Die Verbreitung des Virus Covid-19 hat dabei sowohl Stärken als auch Schwächen im Bereich der Digitalisierung in Deutschland deutlich gemacht. „Wir waren zum Beispiel bei der Netzstabilität besser, als wir gedacht hätten. Aber bei der Bildung hat sich gezeigt, dass wir nicht gut aufgestellt sind“, kritisierte Bär. Denn das Homeschooling sei besonders für Alleinerziehende eine immense Belastung.
„Wie sollen Kinder versorgt werden, wenn für ein Elternteil kein Homeoffice möglich ist, sondern Vater oder Mutter außer Haus arbeiten muss, zum Beispiel als Kassiererin. Zu den Anforderungen, die die Schule stellt, kommen bei einigen auch noch die Vereine hinzu. Gerade Mütter haben eine viel zu geringe Lobby, die sie da unterstützen könnte, und erreichen jetzt in der Krise ihre absoluten Belastungsgrenzen“, gab Bär zu bedenken.
Videokonferenzen: ein Hybrid für die Zukunft?
Einen riesigen Vorteil sieht die Digitalministerin darin, dass viele Menschen gezwungen waren, Technik auszuprobieren, vor der sie normalerweise zurückschrecken – vom Lehrer bis zum Bürger.
„Es ist absolut wichtig, Technik erlebbar zu machen – und dazu war jetzt Jeder gezwungen. Dann realisieren die Menschen, dass es in vielen Bereichen eine Erleichterung ist, damit zu arbeiten“, sagte sie. Ihr Wunsch sei, dass zum Beispiel der Einsatz von digitalen Konferenzen auch nach der Krise zu einem festen Bestandteil in der Arbeitswelt werde.
„Warum müssen jede Woche alle Mitglieder zum Parteivorstand aus ganz Bayern anreisen? Ich hoffe sehr, dass wir zu einer gesunden Mischung kommen. Vor der Krise waren rund zehn Prozent der Meetings digital, obwohl viel mehr digital hätten sein können. Inzwischen ist es umgekehrt. Eine 50/50-Lösung von digitalen und persönlichen Treffen wäre optimal“, schlug Bär vor.
Sie sieht darin auch die Möglichkeit, Konferenzen als Hybrid anzubieten. So hätten auch Menschen mit persönlichen Einschränkungen die Chance teilzunehmen, indem sie sich per Video dazuschalten.
Keine Denkverbote
Für die Zukunft, sagte Bär, sei es vor allem wichtig zu vermitteln, dass es zur digitalen Kompetenz nicht viel brauche. „Nötig sind ein mobiles Endgerät oder Desktop, Internet und natürlich die Software zur Videokonferenz, beispielsweise eine App. Die entscheidende Frage ist: Hat jeder die Möglichkeit, teilzunehmen? Glücklicherweise haben wir mit dem ‚DigitalPakt Schule‘ Gelder zur Verfügung gestellt, die u.a. Familien ohne entsprechende Mittel ermöglichen, Endgeräte zu bekommen“, sagte Bär.
Zudem forderte sie, in alle Richtungen zu denken und sich keine Denkverbote aufzuerlegen. „Wir müssen uns fragen, was wir aus der Krise lernen können. Sind Schulen beispielsweise in der Lage für höhere Klassen künftig einen kompletten Homeschooling-Tag pro Woche einzurichten? Oder ist es möglich für Kinder, die mit ihrer Mutter in Kur sind, sich digital zum Unterricht zuzuschalten?“, fragte die Ministerin.
Blockchain für Kommunen
Auch beim Thema Blockchain sei noch viel mehr möglich – nicht nur auf Bundesebene sondern auch in den Kommunen. Im September 2019 hat die Bundesregierung die Blockchain-Strategie für Deutschland auf den Weg gebracht. Blockchains sind spezielle, kryptographisch verkettete Datenstrukturen, die ihre Datensätze in einer kontinuierlich erweiterbaren Liste dezentral speichern. Diese Dezentralität und Partizipation zeichnen die Blockchain-Technologien aus: Sie erlauben es, Beteiligung, Souveränität und Gemeinsamkeiten auszubauen – ein Aspekt, den vor allem Kommunen für sich nutzen können.
Bär nannte in dem Zusammenhang auch die Bedeutung von bürgerschaftlichem, ehrenamtlichem Engagement. „Wenn es beispielsweise um Lärmbelästigung im Wohnumfeld geht, glauben Bürger oft nicht den gemessenen Werten. Was wäre, wenn sie diese über Blockchain weitergeben?“, fragte die Ministerin. Es müsse deutlich werden, dass es bei der Technologie um weit mehr gehe, als nur um elektronische Zahlungsmittel. Die Use Cases, die Finanz- und Wirtschaftsministerium derzeit ermitteln, könnten entscheidend dazu beitragen, die Potenziale der Blockchain verständlich und ihren Nutzen greifbar zu machen. „Ich bin mir sicher, dass Blockchain sehr bald ganz selbstverständlich in unseren Arbeitsalltag einfließen wird“, beteuerte Bär.
Baustein Tracing-App
Eine Tracing-App zur Eindämmung der Corona-Krise sieht sie allerdings nur als einen Baustein von vielen. Mit der App könnte die Nachverfolgung von Ansteckungen und Infektionsketten automatisiert und damit viel schneller und genauer ablaufen. Derzeit machen Gesundheitsämter diese Arbeit. „Die App kann die Eindämmung der Pandemie aber nur unterstützen. Die grundlegenden Schutzmaßnahmen, bis es Medikamente und Impfungen gibt, bleiben vor allem Abstand halten, Maske tragen und Händewaschen. Zur Verzögerung führt vor allem die Diskussion über die Art und Weise der Speicherung – zentral oder dezentral“, erklärte Bär.
Die deutschen Datenschutzregeln würden strikt eingehalten, hieß es nach der Bund-Länder-Konferenz. Lediglich epidemiologisch relevante Kontakte der vergangenen drei Wochen würden anonymisiert ausschließlich auf dem Handy des Benutzers ohne die Erfassung des Bewegungsprofils gespeichert. Dabei gehe es um eine Nachverfolgung („Tracing“), nicht um Echtzeit-Daten („Tracking“). Die Installation der App ist zudem freiwillig. „Für eine hohe Akzeptanz ist vor allem Vertrauen in der Bevölkerung wichtig“, unterstrich Bär zur Einführung der App.
Stabile Netze
Wovon Bär überrascht war: Keine Beschwerden über mangelnde Netzstabilität. „Ich wohne in einem der ländlichsten Landkreise Bayerns – dazu zählen Steigerwahl und Röhn – und erstaunlicherweise klagte in den letzten Monaten niemand über Funklöcher“, sagte sie. Am Geld scheitere der Ausbau der Netzabdeckung übrigens nicht. Mittel könnten nur nicht abgerufen werden. „Das liegt zum einen daran, dass wir nicht genügend Tiefbaukapazitäten haben und auch an Bürgerinitiativen, die sich gegen den Bau von Masten in den Gemeinden gründen“, erklärte Bär. Im Durchschnitt dauere es somit zwischen 18 und 24 Monaten, bis ein neuer Mobilfunkmast errichtet sei. In Sachen Mobilfunknetz 5G erschwere die Akzeptanz für die neue Mobiltelefonie zunehmend die Verbreitung von Fakenews.
„In den vergangenen zwei Jahren erreichten mich mehr Anschriften, die den Stopp von 5G forderten, als Beschwerden über schlechte Anbindung“, kritisierte die Ministerin. Hinzu kämen nun Verschwörungstheorien, die Verstrahlung als Grund für die Ausbreitung des Virus sähen.
Gleichstellung als Querschnittsthema
Was das Thema Gleichstellung in der Gesellschaft angeht, setzte Bär gleich in der Schule an. „Es ist wichtig, dass Geschlechterunabhängigkeit bereits in der Grundschule beginnt. Dabei muss ein Umdenken im alltäglichen Reden stattfinden. Wie kann es sein, dass es immer noch schick ist, zu sagen: „Mathe ist doof“? Wenn Frauen als eher sprachbegabt gesehen werden, sollten sie auch Programmiersprachen lernen“, forderte Bär. Zudem sei es wichtig, bereits in der Grundschule Basiswissen zu vermitteln, wie die Funktion eines Algorithmus. „Wir brauchen die Neugierde für diese Themen nicht wecken, sondern müssen sie stillen!“
Aus der Komfortzone
Um die Gleichstellung von Männern und Frauen auch im Berufsalltag zu fördern, sei neben mehr Akzeptanz für das Führen in Teilzeit auch eine bessere Bezahlung für systemrelevante Berufe wichtig. „Mit freiwilliger Selbstverpflichtung passiert in den Unternehmen jedoch nicht viel, manche müssen zur Geschlechtergerechtigkeit gezwungen werden“, sagte Bär. In der Krise läge nun eine Chance, grundsätzliche Strukturen neu zu überdenken.
„Ich wünsche mir generell weniger Skepsis. In den letzten Monaten musste jeder etwas machen, was er sich vorher nicht hätte vorstellen können. Wir mussten alle unsere Komfort-Zone verlassen. Und das rate ich jedem: Einfach mal machen, statt darüber nachzudenken, ob man Dinge ausprobieren sollte“, zieht Bär abschließend ihr Fazit zum Gespräch.