben Überalterung und fehlender Mobilitätsangebote Leerstände und Brachflächen im Ortskern. „Die Bürgermeister müssen sich aktiv mit ihren Dörfern beschäftigen. Das Motto muss sein: Innen vor Außen“, sagt er. Konkret: Bevor ein neues Baugebiet am Ortsrand erschlossen wird, sollten sie prüfen, warum Freiflächen im Zentrum bisher nicht bebaut wurden oder ob alte Höfe wiederbelebt werden können.

Digitalisierung in Stadt und Land

Diane Ahrens leitet den Technologie Campus Grafenau der TH Deggendorf und stellte das vielschichtige Teamprojekt „Das digitale Dorf“ vor. In mehreren Modelldörfern wird eine Fülle digitaler Anwendungen erprobt: von Mobilitätslösungen bis zur Echtzeitübertragung von Gottesdiensten aus der Dorfkirche. In der Gesamtsicht lasse sich sagen: „20 Prozent der Umsetzung digitaler Projekte haben mit IT zu tun, 80 Prozent mit Menschen“. Wolfgang Glock arbeitet bei der Landeshauptstadt an Lösungen, um München zur „Smart City“ zu machen. Zu dem Konzept gehören unter anderem intelligente Lichtmasten, die nicht nur Licht spenden, sondern auch Umweltwerte erfassen. Interessant sei, dass es unterschiedliche Smart City-Kulturen, etwa in den USA, Asien und Europa, gebe - zum Beispiel mit Blick auf den Datenschutz, der in Europa sehr ausgeprägt ist.

Integration kann nur vor Ort stattfinden

Seit 2015 ist auch das Thema Integration auf kommunaler Ebene präsent wie nie. Hubertus Schröder vom Institut – Interkulturellle Qualitätsentwicklung München betonte, dass Integration nur dort stattfinden könne, wo Menschen zusammenleben und -arbeiten. Er betrachtet Migration als Konstante in einer globalisierten Welt und rät Kommunalpolitikern, diese als unumkehrbar anzuerkennen und bei der Integration Führungsveranwortung zu übernehmen. Dazu zähle Visionen, Leitlinien und Ziele zu formulieren und deren Erreichung zu überprüfen ebenso, wie die Bürger zu beteiligen.

 

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