Kommunale Praxiszurück

(GZ-15/16-2019)
gz kommunale praxis

► Reaktionen der kommunalen Spitzenverbände zum Beschluss der Bundesregierung:

 

Spahns umstrittener Gesetzentwurf zur Masern-Impfpflicht

 

An der von Gesundheitsminister Jens Spahn avisierten Impfpflicht bei Masern scheiden sich die Geister. Den entsprechenden Gesetzentwurf hat das Bundeskabinett nun gebilligt. Für Kinder muss demnach künftig beim Eintritt in eine Gemeinschaftseinrichtung, wie Kindertagesstätte, Schule, Flüchtlingsunterkünfte oder auch Ferienlager eine vollständige Masern-Schutzimpfung nachgewiesen werden. Auch dort arbeitende Personen sollen gegen die gefährliche Infektionskrankheit geimpft sein.

Ausnahmen gelten für Menschen, die einen ärztlichen Nachweis vorlegen können, dass bei ihnen eine Impfung aus gesundheitlichen Gründen nicht ratsam ist. Bei vor 1970 Geborenen entfällt die Impfpflicht ebenfalls. Laut WHO zählt die Skepsis gegenüber Impfungen zu den zehn größten Gefahren für die globale Gesundheit. Der Deutsche Städtetag schließt sich der Position an, dass diesem Trend entschieden vorzubeugen sei: „Vom Grundsatz her unterstützen wir als ultima ratio daher das Anliegen einer gesetzlichen Masern-Impfpflicht. Damit verbundene Effekte und Folgewirkungen müssen aber sorgfältig abgewogen werden.“

Nach Ansicht des Kommunalverbandes ist der Gesetzentwurf von „besonderer kommunaler Relevanz“, weil er die grundsätzlichen Aspekte der gesundheitlichen Daseinsvorsorge anspricht. Dabei handle es sich um kommunale Strukturen, wie etwa dem von den Städten zum Teil mitgetragenen öffentlichen Gesundheitsdienst sowie diversen Gemeinschaftseinrichtungen in kommunaler Verantwortung.

Immenser Erfüllungsaufwand

Ausführungen, die kommunale Einrichtungen betreffen und in denen von nur geringen Aufwänden ausgegangen wird, teilt der Deutsche Städtetag nicht. Gerechnet werde „mit einem derzeit noch nicht bezifferbaren, aber jedenfalls erheblicheren Erfüllungsaufwand“. Dies wiederum bedürfe einer entsprechenden zusätzlichen personellen wie finanziellen Ausstattung, die im Entwurf allerdings nicht adäquat berücksichtigt sei.

Der Deutsche Städtetag erwartet, dass sich Gemeinschaftseinrichtungen wegen Unklarheiten bei vorgelegten Bescheinigungen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden und viele Säumige gemeldet werden, die in der Folge entweder eine Bescheinigung vorlegen oder sich am Gesundheitsamt impfen lassen. Die Anzahl der Personen, gegen die ein Bußgeldverfahren eingeleitet wird, dürfte dagegen deutlich niedriger sein, mutmaßt der Kommunalverband.

Diskussionen und rechtliche Auseinandersetzungen

Mit dem Gesetz soll vor allem durchgesetzt werden, dass Kinder, die erstmals eine Kindertagesstätte besuchen oder eingeschult werden, gegen Masern geimpft werden. Kinder, deren Eltern keine Masernimpfung vornehmen lassen wollen, werde somit das Recht auf Förderung in der Kindertageseinrichtung verwehrt.

„Vor Ort erwarten wir so leider Diskussionen und rechtliche Auseinandersetzungen. Vor Inkrafttreten einer Impfpflicht muss das Rechtsverhältnis dieser im Zusammenhang mit dem Rechtsanspruch auf Betreuung in einer Kindertageseinrichtung umfassend geklärt werden. Ein mit absoluter Sicherheit zu erwartender Konflikt darf unter keinen Umständen auf den Rücken der Kindertageseinrichtungen und deren Trägern sowie am Ende auch zulasten der Kinder ausgetragen werden“, stellt der Deutsche Städtetag klar.

Aus rein epidemiologischer Sicht erscheine eine Impfpflicht für Personal in Gemeinschaftseinrichtungen grundsätzlich sinnvoll. Allerdings hätten gerade Kitas und Schulen schon jetzt Probleme, ausreichend qualifiziertes Fachpersonal zu bekommen. Außerdem kämen damit neue bürokratische Pflichten auf die Arbeitgeber zu. Darüber hinaus sei hier die Reihenfolge der Maßnahmen anhand der Eingriffstiefe in persönliche Rechte einzuhalten.

Auch müsse über die Vorgehensweise bei der Prüfung von Impfnachweisen nachgedacht werden. Problematisch sei der Umgang mit bereits Tätigen in Gemeinschaftseinrichtungen. Der Impfstatus wäre künftig Einstellungsvoraussetzung. Unklar sei der Umgang mit bereits tätigen „Impfverweigerern“.

Verhältnis zwischen Nutzen und Aufwand fraglich

„Insgesamt geht der Verwaltungsaufwand für die Umsetzung des Vorhabens einseitig zu Lasten der Einrichtungen und ihrer Träger und Leitungen. Vor dem Hintergrund dieser Einschätzungen und offener Fragen erhielten wir aus der städtischen Praxis Rückmeldungen, denen zufolge das Verhältnis zwischen Nutzen und Aufwand der geplanten Regelungen fraglich erscheint.

Dies auch vor dem Hintergrund, dass bei einer grundsätzlich denkbaren generellen Impfpflicht auch an die Erwachsenen gedacht werden sollte“, unterstreicht der Städtetag. Die derzeit auch medial besonders beobachteten Masernausbrüche würden vor allem durch Personen aufrechterhalten, die bereits im Erwachsenenalter sind.

Bei Kindern lägen die Impfquoten gegen Masern hingegen für die Erst- bzw. Zweitimpfung bei 97 bzw. 93 Prozent. Aus epidemiologischer Sicht habe eine Steigerung der Impfquoten in dieser Gruppe daher nur wenig Auswirkung. Insgesamt erscheinen die verfahrensrechtlichen Vorgaben und Abläufe aus Sicht des Kommunalverbandes bisher nicht ausreichend definiert. Unabhängig von dem grundsätzlich zu begrüßenden Ziel der Erhöhung der Durchimpfungsrate müssten die rechtlichen Unklarheiten ausgeräumt werden. 

Der Deutsche Landkreistag begrüßt das Vorhaben, „die Impfraten bei Masern auf das notwendige Niveau anzuheben, so dass eine ‚Herdenimmunität‘ erreicht wird“. Überzeugte Impfgegner erscheinen nach Wahrnehmung des Verbandes in der Minderheit. Eine Impfpflicht könnte aber verunsicherte Bevölkerungsgruppen in eine die Impfung ablehnende Haltung drängen.

Unabhängig vom erheblichen Mehraufwand insbesondere in den Gesundheitsämtern werden erhebliche beratende, dienstleistende und ordnungs- sowie fachbehördliche Leistungen vonnöten sein, so der DLT. Die Einbindung in die Telematik sei grundsätzlich zu begrüßen, wenngleich dies einen weiteren Faktor darstelle, der erhebliche Kosten verursachen wird. „Diese Kosten sind den Trägern der Gesundheitsämter von den Ländern zu erstatten. Daher ist es auch notwendig, dass die Länder einen Kostenausgleich hierfür vom Bund nicht nur einfordern, sondern auch erhalten. Die zusätzlichen Leistungen der Gesundheitsämter sind nicht zum ‚Nulltarif‘ zu haben“, unterstreicht der Deutsche Landkreistag.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund befürwortet grundsätzlich den Ansatz, eine Impfung gegen Masern für Betreute in Gemeinschaftseinrichtungen und das zuständige Personal verpflichtend einzuführen. Begrüßt wird die Bereitstellung von jährlich 5 Millionen Euro für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zur umfassenden und wiederkehrenden Information der Bevölkerung zum Thema Impfen.

Finanzieller Ausgleich für umfangreiche neue Aufgaben

Durch den Gesetzentwurf würden den Kommunen umfangreiche neue Aufgaben zugewiesen. Rückmeldungen aus der Praxis zeigten, dass die vom Bundesministerium für Gesundheit nachgereichte Kostenfolgenabschätzung bei weitem nicht die kommunalen Mehrausgaben abdecken. Der tatsächliche finanzielle Aufwand dürfte also deutlich höher liegen. „Darüber hinaus vermissen wir eine Aussage bezüglich der Form des finanziellen Ausgleichs der Kommunen für den durch das Gesetz verursachten Mehraufwand“, betont der DStGB. Auch vertritt er die Auffassung, dass der Referentenentwurf in einer Reihe von Punkten (Nachweis der Impfung, zeitlicher Rahmen, Mitteilungspflichten etc.) praxisgerechter ausgestaltet und in zeitlicher Hinsicht vollziehbar geändert werden muss.

DK

GemeindeZeitung

Kommunale Praxis

AppStore

TwitterfacebookinstagramYouTube

Google Play

© Bayerische GemeindeZeitung