Seidenath lebt seit 1998 in Haimhausen im Landkreis Dachau. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und einem Referendariat beim Oberlandesgericht Nürnberg berief ihn 2001 die damalige Sozialministerin Christa Stewens zum Pressesprecher ihres Hauses. Dort kam er auch mit der Rechtsform eG in Kontakt. Das Sozialministerium förderte schon damals die Gründung von Sozialgenossenschaften. 2012 mündete dieses Engagement schließlich in die „Zukunftsinitiative Sozialgenossenschaften“. Die Impulse aus dem Ministerium nahm Seidenath mit, als er 2008 als Abgeordneter für den Stimmkreis Dachau in den Landtag einzog. Mittlerweile leitet der Vater von zwei Söhnen den Landtagsausschuss für Gesundheit und Pflege.
Gerechte Unternehmensform
„Genossenschaften überzeugen nicht nur in der Theorie, sondern vor allem in der Praxis, denn dahinter steht eine gerechte Unternehmensform, die alle Beteiligten auf Augenhöhe zusammenbringt“, sagt Seidenath. Das ist nach seiner Ansicht gerade im Gesundheitsbereich von Bedeutung, der von einem harten Wettbewerb gekennzeichnet ist. Auch bei der Versorgung sterbender Menschen sei das der Fall gewesen, bevor die SAPV Dachau eG gegründet wurde.
„Die Anbieter waren sich nicht grün und haben sich kritisch beäugt“, berichtet der Landtagsabgeordnete über die Situation vor 2012. Dennoch einte alle Akteure ein Ziel: Sie wollten die Situation zum Besseren verändern. Denn schwerstkranke Menschen möchten ihr Lebensende meist nicht in einer Klinik, sondern in ihrer vertrauten häuslichen Umgebung verbringen. Das funktioniert allerdings nur, wenn eine adäquate ambulante Betreuung gewährleistet ist.
Bündelung der Kräfte
Also ergriff Seidenath die Initiative und brachte die Wohlfahrtsverbände, den Elisabeth-Hospizverein, das örtliche Klinikum, Pflegedienste sowie Ärzte und Apotheken an einen Tisch, um die Kräfte in der ambulanten Palliativversorgung zu bündeln. In den Gesprächen überzeugte er sie von den Vorteilen einer Genossenschaft. „Alle Akteure sind durch die Generalversammlung der SAPV Dachau eG eingebunden. So können sie sicher sein, dass es in der Genossenschaft gerecht zugeht und ihre Interessen gewahrt bleiben, obwohl sie teils in Konkurrenz zueinander stehen“, sagt der Landtagsabgeordnete. Aus diesem Grund sei die SAPV von Beginn an ein Erfolgsmodell gewesen.
Umfassendes VersorgungsNetzwerk für Patienten
Anfang 2012 nahm das Palliativteam Dachau seine Arbeit auf, das von der Genossenschaft getragen wird. Das Team besteht aus sechs spezialisierten Palliativmedizinern, fünf Palliativ-Pflegefachkräften, der kaufmännischen Leitung, zwei Verwaltungskräften, einer Sozialpädagogin sowie einer Seelsorgerin. Sie kümmern sich jedes Jahr um rund 180 todkranke Patienten und sorgen dafür, dass diese in ihrer gewohnten häuslichen Umgebung zum Beispiel bei einer Krebserkrankung im Endstadium, schmerzfrei bleiben.
Das Palliativteam Dachau versorgt Patienten im Landkreis Dachau sowie in Ober- und Unterschleißheim. Es arbeitet dabei eng mit dem jeweiligen Hausarzt sowie verschiedenen ambulanten Pflegediensten zusammen. Auf Wunsch entlasten Hospizhelfer die Angehörigen bei der Betreuung. Bei Bedarf können auch Psychologen oder weitere Fachkräfte wie Physio- oder Atemtherapeuten hinzugezogen werden. So entsteht rund um das Palliativteam ein umfassendes, rund um die Uhr verfügbares Versorgungsnetzwerk für die Patienten.
Wertvolle Erfahrungen
Die guten Erfahrungen mit der SAPV Dachau eG animierten Seidenath dazu, 2018 mit der Genossenschaft zur Stärkung der gesundheitlichen Versorgung im Landkreis Dachau das nächste Projekt anzugehen. Für fünf Jahre gewährt der Freistaat jährliche Mittel von 50.000 Euro aus dem Programm „Gesundheitsregion Plus“, der Landkreis Dachau schießt noch einmal 20.000 Euro pro Jahr zu.
Seidenath sah die Chance, alle Akteure und Einrichtungen von der Klinik über die Apotheken bis zu den Fachärzten zu vernetzen und so die Gesundheitsversorgung in der Region voranzubringen. Im nördlichen Landkreis Dachau ist es zum Beispiel schwer, Nachfolger für Hausarztpraxen zu finden. Außerdem fehlen vielerorts Pflegekräfte.
Weitere Akteure lassen sich jederzeit einbinden
„Über die Genossenschaft bündeln wir auch hier unsere Kräfte. Und vor allem können wir über diese Rechtsform jederzeit weitere Akteure einbinden, indem sie Mitglied werden“, sagt Seidenath, der als Vertreter der Politik in den Aufsichtsrat gewählt wurde. Darüber hinaus gleicht die Rechtsform eG auch in diesem Fall unterschiedliche Interessen aus. Seidenath: „Wie bei der SAPV hatten die Akteure zuvor ein argwöhnisch distanziertes Verhältnis zueinander. Dieses Gegeneinander hebt die Genossenschaft auf. Deshalb ist diese Rechtsform für mich die erste Wahl, wenn man im Gesundheitsbereich etwas voranbringen will.“
Persönliche Motivation
Das hohe Engagement des Landtagsabgeordneten ist auch persönlich motiviert. „In der Hilfe für Schwerkranke und Sterbende zeigt sich die Humanität einer Gesellschaft. Sie sind die Schwächsten in unserer Mitte und brauchen besonders viel Menschlichkeit. Mein Ziel ist es, alle Leute mit ähnlichen Gedanken zusammenzubringen, um auf diese Weise etwas zum Positiven zu verändern“, sagt Seidenath. Abgesehen davon biete die Rechtsform eG allen Privatleuten eine gute Möglichkeit, die Ziele einer Genossenschaft zu unterstützen – ganz einfach, indem sie Mitglied werden. „Wenn ich mich dazu entscheide, Teil einer Genossenschaft zu werden, dann gebe ich damit auch ein Statement ab, zum Beispiel für eine bessere Gesundheitsversorgung in meiner Heimatregion“, sagt Seidenath.
Hemmschuh Fachkräftemangel
Manchmal stehen diesen hehren Zielen jedoch gewichtige Probleme entgegen. Rund um München zum Beispiel tun sich alle sozialen Einrichtungen schwer, geeignete Fachkräfte zu finden. Denn wegen der hohen Mietpreise finden diese kaum noch bezahlbaren Wohnraum. „Der Fachkräftemangel ist der größte Hemmschuh für eine bessere Gesundheitsversorgung, nicht nur im Landkreis Dachau“, sagt Seidenath. Deshalb setzt der Landtagsabgeordnete auch hier – wie soll es anders sein – auf eine Genossenschaft. Sie wird gerade gegründet und geht noch dieses Jahr an den Start. Arbeitstitel: „Habt ein Herz für soziale Berufe!“
Wohnungen für Fachkräfte im Gesundheitswesen
Seidenath hat herausgefunden, dass im Landkreis Dachau rund 1.800 Wohnungen aus verschiedensten Gründen leer stehen – etwa weil die Besitzer nicht auf die Mieteinnahmen angewiesen sind oder aber sich eine Renovierung nicht leisten können. Wenn wenigstens ein kleiner Teil dieser Wohnungen für Pflegekräfte, medizinische Fachkräfte und Angehörige sozialer Berufe wie etwa Erzieherinnen zur Verfügung stünde, wäre den sozialen Einrichtungen im Landkreis Dachau schon sehr geholfen, so die Überlegung des Gesundheitspolitikers. Also holte er die Caritas, das Klinikum Dachau und Sozialservice-Gesellschaft des Bayerischen Roten Kreuzes als Mitglieder ins Boot. Sie sollen die neue Genossenschaft tragen.
Zerschlagung des gordischen Knotens
„Ich begleite die Gründung sehr eng, weil es mir ein Anliegen ist, das Wohnproblem in den Griff zu bekommen. Mit der Genossenschaft wollen wir diesen gordischen Knoten zerschlagen“, sagt Seidenath. Sie soll leerstehenden Wohnraum anmieten und ihren Mitgliedern zur Verfügung stellen. Diese können dann neue Mitarbeiter mit einer Wohnung locken, die es auf dem freien Markt nicht gibt. „Große Wohnungen fehlen komplett. Für Fachkräfte mit Familie ist es deshalb nicht attraktiv, in den Landkreis Dachau zu ziehen“, sagt Seidenath.
Rundum-Sorglos-Paket für Mieter und Vermieter
Weil die Genossenschaft die Wohnungen nur untervermietet, bleiben diese den Mitgliedern bei einem Mieterwechsel erhalten. „Die Vermieter erhalten dafür ein Rundum-Sorglos-Paket und müssen sich um nichts kümmern“, sagt Seidenath. So helfe die Genossenschaft gleich vierfach: Der Vermieter bekommt zuverlässig sein Geld, die Mitarbeiter sparen sich die mühsame Wohnungssuche, die sozialen Einrichtungen finden schneller Personal, und damit ist auch den Bürgern gedient, wenn wieder mehr Erzieher, Pfleger und Ärzte im Landkreis Dachau arbeiten wollen.
Obwohl sie noch gar nicht aktiv ist, zeichnet sich für die Genossenschaft ein guter Start ab. „Mich haben schon einige Anfragen von Hausbesitzern erreicht, die unsere Idee gut finden und deshalb bevorzugt an die Genossenschaft vermieten wollen. Außerdem verfolgen weitere Institutionen unsere Pläne sehr interessiert. Wenn unser Konzept aufgeht, wollen sie einsteigen“, berichtet Seidenath.
Sorgfältige Prüfung, engmaschige Betreuung
„Die sorgfältige Prüfung sorgt bei den Mitgliedern für eine Wohlfühlatmosphäre.“ In diesem Kontext nennt er noch eine weitere Stärke von Genossenschaften im Freistaat: die sorgfältige Prüfung durch den Genossenschaftsverband Bayern (GVB) in Verbindung mit einer engmaschigen Betreuung. Denn die neue Genossenschaft wird viel Geld investieren müssen, um ihren Geschäftszweck zu erfüllen. Deshalb brauche es klare, transparente Regeln und einen strengen Richter, damit sich kein Mitglied benachteiligt fühlt. Dafür sei die Unterstützung durch den Verband von Vorteil.
„Natürlich kostet das Geld. Dafür werden die Genossenschaften nicht allein gelassen und durch die sorgfältige Prüfung kann sich jeder sicher sein, dass akkurat gewirtschaftet wird. Das ist psychologisch ein dicker Pluspunkt und sorgt bei den Mitgliedern für eine Wohlfühlatmosphäre“, so Seidenath.
Ideen für die Zukunft
Jetzt, wo er in Fahrt ist, könnte sich der Gesundheitspolitiker durchaus vorstellen, weitere Gründungen anzustoßen. Der Bedarf sei da, es brauche nur die richtigen Leute. „In Genossenschaften herrscht immer ein ganz besonderer Geist, weil der Wettbewerb der Mitglieder einem Fairness-Gedanken Platz macht“, sagt Seidenath. Konkrete Projekte hat er noch nicht, aber viele Ideen, zum Beispiel ein Senioren-Kompetenzzentrum. „Dort können sich Senioren gegenseitig unterstützen – je nachdem, was sie wollen oder können. Das ist doch ein bestechender Gedanke, oder?“
Die von Bernhard Seidenath angestoßenen Gesundheitsgenossenschaften:
- Die SAPV Dachau eG (Palliativteam Dachau) - Die Genossenschaft zur Stärkung der gesundheitlichen Versorgung im Landkreis Dachau eG
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