Das im Bundestag eingebrachte Impfpflichtgesetz soll sicherstellen, dass Bürger nicht gefährdet werden, wenn Menschen sich nicht impfen lassen. Die Masern sollen zudem durch das Gesetz ausgerottet werden. Doch brauchen wir dazu eine bundesweite Impfpflicht? Darüber diskutierten Ärzte, Apotheker und Juristen im Bayerischen Landtag.
Die Fachleute waren sich in der Diskussion einig: „Wir lehnen eine Impfpflicht ab“! Sie bevorzugten in der Anhörung „Erfolgversprechende Wege zur Erhöhung der Impfraten, insbesondere bei Masern“ mehr Aufklärung und verbesserte Beratung. Die Ausbildungsordnungen für die zuständigen medizinischen Berufe sollten zudem erweitert sowie eine digitale Gesundheitskarte eingeführt werden.
Verletzung der Persönlichkeitsrechte
Im Fokus der Beratung standen Gemeinschaftseinrichtungen wie Kindergärten und Schulen. Der Entwurf der Bundesregierung sieht vor, dass Kinder in Schulen und Kindergärten gegen Masern geimpft sein müssen. Laut WHO zählt die Skepsis gegenüber Impfungen zu den zehn größten Gefahren für die globale Gesundheit. Eltern, die der Impfpflicht nicht nachkommen, müssen mit Bußgeldern von bis zu 2.500 Euro rechnen. Auch Kitas können mit Bußgeldern belegt werden, wenn sie nicht geimpfte Kinder betreuen. Dasselbe gilt für nicht geimpfte Beschäftigte in Gemeinschafts- und Gesundheitseinrichtungen.
Ab Sommer 2020 soll diese Pflicht auch für bereits aufgenommene Kinder gelten. Gleiches ist für Erzieher und Lehrer vorgesehen, wenn sie nach 1970 geboren sind. In einer hitzigen Debatte beriet der Bundestag am 18. Oktober erstmals das geplante Masernschutzgesetz. Vertreter der Opposition kritisierten, der Gesetzentwurf atme zu viel Zwang und Sanktion. Der Staat greife damit in Freiheits- und Persönlichkeitsrechte ein.
Hohe Impfraten in Bayern
Durch den Gesetzentwurf würden den Kommunen umfangreiche neue Aufgaben zugewiesen – und damit ein deutlicher finanzieller Mehraufwand. In Bayern haben dem Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) zufolge, knapp 97 Prozent der eingeschulten Kinder im Schuljahr 2017/18 zumindest die erste Masernimpfung erhalten. Im Vergleich zu den Vorjahren zeigte sich bei den Schulanfängern ein steigender Trend. Insgesamt sind laut LGL rund 92 Prozent der Schulkinder geschützt. Dennoch gibt es regionale Unterschiede, sodass Impflücken bei hochansteckenden Krankheiten wie Masern Ausbrüche begünstigen. Die Fachleute verwiesen darauf, dass in erster Linie Babys, Ältere und Menschen mit geschädigtem Immunsystem zu den Risikogruppen gehören.
Impfpflicht als „ultima ratio“
Um die Masern in Deutschland zu eliminieren ist nach Ansicht der Experten ein sogenannter Herdenschutz nötig. Der Schutz sei gewährleistet, wenn 95 Prozent der Bevölkerung durch Impfung oder durchgestandene Erkrankung gegen Masern immun sind. Professor Dr. Peter Bauer von den Freien Wählern forderte, den Fokus auf die Schwächeren zu setzen und die Nichtgeimpften mehr auf ihre Verantwortung hinzuweisen.
Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses Bernhard Seidenath (CSU) fasste zusammen: „Freiwilligkeit ist besser als Zwang. Eine Impfpflicht würde die zweifelnden Menschen nur weiter abschrecken.“
Das bestätigen Untersuchungen von Prof. Dr. Cornelia Betsch, wonach eine Impfpflicht die Bereitschaft für weitere freiwillige Impfungen deutlich senkt. Die Psychologin von der Universität Erfurt warnte: „Es gibt keine Evidenz für ein besseres Resultat bei Zwang. Und freiwillige Impfungen werden dann als weniger wichtig betrachtet.“
Betsch kritisierte allerdings:
„Impfen ist in Deutschland nicht einfach genug und muss besser kommuniziert werden.“ Ebenso plädierte Dr. Martin Lang dafür, die Impfpflicht nur als „ultima ratio“ einzusetzen. Der Vorsitzende des bayerischen Landesverbandes der Kinder- und Jugendärzte mahnte, Masern nicht als Kinderkrankheit zu titulieren. Wegen großer Impflücken bei Jugendlichen und den 30- bis 50-jährigen, trete die Krankheit auch vermehrt bei Erwachsenen auf, teils mit höheren Komplikationsraten.
Impfpflicht unverhältnismäßig
Laut den Freien Wählern sei Impfen zwar eine effektive Maßnahme zum Schutz vor ansteckenden Krankheiten. Doch eine Verpflichtung zur Masernimpfung sei aus zwei Gründen nicht notwendig. Einerseits wegen der gestiegenen Impfquote.
„Zum anderen halten wir die Impfpflicht für Kinder vor dem KiTa-Besuch angesichts des hohen Anteils erwachsener Erkrankter für nicht problemlösend. Eine staatlich auferlegte Verpflichtung zum Impfen lehnen wir als unverhältnismäßig ab. Vornehmliches Ziel muss es daher sein, die Impfberatung zu intensivieren und auch auf das Erwachsenenalter auszudehnen“, sagte Susann Enders, gesundheitspolitische Sprecherin der Freien Wähler.
Wie sicher sind die Stoffe?
Sie hinterfragte auch die Sicherheit der Impfstoffe. Professor Dr. Christian Bogdan von der Universität Erlangen verwies auf langwierige Zulassungsverfahren. Bei jährlich 35 bis 38 Millionen Impfungen in Deutschland gebe es nur bei 4.000 Impfungen Komplikationen.
Auf die Frage nach dem globalen Kontext durch den Abgeordneten Andreas Winhart (AfD) bekräftigte Bogdan, es müsse weltweit eine Durchimpfungsquote erreicht werden, die Tendenz der vergangenen 30 Jahre sei bereits sehr positiv. Der FDP-Abgeordnete Dr. Dominik Spitzer wollte ebenso wie Kerstin Celina von den Grünen wissen, ob es einen Monoimpfstoff für Masern in Deutschland gibt.
Nach Auskunft der Fachleute existiert kein zugelassener Einzel-Impfstoff ausschließlich gegen Masern, sondern nur einen Dreifachimpfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist das problematisch. So sieht der Staatsrechtler Professor Dr. Heinrich de Wall darin einen verstärkten Eingriff in die Grundrechte und nannte den Gesetzentwurf in diesem Punkt unklar und „nonchalant“ formuliert. Der Jurist stellte zudem fest, dass die Regelung keine Masernzwangsimpfung begründe, sondern eine Impfnachweispflicht gegen Masern. „Keiner wird in Handschellen zum Arzt geschleift.“
Impfpflicht verfassungswidrig?
Auch der Verein der Ärzte für individuelle Impfentscheidung stellte auf der Pressekonferenz am 12. Oktober in Berlin ein Gutachten vor, nach dem das geplante Masernschutzgesetzt verfassungswidrig sei. So verletze es zentrale Grundrechte wie das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das Elternrecht sowie die Berufsfreiheit und Gleichheitsrechte von Ärzten. Zudem enthalte es substanzielle Unklarheiten, da es inhaltlich auf die STIKO-Empfehlungen (Ständige Impfkommission) verweise, ohne auszuführen, wie beispielsweise der Umfang der Impfung konkret definiert sei.
Mehr Beratung
Die Experten im Bayerischen Landtag forderten mehr Monoimpfstoffe, auch um personalisierte medizinische Behandlung zu ermöglichen. Vor allem die Ärztevertreter verlangten den Ausbildungskatalog auszuweiten, mehr Zeit für die Impfberatung durch bessere Honorierung zu ermöglichen und allen Ärzten das Impfen zu gestatten. Betsch forderte, die Angebote stärker an die Lebensgewohnheiten der Zielgruppen anzupassen.
Krankenkassen sollten im Rahmen ihrer Präventionsaufgabe Jugendliche an die Vorsorgeuntersuchungen oder Erwachsene an ihre fälligen Impfungen erinnern. Gesundheitsämter könnten zudem als Orte für die Durchführung von Schutzimpfungen wieder stärker in Betracht gezogen werden, zumindest wenn es um die Schutzimpfung von Erwachsenen gehe. Die Vertreterin der Apothekerverbände, Cyntia Milz, bot eine Beteiligung der Apotheken an. Handlungsbedarf sahen die Experten auch bei der Digitalisierung. Sie sprachen sich übereinstimmend für einen digitalen Impfpass aus.
Impfschäden
Die Bayerische Gemeindezeitung hat bei der regionalen Landesbehörde Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) zu den Versorgungsleistungen bei Impfschäden in Bayern nachgefragt. Die Höhe der Zahlungen für Impfschäden ist im vergangenen Jahr im Vergleich zu den Vorjahren leicht gesunken und betrug 11,6 Millionen Euro (2016: rd. 11,8 Mio. Euro / 2017: rd. 12,3 Mio. Euro). Sogenannte Rentenzahlungen wurden (Stand Juli 2019) an insgesamt 438 Versorgungsberechtigte ausgezahlt.
Eine komplette Liste aller durch Impfungen verursachten Gesundheitsstörungen und Schädigungsfolgen oder ein Ranking der häufigsten Diagnosen liegen dem ZBFS nicht vor. Diese seien je nach Einzelfall zu bezeichnen und zu bewerten. Die Höhe der Zahlungen hänge laut ZBFS unter anderem vom anerkannten Grad der Schädigungsfolgen ab.
Die Anerkennung eines „Autismus“ als Schädigungsfolge sei in den vorliegenden internen Statistiken nicht geführt. Auch Vergleichszahlen aus anderen Bundesländern sind dem ZBFS nicht bekannt. Von 2001 bis 2017 wurden bei insgesamt 16 Fällen als Schädigungsfolge nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) ein „Guillain-Barré-Syndrom“ bzw. „Restbeschwerden nach Guillain-Barré-Syndrom“ anerkannt.
Anja Schuchardt
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