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(GZ-8-2020)
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► Migration und Entwicklung:

 

Gute Beispiele aus der kommunalen Praxis

SKEW-Schriftenreihe „Dialog Global“ regt zum Mitmachen an

 

Gelungene Beispiele aus der kommunalen Praxis im Themenfeld „Migration und Entwicklung“ stellt die neue Ausgabe der SKEW-Schriftenreihe „Dialog Global“ vor. Dabei wird die ganze Spannbreite der Themen widergespiegelt – sei es die faire öffentliche Beschaffung, die Umsetzung der Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung oder die Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen kommunaler Partnerschaften. Gleichzeitig werden die Unterstützungsangebote der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt aufgezeigt.

Nach den Worten von Dr. Stefan Wilhelmy, Bereichsleiter der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt von Engagement Global, gibt es nicht nur immer mehr Maßnahmen im Bereich Migration und Entwicklung auf kommunaler Ebene; auch deren Qualität steigt kontinuierlich. Dies werde unter anderem im Rahmen des Wettbewerbs „Kommune bewegt Welt“ deutlich, bei dem seit 2014 Kommunen und zivilgesellschaftliche Akteure gemeinsam Bewerbungen einreichen. Neben den Preisträgern Berlin-Mitte, Marburg und Mannheim präsentiert die Publikation weitere sechs Beispiele (Aidlingen, Münster, Nordrhein-Westfalen, Salach, Wernigerode und Nürnberg) für vorbildliches Engagement.

Beispiel Berlin-Mitte: Der Berliner Bezirk Mitte und ein informelles Netzwerk der afrikanischen Community riefen 2013 das Projekt „Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel“ ins Leben. Es soll nicht nur die deutsche Kolonialgeschichte aufarbeiten, sondern ein Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit setzen.

Die Benennung der Straßen und Plätze des sogenannten Afrikanischen Viertels in Berlin-Mitte erinnern an die deutsche Kolonialisierung während des Kaiserreichs. Aus den Debatten um die Umbenennung der Straßen entwickelte sich das Bestreben, das ganze Viertel zu einem Lern- und Erinnerungsort über die Geschichte des deutschen Kolonialismus, seiner Rezeption sowie über den Unabhängigkeitskampf der afrikanischen Staaten zu machen. Berlin-Mitte nutzt nun die Verbindung zwischen dem öffentlichen Raum, der deutschen Kolonialgeschichte und der aktuellen Situation in der Stadt, um Rassismus zu bekämpfen und ein positives Afrikabild zu vermitteln.

Im Afrikanischen Viertel gibt es heute unter anderem viele Führungen, einen „Audio-Walk“, Themenreihen zu Afrika an der Volkshochschule, Ausstellungen sowie eine Kiezbibliothek mit Werken afrikanischer Autorinnen und Autoren. Ein Highlight ist das jährliche „KENAKO Afrika Festival“ auf dem Alexanderplatz. Es steht für einen Austausch mit Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland jenseits aller Klischees und für ein respektvolles und partnerschaftliches Zusammenleben. Beim Festival kommen insbesondere afrikanische Akteure zu Wort, zum Beispiel 2016 zu lokalen und globalen Ursachen von Migration aus Afrika nach Europa und 2018 zu verantwortungsvollem und nachhaltigem Konsum.

„Each One Teach One“

Viele Vereine der afrikanischen Community des Bezirks beteiligen sich aktiv an verschiedenen Projekten. Schwarze Pädagoginnen und Pädagogen übernahmen etwa während einer Projektwoche an einer Grundschule im Viertel komplett den Unterricht. Das Bildungsprojekt „Each One Teach One“ (EOTO) etablierte eine Bibliothek für Schwarze Literatur und Medien. Das stärkte die Vereine nachhaltig als Akteure der politischen Bildung und Stadtteilarbeit. Die aus dem Projekt entstandene Afrika Akademie/Schwarze Volkshochschule (SVHS) ist heute fester Bestandteil der Volkshochschule Berlin-Mitte. 

Der Bezirk Berlin-Mitte hat mit dem Network African Rural and Urban Development (NARUD) einen herkunftsübergreifend arbeitenden Verein der afrikanischen Community als bezirkliche Registerstelle zur Erfassung rassistischer, diskriminierender und fremdenfeindlicher Vorfälle im Bezirk eingesetzt. Beispiel Mannheim: Die Stadt Mannheim und die türkische Stadt Kilis haben mit Unterstützung des Arbeitskreises Islamischer Gemeinden Mannheim eine Projektpartnerschaft begründet. Sie wollen gemeinsam im nahe der syrischen Grenze gelegenen Kilis die Bildungs- und Berufschancen von aus Syrien geflüchteten Frauen verbessern.

Der Mannheimer Mustafa Dedekeloglu, Mitglied des Arbeitskreises Islamischer Gemeinden Mannheim (AKIG), trat mit der Idee an die Stadtverwaltung Mannheim heran, syrische Geflüchtete nicht nur in Mannheim, sondern vor Ort in der Türkei zu unterstützen. Er hat seine Wurzeln in der türkische Stadt Kilis im Südosten Anatoliens, nur etwa zehn Kilometer nördlich der syrischen Grenze. Der Verein AKIG vermittelte der Stadtverwaltung Mannheim Kontakte nach Kilis und die Partner begannen – unter anderem mit finanzieller Unterstützung des „Kleinprojektefonds“ sowie der Initiative „Kommunales Know-how für Nahost“ der SKEW – gemeinsam aus Syrien geflüchteten Frauen neue berufliche Perspektiven zu geben.

Kilis steht vor großen Herausforderungen, denn ihre Einwohnerzahl hat sich durch den Zuzug syrischer Geflüchteter von rund 90.000 auf etwa 220.000 Menschen mehr als verdoppelt. Das bedeutet, dass die Stadt unter anderem mehr kommunale Infrastruktur für die Wasserversorgung benötigt, mehr Müll produziert und mehr Menschen Arbeit und Ausbildungsmöglichkeiten bieten muss. Das hält die Stadt jedoch nicht davon ab, den Geflüchteten eine langfristige Bleibeperspektive eröffnen zu wollen.

In Mannheim leben zahlreiche Menschen mit türkischen Wurzeln, so dass die Stadt aus der Bürgerschaft heraus einen unmittelbaren Anknüpfungspunkt nach Anatolien hat. Im Rahmen ihres internationalen Engagements will die Stadtverwaltung ihre Erfahrungen in der Arbeit mit geflüchteten Menschen und der Bereitstellung von Infrastruktur mit Kilis teilen.

Know-how für Nahost

Mannheim und Kilis wollen gemeinsam ein Modellzentrum für berufliche Bildung bauen, finanziert aus Mitteln der Initiative „Kommunales Know-How für Nahost“. Rund 450 syrische, aber auch türkische Frauen sollen dort einen Beruf erlernen, türkische Sprachkenntnisse erwerben und Kontakte knüpfen können. Nach einer Anschubphase mit Unterstützung der Stadt Mannheim zu didaktischen, integrations- und wirtschaftspolitischen sowie baulichen Fragen wird Kilis das Bildungszentrum in Eigenregie weiterführen.

Beispiel Marburg: Fairer Handel, Migration und Entwicklung sind in der hessischen Universitätsstadt eng miteinander verwoben. Das zeigt sich unter anderem an den Bildungsveranstaltungen rund um das Globale Lernen, die migrantische Vereine und der Marburger Weltladen organisieren.

Die Förderung des Fairen Handels ist in Marburg per Ratsbeschluss verankert und der Weltladen ist eine feste Institution in der Stadt. Seit 1980 bereichert er nicht nur das Warenangebot, sondern weist zum Beispiel auf die ungerechten Strukturen des Welthandels und die schlechten Arbeitsbedingungen vieler Menschen hin. Damit ist er ein Ort der globalen Verständigung. Im Rahmen des Projekts „Faire Kaffeepause“ mit der Frauenkooperative Aprolma aus Honduras konnten städtische Mitarbeiter sich direkt mit den Mitgliedern der Frauenkooperative Aprolma austauschen, die fairen Kaffee herstellt. Aprolma produziert auch den Marburger „Elisabeth Kaffee“, den die Stadt 2007 einführte. Dies trug mit dazu bei, dass Marburg 2009 als „Hauptstadt des Fairen Handels“ ausgezeichnet wurde.

Viele Studierende, migrantische und interkulturell tätige Organisationen engagieren sich in Marburg entwicklungspolitisch. Die Stadt unterstützt dieses Engagement als wertvolle politische Teilhabe, weil sie die Vielfalt der Stadtgesellschaft stärken will. Zu diesem Zweck wurde 1993 ein Ausländerbeirat gegründet, der unter anderem Veranstaltungen wie den „Tag der kulturellen Vielfalt“ am „Tag der Deutschen Einheit“ und aktuell Demokratiewerkstätten organisiert.

Mit der Unterstützung des Teams Migration und Integration des Fachdienstes Migration und Flüchtlingshilfe der Stadt Marburg verbessern migrantische Organisationen und die Marburger Stadtverwaltung ihre Zusammenarbeit. Konkret professionalisieren interkulturelle, religiöse und entwicklungspolitische Vereine ihre Arbeit und damit auch die Teilhabemöglichkeiten für alle Zugewanderten.

Ehrenamtliche migrantische Akteure bringen beispielsweise als Multiplikatoren ihr Wissen und ihre Kenntnisse ein. Die Stadt offeriert ihnen in Kooperation mit der Freiwilligenagentur und anderen Bildungseinrichtungen je nach Bedarf Qualifizierungsangebote zur Vereins- und Netzwerkarbeit. Damit die migrantischen Akteure ihre Entwicklungs- und Integrationsarbeit auch effektiv umsetzen können, fördert die Stadt ihre Projekte finanziell – und das nicht nur in Marburg, sondern auch im Rahmen konkreter Entwicklungsprojekte im Globalen Süden. So unterstützt etwa der Verein Pachamama Connexion in Kooperation mit der Stadtverwaltung das in Bolivien und Ecuador entstandene Konzept „Buen Vivir“, das Alternativen für ein gutes Leben und eine nachhaltige Gesellschaft kulturübergreifend entfalten soll.

Beispiel Nürnberg: Für viele Deutsche ist Afrika immer noch ein Kontinent der Armut, des Hungers und des Krieges. Die Nürnberger Initiative für Afrika setzt dem ein differenziertes und umfassendes Afrikabild entgegen – als Basis für einen Dialog auf Augenhöhe.

Nürnberger Initiative für Afrika

Nürnberg und Franken ein anderes Afrikabild näherbringen – das Bild eines bunten und vielfältigen und in vielerlei Hinsicht nah an Europa gelegenen Kontinents. Das wollen zahlreiche Vereine, die Menschen aus vielen afrikanischen Ländern repräsentieren, migrantische Organisationen sowie deutsche Schulen mit einem Interesse an Partnerschaften auf dem afrikanischen Kontinent. Sie gehören der Nürnberger Initiative für Afrika (NIfA) an, die stereotype Vorstellungen von Afrika hinterfragen, Vorurteile abbauen und Klischees entgegenwirken will, zum Beispiel bei vielen öffentlichen Veranstaltungen wie Konzerten oder Bildungsprojekten. Ist erst einmal ein differenzierteres Afrikabild gegeben und die Neugierde auf den Kontinent geweckt, möchte die NIfA für die in der Region Nürnberg und Franken lebende afrikanische und deutsche Bevölkerung eine Plattform für Begegnungen schaffen und ihr Möglichkeiten für einen Dialog anbieten.

Eine gute Gelegenheit dafür sind die jährlichen „Afrika-Tage AKWABA“. Auf dem Programm stehen dabei immer Diskussionsveranstaltungen etwa zu Menschenrechten, Entwicklungspolitik oder aktuellen politischen Themen, aber auch Lesungen, Filme, Tanz und Musik aus Afrika. Für Kinder und Jugendliche gibt es Informationsveranstaltungen, Begegnungen und Gelegenheiten zum Austausch. Die Nürnberger Initiative arbeitet ehrenamtlich. Sie finanziert sich aus Spenden und bekommt von der Stadtverwaltung Zuschüsse unter anderem für die Anmietung eines Büros und für zahlreiche Veranstaltungen.

Auch wenn die Mitglieder der Initiative ursprünglich aus vielen verschiedenen Ländern Afrikas mit unterschiedlichen Sprachen und Kulturen stammen – die NIfA sehen sie als gemeinsame Initiative, in der sie ihr Know-how bündeln und gemeinsam stärkere Wirkungen erzielen können. Das gilt insbesondere für die Bildungsarbeit, mit der sie die „Bilder in den Köpfen“ ändern möchten, um sich dann auf Augenhöhe zu begegnen.

Regelmäßig reisen die Mitglieder gemeinsam nach Afrika. Das fördert ihre Zusammenarbeit und ermöglicht das gegenseitige Kennenlernen. Sie werben zudem für den Auf- und Ausbau von NordSüd-Partnerschaften oder Städtepartnerschaften, die einen beidseitigen Know-how-Transfer ermöglichen. Dieser Wunsch richtet sich besonders an die Kommunen der Region, damit sie Partnerschaften mit Städten und Gemeinden aus afrikanischen Ländern eingehen, um damit etwa dem Beispiel von Herzogenaurach und Kaya in Burkina Faso zu folgen.

Laut Karin Gleixner, Koordination Kommunale Entwicklungspolitik (Stadt Nürnberg, Amt für Internationale Beziehungen), „ist die NIFA für das Amt für Internationale Beziehungen eine der wesentlichen Ansprechpartnerinnen beim Aufbau einer Projektpartnerschaft mit zwei Städten in Togo. Sie berät, unterstützt, hinterfragt kritisch und begleitet uns im Sinne der Annäherung Nürnbergs an unseren Nachbarkontinent.“

DK

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